# taz.de -- S-Bahn vor Ausschreibung: Fahrt ins Ungewisse | |
> Verkehrssenator Michael Müller (SPD) will die Teilausschreibung der | |
> S-Bahn, seine Fraktion neigt zur Gesamtausschreibung, zugunsten der | |
> Deutschen Bahn. | |
Bild: Da stimmt die Chemie zwischen Müller (links) und den Bahnern Ingulf Leus… | |
Die Zeit drängt: In fünf Jahren läuft der S-Bahn-Vertrag aus – und | |
mindestens so lange dauert es, neue Züge bauen zu lassen. Verkehrssenator | |
Michael Müller (SPD) will deshalb noch im Sommer entscheiden, wie es | |
weitergeht. Müller neigt nach eigenen Worten dazu, nicht länger den | |
kompletten Betrieb einem Unternehmen zu geben: Er will die sogenannte | |
Teilausschreibung. Seine Fraktion aber will offenbar alles in einer Hand | |
belassen und am Betrieb durch die Deutsche Bahn festhalten – sie bevorzugt | |
eine Gesamtausschreibung und wartet dazu noch auf ein Gutachten. Für die | |
CDU-Fraktion kommt wie für Müller nur eine Teilausschreibung infrage. | |
Zur Erinnerung: Beim bisherigen Betreiber S-Bahn GmbH, einer Tochter der | |
Deutschen Bahn AG, kam es im Zuge von Missmanagement und bewusstem | |
Verschleiß zu Zugausfällen in immensem Ausmaß. Weiterhin sind längst noch | |
nicht wieder alle Wagen auf der Schiene, die laut Vertrag fahren müssten. | |
Eine Entscheidung ist zwar in der SPD noch nicht gefallen, aber viele | |
Verantwortliche in der SPD scheinen das S-Bahn-Desaster verdrängt oder sich | |
an die fortwährenden Ausfälle gewöhnt zu haben. Fraktionschef Raed Saleh | |
gehört dazu genauso wie Daniel Buchholz, der Chef der | |
Fraktionsarbeitsgruppe Daseinsvorsorge, kurz „AG Davos“. Gab es auf dem | |
Höhepunkt der S-Bahn-Krise noch den Wunsch, sich von der Abhängigkeit von | |
der Deutschen Bahn zu befreien, scheint das nun Vergangenheit. | |
Eine Teilausschreibung ist für Buchholz eine Art Büchse der Pandora – | |
einmal geöffnet, ließe sie sich nicht mehr schließen. Das vermeintliche | |
Übel der Privatisierung der S-Bahn wäre in der Welt. „Mit der Deutschen | |
Bahn können die meisten in der Fraktion besser leben als mit einer | |
Aufsplittung“, sagt er. | |
Eine Gesamtausschreibung, die die Bahn begünstigen würde, ist aber | |
juristisch umstritten. Ob sie möglich ist, beschäftigt gerade im Auftrag | |
der SPD den Wissenschaftlichen Dienst des Abgeordnetenhauses. | |
Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop ist eine derjenigen Abgeordneten, die | |
eine Gesamtausschreibung für unmöglich hält: „Faktisch hieße das, dass man | |
den Betrieb wieder an die Deutsche Bahn vergibt – und das nach allem, was | |
die uns zumutet.“ | |
Pop hatte sich dafür stark gemacht, dass Berlin selbst Züge kauft und sich | |
dann einen Betreiber sucht. Bringt der schlechte Leistung, könne man ihn | |
zügig durch einen anderen ersetzen. Derzeit hat nur die Deutsche Bahn jene | |
besonderen Wagen, die nur auf Berliner Gleisen fahren können, und dadurch | |
eine Monopolstellung. | |
SPD-Mann Buchholz lehnt einen landeseigenen Wagenpark ab: Zu schwierig wäre | |
dann die Vertragsgestaltung bei möglicherweise drei Teilbetreibern, dem | |
Land als Auftraggeber und der Deutschen Bahn, der weiterhin Bahnhöfe und | |
Gleise gehören. „Wie man das macht, kann man sich doch beim Regionalverkehr | |
abgucken“, sagt Pop. | |
„Es läuft auf eine Teilausschreibung hinaus“, sagt CDU-Verkehrspolitiker | |
Oliver Friederici. Seine Fraktion hat in Sachen S-Bahn einen echten Wandel | |
hinter sich: Anfang 2010 warnte die Union gemeinsam mit der Linkspartei vor | |
einer „Zerstückelung“ des Netzes. Die Rechtslage sei inzwischen eine | |
andere. | |
Während Senator Müller auf eine zügige Entscheidung drängt, will sein | |
Parteifreund Buchholz das Gutachten abwarten: „Wir sind sowieso hinter dem | |
Zeitplan, da macht ein Monat früher oder später auch nichts mehr.“ Das ist | |
selbst in der SPD-Fraktion nicht einhellige Meinung: Ihr Verkehrspolitiker | |
Ole Kreins will wie Müller eine Entscheidung noch vor der Sommerpause: Wenn | |
die Ergebnisse von Buchholz’ AG Davos dann nicht vorlägen, könnten sie eben | |
nicht berücksichtigt werden. | |
29 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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