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# taz.de -- Debatte Tierschutz: Alle Maßstäbe verrutscht
> Die private Haltung von Diskusfischen und Co. ist Passion, keine
> Quälerei. Rufe nach einem Verbot gründen zu sehr auf Gefühligkeit und
> Ideologie.
Bild: Protest gegen Tierquälerei muss sein. Doch was ist mit Menschen, die Tie…
Zehn Jahre ist der Tierschutz nun Staatsziel in Deutschland. Dennoch, klagt
die taz unisono mit Tierschützern, sei das Tierschutzgesetz ein „Gesetz des
Grauens“, die geplante Reform reiche bei weitem nicht aus.
Nun ist es ja immer wohlgefällig, Gutes für Tiere zu fordern. Da stimmt
jeder zu, vom Großmütterchen bis zum Schweinebaron. Stellt sich nur die
Frage, was gut ist für Tiere – und was für Menschen.
In den letzten Jahrzehnten ist eine zunehmende Radikalisierung der
Tierschutzszene zu beobachten. Klassische Positionen, die das Leid des
Individuums verhindern oder mildern wollen, werden zunehmend von Ideen
verdrängt, die Tiere mit Grundrechten vergleichbar den Menschenrechten
ausstatten wollen.
In der Folge verrutschen die Maßstäbe. Es mangelt ja nicht an Tierleid, das
objektiv zu belegen wäre. Gesundheitliche Beeinträchtigung und Schmerz sind
weitgehend unstrittig feststellbar. Inwieweit sie in Abwägung des Nutzens
für den Menschen toleriert werden, ist ein dynamischer gesellschaftlicher
Prozess, der im Tierschutzgesetz seinen Ausdruck findet.
## Mangel an objektiven Kriterien
Zunehmend fehlen jedoch objektive Kriterien und werden durch reine
Gefühligkeit und Ideologie ersetzt. So fordert der Deutsche Tierschutzbund
ein Verbot von sogenannten Qualzuchten. Nur sind diese längst untersagt. Es
geht also um die Interpretation dessen, was eine Qualzucht ist.
In der taz wurde das so verkürzt, dass „Genmanipulation bei Heimtieren
komplett verboten“ werden müsse. Soll also zukünftig jedem Kaninchenzüchter
das Handwerk gelegt werden, der neue Farbschläge seiner Lieblingslangohren
herauszüchtet? Auch dabei handelt es sich fraglos um „Genmanipulationen“.
Wer das für spitzfindig hält, muss nur eine Forderung weiter schauen: zum
Verbot der Exoten-Haltung. Das klingt für viele erst mal vernünftig.
„Exoten“ – so was hat man gern im Urlaub auf Zeit um sich, aber nicht auf
Dauer zu Hause.
## Leidenschaft nicht untersagen
Dass allerdings praktisch sämtliche Aquarienfische, Käfigvögel, Reptilien,
Amphibien und Wirbellose unter diese Kategorie fallen, verdeutlicht die
Dimension der Auseinandersetzung. Millionen Menschen in Deutschland wären
von einem solchen Verbot betroffen, zumal es auch „Klassiker“ wie
Chinchillas und Griechische Landschildkröten betreffen soll.
Man mag sie ja verlachen, die verschrobenen Gestalten, die ihre Keller
vollstellen mit Aquarien, um dort hunderte kleine bräunliche Fischchen oder
Krebse zu päppeln, die für den unbedarften Betrachter alle gleich aussehen,
man mag jeden für spinnert halten, der seine Zuneigung ausgerechnet auf
Vogelspinnen ausdehnt – aber muss man solche Leidenschaft, nur weil man
selbst sie nicht nachvollziehen kann, untersagen? Mit welchem Grund? Und
wessen Leid mag größer sein: das des liebevoll umhegten Sittichs oder das
der allein lebenden Oma, die dann auf seine Haltung verzichten müsste?
## Suggestive Kraft der Bilder
„Exoten im normalen Haushalt sind zum Eingehen verdammt und müssen
gesetzlich verboten werden“, fordert der Sprecher des Tierschutzbundes,
Marius Tünte. Man muss annehmen, dass er dabei bewusst die Unwahrheit sagt,
will man ihn nicht für völlig naiv halten.
Gesetzt wird auf die suggestive Kraft der Skepsis vor dem Fremden und des
Bildes. In einer Tierschutzbund-Broschüre wurde unlängst als Beleg für
untragbare Zustände ein Chamäleon gezeigt, dem die Haut vom Leib blätterte
– dabei ist die Häutung ein völlig normaler, biologisch zwingend
notwendiger Vorgang. Als neueste Waffe im ideologischen Krieg wird nun die
Gefahr durch Salmonellen beschworen, die Reptilien oft in sich tragen. Was
sie allerdings mit Huhn, Brieftaube und Wellensittich gemein haben, worüber
dann lieber geschwiegen wird.
Hunderttausende Tierhalter hegen und pflegen ihre „Exoten“ von Diskusfisch
bis Königspython, ohne dass irgendein objektives Kriterium von Tierleid zu
diagnostizieren wäre. Die Tiere bleiben gesund, vermehren sich fröhlich und
erreichen ein – im Vergleich zu ihren Artgenossen in der Natur – geradezu
biblisches Alter. Es ist ohne Zweifel sowohl aus technischer wie
tierschützerischer Sicht erheblich problemloser, eine Vogelspinne oder
einen Pfeilgiftfrosch zu halten als einen Hund oder eine Katze.
Das soll nicht Tierschutzprobleme in Abrede stellen, die bei der Haltung
von „exotischen“ Arten ebenso auftreten wie bei klassischen Heimtieren. Wer
Tiere hält, trägt Verantwortung und muss wissen, was er tut. Darin
unterscheiden sich Schlange und Buntbarsch aber nicht von Meerschweinchen
und Schäferhund.
## Nützliche Hobbyforscher
Zoologen weisen zudem regelmäßig darauf hin, dass das Heer der unbezahlten
Hobbyhalter in der Lage ist, wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln, die
von der professionellen Forschung niemals zu gewinnen wären. Ein Wissen,
das nicht nur einen Wert an sich darstellt, sondern im Artenschutz von
entscheidender Bedeutung ist.
Natürlich steht auf der Gegenseite die Gefahr, durch den Fang von wild
lebenden Tieren übermäßiges Leid und Schaden an natürlichen Populationen zu
verursachen. Das aber sind Probleme, denen durch konsequente Anwendung und
notwendige Anpassung bestehender Regelungen begegnet werden kann. Es ist
etwa wie beim Umgang mit dem Internet: Nur weil etwas Gefahren oder
Missbrauchsmöglichkeiten birgt, sollte es noch lange nicht massiv
eingeschränkt oder gar generell verboten werden.
## Tiere zur Persönlickeitsentfaltung
Für all die Tierhalter ist die Beschäftigung mit ihren Pfleglingen eine
Passion, ein wichtiger Teil der eben auch grundgesetzlich geschützten
Persönlichkeitsentfaltung.
Um diese einzuschränken, sollte man schon bessere Argumente haben als
gefühltes Wissen und eine Ideologie, die von der übergroßen Mehrheit der
Menschen nicht geteilt wird.
Solange sich der deutsche Tierschutz davon nicht befreit, muss man geradezu
dankbar sein, dass auch in der Novelle des Tierschutzgesetzes ein
Verbandsklagerecht, wie es eigentlich sinnvoll wäre und sich im Natur- und
Artenschutz längst bewährt hat, nicht vorgesehen ist.
31 May 2012
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Schwerpunkt Artenschutz
Zoophilie
Tierschutzgesetz
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