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# taz.de -- Schildkröten sind keine Haustiere: Freiheit statt Salatkopf!
> In Südfrankreich hat Bernard Devaux ein Schutzzentrum für
> Landschildkröten aufgebaut. Er kämpft für deren Überleben in der Wildnis.
Bild: Die im Mittelmeerraum lebende Griechische Landschildkröte Testudo herman…
GONFARON taz | „Reptilien kann man nicht domestizieren“, erklärt Bernard
Devaux. Er spricht mit sanfter Stimme und wirkt nicht gerade wie ein
Rebell. Trotzdem formuliert er glasklare und kämpferische Sätze. Wir stehen
zwischen den Gehegen des „village des tortues“, des Schildkrötendorfs, das
Devaux in den Jahren 1987 und 1988 zusammen mit dem britischen Ökologen
David Stubbs in Südfrankreich, in der Plaine des Maures, der Ebene auf der
Nordseite des maurischen Gebirges, gegründet hat.
Das Massif des Maures ist nur wenig besiedelt und von Kork- und
Steineichenwäldern überzogen. Dazwischen gibt es Buschwald, der nach
Waldbränden entsteht – wegen glimmender Zigarettenstummel, Streichhölzern
oder Scherben, die zum Brennglas werden.
Diese Landschaft im Süden Frankreichs ist – neben Korsika – das letzte
Refugium für die „tortue d’Hermann“. Die bis zu etwa 20 Zentimeter groß
werdende Landschildkröte mit wissenschaftlicher Bezeichnung Testudo
hermanni hermanni ist eine Unterart der Griechischen Landschildkröte.
Bis zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war sie an der ganzen französischen
Mittelmeerküste verbreitet. Vor etwa 50 Jahren sei sie aus der Region
Languedoc-Roussillon verschwunden, erzählt Devaux. Aus dem Departement
Bouches du Rhône vor etwa 40 Jahren. Und vor ungefähr 30 Jahren aus dem
Departement Alpes Maritimes.
„Der Mensch ist die größte Bedrohung für die Schildkröte.“ Devaux
erläutert: motorisierter Straßenverkehr, denn die Panzer der Schildkröten
seien zerbrechlich. Zersiedelung der Landschaft, weitläufige Golfplätze.
All das raube den Schildkröten eben ihren Lebensraum.
Vehement wehrt sich der Experte aber auch gegen ein zweites Hauptproblem:
Die possierlich anzuschauenden Reptilien würden leider gern als Haustier
gehalten. Aber das, da solle man sich bitte nicht täuschen, sei absolut
nicht artgerecht.
Man schätzt, dass noch etwa 150.000 Exemplare der „tortue d’Hermann“ wild
in den Maurischen Bergen und der angrenzenden Ebene leben – und genauso
viele in den privaten Haushalten allein des Departements Var. Es gebe
durchaus Gärten, in denen man ein paar Hundert dieser kleinen Schildkröten
einfach so als „plaisir“ gefangen halte.
Und was ist mit dem Schildkrötendorf selbst? Eine Praktikantin führt uns
durch die Anlage. Lea zeigt uns die gut sichtbaren, von den Krallen
gescharrten Wege der Schildkröten, die auf der Suche nach Freiheit ständig
an den Zäunen entlangkriechen. Das macht hier niemanden glücklich. Kein
einziges Tier, versichert Lea glaubhaft, sei von Bernard Devaux und seinem
Team gefangen oder dazugekauft worden.
## Auch der Zoll kommt vorbei
Es hat sich vielmehr herumgesprochen, dass in Gonfaron jemand ein Herz für
Schildkröten hat. Von überallher bringen die Leute ihre kranken oder
verletzten Tiere. Und längst ist es auch der Zoll, der immer wieder auf der
Matte steht – denn wohin sonst mit unerlaubt eingeführten und deshalb
beschlagnahmten Schildkröten?
So kommt es, dass man hier sozusagen alles antrifft, was einen Panzer hat.
Devaux und seine Leute bemühen sich redlich – Wärmelampen und eine Art
Tropenhaus für die großen aus Afrika stammenden Landschildkröten.
