| # taz.de -- Interview mit der ADFC-Chefin: "Es gibt keinen Krieg auf der Straß… | |
| > Weniger Aggression und mehr Miteinander im Straßenverkehr wünscht sich | |
| > die neue ADFC-Vorsitzende Eva-Maria Scheel. Sie gibt aber zu: Man muss | |
| > ein sicherer Radfahrer sein in Berlin. | |
| Bild: Immer öfter heißt es im Berliner Straßenverkehr: Hier gehts für Radle… | |
| taz: Frau Scheel, wer in diesen Tag mit dem Rad in Berlin unterwegs ist, | |
| hat das Gefühl: So mit anderen Radlern voll waren die Straßen noch nie. | |
| Eva-Maria Scheel: Der Eindruck ist völlig richtig. Der Anteil der Radler | |
| ist ungeheuer angestiegen, auf 15 Prozent der Verkehrsteilnehmer. Das sind | |
| doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Und das macht sich | |
| selbstverständlich im Alltag bemerkbar. | |
| Wer sich umschaut, muss aber leider feststellen, dass viele Radler wenig | |
| von der Straßenverkehrsordnung halten. Zudem ist die Stimmung oft sehr | |
| aggressiv. | |
| Aggressive Menschen verhalten sich aggressiv im Straßenverkehr, egal ob sie | |
| Auto fahren oder Rad. Es bringt nichts, Verkehrsteilnehmer gegeneinander | |
| auszuspielen oder Feindbilder aufzubauen. Wir müssen gemeinsam vorgehen, | |
| das ist mir ganz wichtig – mit Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern. | |
| Was ist denn nötig – ganz konkret? | |
| Kurzfristig: die Freigabe von Einbahnstraßen in beide Richtungen für | |
| Radler. Dann: mehr Fahrradstraßen, auf denen Radler bevorzugt behandelt | |
| werden. Und vor allem: Die Radler sollen runter von den Radwegen auf die | |
| Straße. Wir brauchen mehr Radspuren auf der Fahrbahn. | |
| Die gibt es doch schon. | |
| Zwischen 2000 und 2011 wurden rund 100 Kilometer Radspuren angelegt. Das | |
| ist zu wenig. Radspuren haben den Vorteil, dass die Radler auf der Straße | |
| von Autofahrern gesehen werden. Der rot-schwarze Senat hat einen Etat von | |
| 5,5 Millionen Euro für die Radverkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt: | |
| Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um den bestehenden infrastrukturellen | |
| Defiziten im Bereich des Radverkehrs zu begegnen. | |
| Radspuren fordert der ADFC schon lange. Verbessert hat das wenig. Werden | |
| Sie nicht gehört? | |
| Wir werden durchaus gehört. Der Senat fordert ja auch Radspuren, | |
| Verkehrssenator Michael Müller hat das vor Kurzem bekräftigt. Das zeigt | |
| auch die aktuelle „Rücksicht“-Kampagne … | |
| … dabei wird mit einer Getränkedose und einem Radmotiv geworben. | |
| Hier ziehen zum ersten Mal alle an einem Strang: Senat, ADAC, ADFC, die | |
| BVG. Die Kampagne ist auf zwei Jahre angelegt und wird wissenschaftlich | |
| begleitet: Wir müssen schauen, wie viel sie am Ende gebracht hat. | |
| Was erhoffen Sie sich davon? | |
| Wir können keine Tausende erreichen. Aber wenn die Kampagne bewirkt, dass | |
| sich Menschen angesprochen fühlen und dadurch aufmerksamer werden im | |
| Straßenverkehr, dann haben wir schon etwas geschafft. | |
| Was sagen Sie zu dem Begriff „Kampfradler“, mit dem sich | |
| Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer vor Kurzem auf die Straße gewagt hat? | |
| Es gibt keine Kampfradler. Es gibt auch keinen Krieg auf der Straße. Dieser | |
| Ansatz ist falsch, er polarisiert, spielt Verkehrsteilnehmer gegeneinander | |
| aus. Das bringt uns nicht weiter. | |
