# taz.de -- Umstrittenes Waldgesetz in Brasilien: Rousseff dribbelt die Öffent… | |
> Brasiliens Präsidentin verzögert die Entscheidung über das Waldgesetz mit | |
> einem Teilveto bis nach dem Umweltgipfel Rio+20. Umweltschützer hatten | |
> sich mehr erhofft. | |
Bild: Halbes Veto: Umweltschützer hatten die Präsidentin aufgefordert, das Wa… | |
PORTO ALEGRE taz | Nun ist Dilma Rousseff doch nicht über ihren Schatten | |
gesprungen. Nach einer wochenlangen Kampagne von Umweltgruppen und | |
Prominenten schien ein vollständiges Veto der brasilianischen Präsidentin | |
gegen die dramatische Aufweichung des Waldgesetzes, die das | |
Abgeordnetenhaus Ende April beschlossen hatte, durchaus möglich. | |
Doch anstatt sich vor dem UN-Umweltgipfel Rio+20 im Juni zum Umweltschutz | |
in Form eines zeitgemäßen Waldgesetzes zu bekennen, entschied sich Rousseff | |
für einen Kompromiss, der vor allem die Agrarlobby zufrieden stellt. | |
Vier Minister verkündeten am Freitag, dass die Staatschefin gegen zwölf | |
Artikel der umstrittenen Novelle ihr Veto einlegen und 32 weitere | |
modifizieren werde. Einzelheiten würden aber erst am Montag (Ortszeit) | |
bekannt gegeben, hieß es. „Unklar bleibt, was sich de facto geändert hat“, | |
kritisierte der frühere Umweltstaatssekretär João Paulo Capobianco, „es ist | |
unverantwortlich, so mit diesem umstrittenen Thema umzugehen“. | |
Durch die Novelle wäre die zusätzliche Abholzung von über 750.000 | |
Quadratkilometern Wald legalisiert worden, einer Fläche von der doppelten | |
Größe Deutschlands. Illegale Rodungen bis 2008 sollten nicht geahndet, | |
Schutzzonen an Abhängen, Hügelkuppen und Flussläufen abgebaut werden. Die | |
mächtige Agrarlobby dominiert das Parlament und ist auch in Rousseffs | |
Mitte-links-Regierung vertreten. | |
Nach dem Teilveto der Präsidentin gebe es keine Amnestie für Waldzerstörer, | |
versicherte Umweltministerin Izabella Teixeira. Das derzeitige Waldgesetz | |
sieht vor, dass auf Privatgrundstücken in Brasilien ein bestimmter, je nach | |
Ökosystem variierender Anteil als „Naturreserve“ erhalten werden muss. In | |
Amazonien sind es 80 Prozent. Den Raubbau hat das Waldgesetz dennoch nicht | |
verhindern können, allzu oft bleiben Prozesse gegen Waldzerstörer im | |
Justizsystem stecken. „Alle werden wiederherstellen müssen, was zerstört | |
wurde“, versprach Teixeira. | |
Dies steht in Widerspruch zur Ankündigung, nun sei man vor allem den | |
Kleinbauern entgegengekommen. Diese, so viel nahmen die Minister vorweg, | |
brauchen künftig nur noch jeweils 5 bis 15 Meter statt bisher 30 Meter bei | |
bis zu 10 Meter breiten Flüssen aufforsten. „Zehn Jahre Raubbau werden | |
amnestiert“, analysiert der sozialistische Abgeordnete Ivan Valente. Kátia | |
Abreu, Vorsitzende des Großfarmerverbandes CNA und Senatorin, lobte die | |
patriotische Haltung Rousseffs, die angeblich alle Interessen | |
berücksichtigt habe. | |
Der Abgeordnete Homero Pereira freute sich, dass die Verhandlungen nach | |
Rio+20 „in aller Ruhe“ weitergehen. Nach der Verkündung von | |
Übergangsbestimmungen in Form eines Dekrets ist wieder das Parlament am | |
Zug. Ob das Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft tritt, ist ungewiss. So hat | |
Rousseff ihr Hauptziel erreicht: Das unbequeme Thema Waldgesetz ist vor dem | |
Umweltgipfel im Juni vom Tisch, die juristische Lage bleibt jedoch | |
unübersichtlich. | |
Das dicke Ende komme später, fürchten Umweltschützer. „Die Präsidentin hat | |
die Öffentlichkeit ausgedribbelt“, meint André Lima, Berater der Gruppe SOS | |
Atlantischer Regenwald – zu Recht: Die großen Medien übernahmen | |
größtenteils die Regierungsversion, wonach eine Amnestie ausgeschlossen | |
sei. | |
Die halbherzige Haltung der Regierung passt zu den geringen Erwartungen an | |
den Gipfel. „Es ist keine gute Zeit für eine Konferenz, die Großzügigkeit | |
und Führungskraft verlangt“, meint Luciano Coutinho, der Chef der | |
brasilianischen Entwicklungsbank BNDES. Chefunterhändler Luiz Alberto | |
Figueiredo Machado erinnert daran, dass auf dem Erdgipfel vor 20 Jahren | |
mehrere jahrelange Prozesse in die Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention | |
oder der Konvention für biologische Vielfalt gemündet waren. | |
Rio+20 könne hingegen ein Ausgangspunkt für neue Entwicklungen werden, | |
hofft Figueiredo, so solle die Formulierung von „Zielen für nachhaltige | |
Entwicklung“ eingeleitet werden. Er hält die Einigung auf „fünf oder sech… | |
Ziele für möglich, die 2015 in Kraft treten könnten, etwa zu den Themen | |
Energie, Wasser, Städte oder Meere. Für eine deutliche Aufwertung des | |
UN-Umweltprogramms, wie sie die EU und afrikanische Länder fordern, kann | |
sich der Brasilianer nicht erwärmen: „Wichtiger als das Format sind die | |
Inhalte.“ | |
28 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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Konferenz | |
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