Schwimmbecken für die Wasserschildkröten aus Florida mit großen
Kieselsteinen zum Ausruhen. Von Wasserläufen durchzogene Graslandschaften
für die Europäische Sumpfschildkröte, von der es extrem wenige Exemplare
auch noch in Deutschland gibt.
Die „terra typica“ für die in Südfrankreich heimische, nach dem Forscher
Jean Hermann benannte Schildkröte, ist am leichtesten herzustellen –
einfach alles lassen, wie es ist. Trockenes, sandiges Gelände mit Eichen,
wildem Lavendel, Rosmarin. Warum dann auch für die Ureinwohner einen Zaun?
## Viele sind Hybride
Lea erklärt, dass Tiere, die das Leben in Freiheit nicht kennen, nicht ohne
Weiteres ausgesetzt werden können. Und – viele seien Hybride, auch wenn ein
Laie ihnen das nicht ansehe. Keinesfalls sollten sie sich mit den
autochthonen Schildkröten der Umgebung vermischen.
Lea steigt in das Gehege „Milieu provençal“. Zunächst ist kein Tier zu
sehen. Aber da im trockenen Laub raschelt es ganz heftig! Mit einer
schwarz-ockerfarbenen Schildkröte kommt Lea zurück an den Zaun – es sei ein
Männchen, diese seien etwas kleiner als die Weibchen. Die Praktikantin, die
hier unentgeltlich mitarbeitet, hat vor, den Naturschutz zu ihrem Beruf zu
machen. Es sei schwer, eine Anstellung zu bekommen, aber das sei ihr Traum,
und die Arbeit hier sicher eine gute Vorbereitung. Lea zeigt uns die
typische Zeichnung des kleinen „Hermann“, den gespaltenen Schwanzschild,
die zwei schwarzen Bänder auf der Bauchseite, den gelben Fleck auf der
Wange.
Zurück bei Devaux führt der uns auch noch zur einzigen europäischen
Schildkrötenklinik, die sich ebenfalls auf dem Gelände befindet. Er erzählt
uns von Reparaturen der Panzer nach Unfällen, von Viruserkrankungen, von
Folgen falscher Haltung. Die Klinik hat sich quasi als logische Konsequenz
aus der ständigen Arbeit mit den Tieren ergeben.
## Lebensraum schützen
Um die Hermann-Schildkröten zu erhalten, muss man ihren angestammten
Lebensraum schützen. Devaux, der auch schon als Komödiant, Journalist und
Filmemacher gearbeitet hat, bevor er zu einem der wohl ausgewiesensten
Schildkrötenkenner avancierte, ist froh, dass er und seine Mitstreiter
einen wichtigen Erfolg verzeichnen können: 2009 wurde ein Teil der Region
als „réserve naturelle nationale de la Plaine des Maures“ geschützt, womit
weiterer Überbauung Einhalt geboten ist. Und, da Gonfaron einen Bahnhof
habe, könne man schildkrötenfreundlich anreisen.
Eine Kinderschar kommt vorbei, und Devaux ist in seinem Element. Er zeigt
einen seiner Schützlinge und erklärt geduldig, dass es sich bei
Schildkröten um wilde und keine Streicheltiere handle und sie
Gefangenschaft einfach nicht mögen.
„Verstehst du, was Gefangenschaft bedeutet?“, fragt er ein kleines Mädchen.
Wohl kaum. Trotzdem ist er sich sicher, dass gerade Kinder, wenn sie von
hier weggehen, gelernt haben, dass Schildkröten kein Spielzeug sind.
Es seien die Erwachsene, die mit ihm diskutieren wollten und dann auch gern
behaupten, ihre zu Hause gehaltenen Schildkröten würden sich dort pudelwohl
fühlen. Devaux widerspricht kategorisch und empfiehlt einen ganz simplen
Test: „Machen Sie doch einfach ein Loch in Ihren Zaun und direkt daneben
legen Sie den allerschönsten Salatkopf. Die Schildkröte wird immer, immer
das Loch im Zaun wählen!“
11 Apr 2015
## AUTOREN
Gudrun Mangold
## TAGS
Schwerpunkt Artenschutz
Tierschutz
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