| Als Fußgänger sind uns schon ein paar Kampfradler begegnet. Die brettern | |
| dann über den Bürgersteig, ohne Rücksicht zu nehmen. Die nerven! | |
| Es gibt Radler, die auf dem Bürgersteig unterwegs sind. Aber häufig ist es | |
| so, dass diese Radler schlicht gefährlichen Situationen auf der Straße aus | |
| dem Weg gehen wollen. Deswegen fordern wir ja auch den Umbau großer | |
| Kreuzungen. Ich kenne viele Radfahrer, die einfach sehr ängstlich sind. Die | |
| sagen: Ich traue mich nicht, auf der Straße zu fahren. Und die auf den | |
| Bürgersteig ausweichen. Dann entstehen diese Konfrontationen. | |
| Wenn Sie Prioritäten setzen dürften: Müssten zuerst die Radwege in | |
| miserablem Zustand repariert werden, oder sollten besser neue Radspuren | |
| angelegt werden? | |
| Es gibt tatsächlich jede Menge sanierungsbedürftige Radwege. Viele sind | |
| durch Wurzelwerk stark beschädigt, aber trotzdem freigegeben. | |
| Auf denen kann man praktisch nicht fahren. | |
| Ganz genau. Die zu sanieren ist ganz wichtig, und der Etat dafür reicht | |
| nicht aus. Andererseits ist es genauso wichtig, Radspuren anzulegen. | |
| Wenn man aber schlechte, nicht benutzungspflichtige Radwege meidet und auf | |
| der Fahrbahn fährt, wird man von manchen Autofahrern regelrecht gemobbt: | |
| Sie überholen auf Tuchfühlung, hupen … Müsste man nicht eine Kampagne | |
| machen, um diese Autofahrer zu erziehen? | |
| Das Thema, um das es hier geht, heißt Aufklärung. Bei den Radspuren, aber | |
| auch bei Fahrradstraßen und der Freigabe von Einbahnstraßen in | |
| Gegenrichtung. Ich persönlich fahre nur Rad und merke oft, dass die | |
| Straßenverkehrsordnung nicht bekannt ist, dass viele einfach die Regeln | |
| nicht kennen. Auch ich werde jeden Morgen angehupt oder abgedrängelt, man | |
| zeigt mir den Vogel, alles Mögliche. Aber die Autofahrer wissen einfach | |
| nicht Bescheid. Da ist der Senat gefordert, auch mal eine Kampagne zu | |
| starten. | |
| Klingt, als hätten Sie Verständnis für diese Autofahrer. | |
| Es geht darum, dass viele neue Regeln zu wenig bekannt sind. | |
| Die Sternfahrt am Sonntag ist für viele Radfahrer das beglückende Erlebnis, | |
| die Straßen der Stadt einmal ganz für sich zu haben. Wäre es nicht an der | |
| Zeit, reguläre autofreie Tage oder Zonen zu fordern? | |
| Mit der Sternfahrt schaffen wir es, ein Thema zu setzen. Dieses Jahr ist es | |
| „Berlin auf der Radspur“. Es hat sich bewährt, an diesem Tag zu zeigen: | |
| Fahrradfahren ist umweltfreundlich, macht Spaß, spart CO2 – aber | |
| gleichzeitig auf Defizite in der Infrastruktur aufmerksam zu machen. | |
| Wenn jemand in Ihrer Heimatstadt Münster Sie fragt, ob Rad fahren in Berlin | |
| Spaß macht, was antworten Sie dem? | |
| Ich fahre sehr gerne Rad in Berlin. Mit allen Handicaps, die man hat. Es | |
| gibt ja nicht nur die schlechten Beispiele, sondern auch die, wo der | |
| Verkehr Hand in Hand geht zwischen Auto- und Fahrradfahrern. Man muss ein | |
| sicherer Fahrer sein in Berlin. Es macht mir jeden Tag Spaß, neue Wege zu | |
| entdecken und schnell durch den Verkehr zu gelangen. | |
| 2 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prösser | |
| Bert Schulz | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Zwischen Menschen | |
| Touristen | |
| Fahrrad | |
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