| # taz.de -- UN-Umweltchef Steiner über Rio+20: Schluss mit den Benzin-Subventi… | |
| > UN-Umweltchef Steiner erklärt, wie er mit „grüner Wirtschaft“ in Rio den | |
| > Globus retten will. Und er spricht über Risiken für die Natur und | |
| > selbstkritische Deutsche. | |
| Bild: Echter Gipfel: In Rio de Janeiro treffen sich die Konferenzteilnehmer. | |
| taz: Herr Steiner, ist unerschütterlicher Optimismus eigentlich ein | |
| zwingendes Einstellungskriterium für Ihren Job? | |
| Achim Steiner: Ja, ich denke, Optimismus muss dazugehören. Schließlich ist | |
| es ja Teil meiner Aufgabe, Menschen zu vermitteln, dass es Lösungen für die | |
| drängenden Umweltprobleme gibt. | |
| Aber gibt es 20 Jahre nach Rio wirklich Anlass für Optimismus? Viel bewirkt | |
| haben die Erkenntnisse von damals ja nicht. | |
| Das stimmt, die Bilanz fällt tatsächlich dramatisch aus: Unser jüngster | |
| Bericht zum Zustand der weltweiten Umwelt hat gezeigt, dass sich praktisch | |
| alle Umweltprobleme verschärft haben. Vieles von dem, was wir vor 20 Jahren | |
| noch als mögliche Zukunftsszenarien beschrieben haben, wird mittlerweile | |
| Realität. Aber dadurch steigt auch der Handlungsdruck: Dass es so auf Dauer | |
| nicht weitergehen kann, haben die meisten Menschen inzwischen erkannt. | |
| Ihr zentraler Vorschlag ist die „Green Economy“. Glauben Sie, dass die in | |
| absehbarer Zeit Realität wird? | |
| Sie ist es teilweise schon. Viele Länder haben begonnen umzusteuern. So gab | |
| es trotz Wirtschaftskrise im Jahr 2011 wieder eine Rekordinvestition in | |
| erneuerbare Energien. Allerdings geht der Wandel immer noch viel zu | |
| langsam. | |
| Warum dauert es denn so lange? Sie schreiben ja in Ihrem Bericht, dass die | |
| Green Economy der klassischen Wirtschaft auch ökonomisch überlegen ist. | |
| Dann müsste es doch eigentlich von allein laufen. | |
| Zum einen ist die Politik sehr vorsichtig. Niemand möchte sich dem Vorwurf | |
| aussetzen, Arbeitsplätze oder Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. | |
| Zum anderen halten Teile der Wirtschaft natürlich erst mal an den | |
| bestehenden Strukturen fest, in die sie investiert haben. Dieser Lobbyismus | |
| verhindert oder verlangsamt Reformen – auch in Deutschland, wo die großen | |
| Energiekonzerne nicht gerade zu den Vorreitern der Energiewende gehören. | |
| Zudem gibt es immer noch falsche Anreize. Solange wir fossile Brennstoffe | |
| weltweit jährlich mit 600 Milliarden Dollar subventionieren, haben es | |
| andere Energieformen schwer. Dies zu korrigieren ist daher auch eine der | |
| Forderungen in Rio. | |
| Langen denn gute Argumente, um diesen Wandel durchzusetzen? Schließlich | |
| sind mit Umweltzerstörung, etwa durch fossile Energieträger, gewaltige | |
| Macht- und Geldinteressen verbunden. Die Kohle- und Öllobby wird es nicht | |
| einfach schlucken, dass ihre Subventionen gestrichen werden. | |
| Ich sage ja nicht, dass es einfach wird. Aber unsere wichtigste Aufgabe ist | |
| es zunächst mal, darüber aufzuklären, was die Konsequenzen der bisherigen | |
| Politik sind – und dass es vielversprechende Alternativen gibt. In einer | |
| Demokratie ist ein gesellschaftlicher Konsens die beste Voraussetzung | |
| dafür, dass wir Politik gestalten können. | |
| Widerstand gegen Ihr Konzept gibt es auch von einigen Umweltorganisationen, | |
| gerade auch aus Lateinamerika. Sie fürchten, dass die Green Economy zu | |
| verstärkter Kommerzialisierung der Natur führt. Unep will der Natur einen | |
| Wert zuweisen – da ist der Schritt hin zur Ware nicht mehr weit. | |
| Dass manche da ein Risiko sehen, kann ich nachvollziehen. Aber ist das | |
| Risiko für die Natur nicht um ein Vielfaches höher, wenn unsere | |
| Volkswirtschaften den Wert der vielfältigen Dienstleistungen unserer | |
| Ökosysteme mit null beziffern? Unser Ansatz, den Dienstleistungen der Natur | |
| einen ökonomischen Wert zuzuweisen, muss keinesfalls zu einer verstärkten | |
| Ausbeutung, einer Kommerzialisierung führen. Im Gegenteil: Auf Grundlage | |
| der ökonomischen Bewertung kann ein Land gerade die Entscheidung treffen, | |
| Nachhaltigkeitskriterien für Wirtschaftszweige und Unternehmen einzuführen, | |
| Nutzungen einzuschränken und Schutzgebiete auszuweisen. | |
| Kritisiert wird auch, dass Sie zur Lösung der Umweltprobleme stark auf | |
| marktbasierte Lösungen setzen. Ist ein solches Vertrauen auf Märkte nach | |
| den jüngsten Krisen noch angebracht? | |
| Wer unseren Green Economy Report liest, wird feststellen, dass genau dies | |
| nicht unsere Schlussfolgerung ist. Wir können zwar nicht so tun, als ob | |
| sich die Weltwirtschaft heute oder in Zukunft in einem marktfreien Raum | |
| bewegt. Aber eine zentrale Erkenntnis des Berichts ist, dass der Markt | |
| allein nicht in der Lage ist, auf Grundlage von Angebot und Nachfrage den | |
| Wert von Natur für unser Dasein adäquat zu erfassen. Darum müssen wir | |
| Märkte gestalten, indem wir Rahmenbedingungen schaffen und Grenzen setzen, | |
| etwa durch gezielte Steuer- und Subventionspolitik. | |
| Aber die Grundlage der Märkte, das kapitalistische System, stellen Sie | |
| nicht in Frage. Kann es denn in einem System, das auf permanentes Wachstum | |
| angewiesen ist, gelingen, den Ressourcenverbrauch zu stoppen? | |
| Auch hier muss ich widersprechen. Der Bericht spricht sich nicht für den | |
| Kapitalismus aus und schon gar nicht für blinden Wachstumsglauben. Vielmehr | |
| bezweifelt er, dass uns das ungezügelt in eine nachhaltige Zukunft tragen | |
| kann. Aber wir müssen uns auch den Realitäten stellen: Vom wirtschaftlichen | |
| Handeln auf diesem Planeten finden etwa 25 Prozent in öffentlichen | |
| Haushalten statt und drei Viertel in Märkten, vom Kleinbauern bis zum | |
| Multi. Veränderungen können in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen | |
| stattfinden. Aber es bringt nichts, einen Idealzustand für die ferne | |
| Zukunft zu beschreiben. Wir haben nicht die Zeit, eine neue Weltwirtschaft | |
| zu erfinden. | |
| Was heißt das? | |
| Wir müssen in der Wirklichkeit, die wir heute haben, schnellstmöglich | |
| Veränderungen herbeiführen. Und zeigen, dass es möglich ist, die | |
| wirtschaftliche Entwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. | |
| Aber geht das wirklich? Frisst nicht das stetige Wachstum alle Fortschritte | |
| bei der Effizienz wieder auf? | |
| Dass die Entkopplung möglich ist, ist keine Frage des Glaubens, sondern | |
| eine Realität. Durch den Übergang von der Glühbirne zur LED-Technik können | |
| wir heute in einem Gebäude mit einem Zehntel des Stromverbrauchs die | |
| gleiche Menge Licht bereitstellen. | |
| Was aber den Verbrauch nicht senkt, wenn gleichzeitig immer mehr Menschen | |
| in immer mehr Häusern immer mehr Licht haben wollen. | |
| Aber was ist denn die Alternative? Bis 2050 wird es wahrscheinlich neun | |
| Milliarden Menschen geben, und viele werden ihren Konsum erhöhen. Wir | |
| können uns nicht darüber hinwegsetzen, dass vor allem in den | |
| Entwicklungsländern erst einmal mehr verbraucht wird. Ziel kann nur sein, | |
| das so effizient wie möglich zu tun – durch Technologie einerseits und | |
| durch die richtigen Anreizsysteme andererseits. Es ist ja immer noch so, | |
| dass gute Dinge wie Arbeit hoch besteuert werden, schlechte wie | |
| Ressourcenverbrauch hingegen niedrig. | |
| Selbst im reichen Deutschland ist es schwierig, das zu ändern. Sobald hier | |
| die Umlage für Ökostrom ansteigt, wird gleich die ganze Energiewende in | |
| Frage gestellt. Wie soll das im Rest der Welt klappen? | |
| Wir Deutschen sind oft zu selbstkritisch. Dass heute ein Fünftel des Stroms | |
| aus erneuerbaren Energien stammt, dass die Solarenergie so viel produziert | |
| wie 20 Atomkraftwerke, das galt vor kurzem noch als Jules-Verne-Illusion. | |
| Diese Erfolge sollten uns ermutigen, das Klimaziel – unsere CO2-Emissionen | |
| bis 2050 um 80 Prozent zur verringern – als Chance zu begreifen und nicht | |
| bei jeder Herausforderung gleich das Handtuch zu werfen. Und man sollte | |
| auch nicht übersehen, aus welcher Ecke diese Zweifel oft geschürt werden. | |
| Aber wie lässt sich verhindern, dass die Ärmsten die Verlierer des Umstiegs | |
| sind? | |
| Umweltpolitik im 21. Jahrhundert muss eine aktive sozialpolitische | |
| Komponente haben. Ökologische Wirtschaftspolitik muss nicht auf Kosten der | |
| Armen geschehen. Und man darf nicht vergessen: Nichts zu tun ist auch nicht | |
| billig. Ein steigender Ölpreis hat ja auch finanzielle Konsequenzen. Und | |
| während fossile Rohstoffe immer teurer werden, je mehr wir verbrauchen, | |
| werden Erneuerbare mit zunehmender Nutzung immer billiger. | |
| Sie haben Deutschland Vorreiter der Green Economy genannt. Doch Kanzlerin | |
| Angela Merkel will gar nicht erst nach Rio reisen. Enttäuscht Sie das? | |
| Frau Merkel wird vermisst werden in Rio, daran besteht kein Zweifel. Solche | |
| Gipfel leben davon, dass die Regierungschefs am Tisch sitzen, denn manche | |
| Entscheidungen können eben nur auf höchster Ebene getroffen werden. Darum | |
| finde ich es schade, dass sie nicht kommt. | |
| 17 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
| Malte Kreutzfeldt | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
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