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# taz.de -- Parlamentswahl in Frankreich: Wahlkampf bei den Ch'tis
> Bei der Parlamentswahl am Sonntag treten der Chef der radikalen Linken,
> Jean-Luc Mélenchon, und die Rechte Marine Le Pen im selben Wahlkreis
> gegeneinander an.
Bild: Politische Kontrahenten: Wahlplakate in Frankreich.
HÉNIN-BEAUMONT taz | „Viele Leute sind erfreut, andere nicht, das ist halt
die Demokratie“, meint Jean-Luc Mélenchon. Er fühlt sich bei der
Parlamentswahl als auswärtiger Kandidat willkommen bei den [1][„Ch'tis“] im
Norden Frankreichs.
In dieser ehemaligen Hochburg der Kohle- und Textilindustrie fanden in der
Vergangenheit historische Arbeitskämpfe statt. Am Sonntag organisiert
Mélenchon zusammen mit ehemaligen Grubenarbeitern und 3.000 Sympathisanten
einen Gedenkmarsch zu Ehren von Emilienne Mopty.
Sie wurde 1941 als Organisatorin einer Kundgebung der Frauen aus
Solidarität mit 100.000 Streikenden, die der Nazi-Invasion Widerstand
leisteten, verhaftet, gefoltert und schließlich in Köln hingerichtet.
Auf dem Markt von Noyelles-Godault sagt Mélenchon einer Gruppe von Jungen,
sie dürften nicht vergessen, wie hart (aber vergeblich) in diesem Ort noch
vor wenigen Jahren gegen die Schließung der Fabrik Metaleurop und für die
Entsorgung des durch Schwermetalle und Chemikalien vergifteten Bodens
gekämpft worden war.
„Hier ist eine Hochburg der Linken, aber wenn ihr euch nicht wehrt, werdet
ihr geschoren“, versichert er ihnen. Der Gründer der Parti de gauche,
Europaabgeordnete und Ex-Präsidentschaftskandidat ballt dazu seine Fäuste.
Für Mélenchon beschränkt sich seine Kandidatur im 11. Wahlkreis des
nordfranzösischen Departements Pas-de-Calais auf ein direktes Duell mit der
Rechtsextremistin Marine Le Pen. Bei der Präsidentschaftswahl kam sie hier
auf mehr als 30 Prozent.
Im 25.000 Einwohner zählenden Hénin-Beaumont gibt es großes Misstrauen
gegenüber der Politik. Schuld daran ist der frühere sozialistische
Bürgermeister, Gérard Dalongeville.
## In Haft wegen Korruption
Er sitzt wegen Korruption und Unterschlagung in Untersuchungshaft. Er wurde
zum negativen Aushängeschild einer Misswirtschaft und Korruption, welche
die seit Jahren in Nordfrankreich dominierende Linke und mit ihr die
gesamte Parteipolitik in Verruf gebracht hat.
In diesem Wahlkreis siegte der Sozialist François Hollande dennoch bei der
Präsidentschaftswahl mit mehr als 60 Prozent. Jetzt aber sagen viele
Linkswähler, dass sie lieber auf den roten Volkstribun Mélenchon setzen als
auf die durch Affären diskreditierten Sozialisten.
„Wir sind der beste Schutzwall gegen den FN“, verspricht Mélenchon. Eine
Umfrage sagt ihm mit 55 Prozent einen deutlichen Sieg gegen Le Pen im
zweiten Durchgang am 17. Juni voraus.
## Weiße Lilien
Wenn Marine Le Pen in Hénin-Beaumont wie an diesem Freitag mit einem Strauß
weißer Lilien im Arm auf dem Markt auftritt, wird sie mit ihrem Vornamen
begrüßt. Plötzlich ist die Parteichefin des FN von einer Gruppe jüngerer
Frauen umringt, denen sie wie ein Filmstar Autogramme auf die mitgebrachten
Fotos schreibt.
Der Fanklub besteht ausschließlich aus jungen Müttern zwischen 28 und 45
Jahren. „Marine, on t’adore!“ (Wir bewundern dich!), ruft eine entzückt.
Die FN-Kandidatin nimmt sich vor den Kameras Zeit, um die Huldigungen
entgegenzunehmen. Sie küsst ein Baby und erkundigt sich nach den Anliegen
dieser Wählerinnen, die sie hoffnungsvoll anschauen.
Deren Klagen, Geldsorgen oder Nachbarschaftsprobleme bestätigen nur die
Kampagne der Rechtspopulistin. Die Arbeitslosigkeit liegt hier bei 20
Prozent.
## Gegen nordafrikanische Immigranten
Auf dem Flugblatt, das die FN-Leute auf dem Markt verteilen, steht als
Slogan, Le Pen sei die Einzige, die sie verteidigen werde. Gegen wen? Das
muss sie schon gar nicht mehr selber sagen, ihre Kampagne gegen die
nordafrikanischen Immigranten ist allen hier bekannt.
Der pensionierte Bergmann Jacques Briche verwahrt sich dagegen, als Rassist
abgestempelt zu werden. Der 69-jährige Rentner wohnt in einem
Einfamilienhäuschen mit einem sehr gepflegten Vorgarten, doch seine
arbeitslose Tochter bekommt keine Unterstützung mehr, weil sie bei ihm
wohnt.
Er sagt nicht explizit, dass er für die FN-Parteichefin Marine Le Pen
stimmen werde. Doch er schimpft über die Araber, die kürzlich lautstark
über den Wahlsieg des linken Präsident François Hollande gejubelt und ihn
angepöbelt hätten.
## Verbale Ausfälle
„Die wirklichen Rassisten sind die Araber! Die glauben, sie hätten jetzt
alle Rechte“, schimpft er mit dem starken Akzent der Franzosen im Norden.
Vergeblich versucht der Kommunist Edmond Bruneel, der bei ihm auf seiner
Wahlkampftour für Mélenchon geklingelt hat, ihn zu überzeugen. Er erinnert
daran, dass im Bergwerk die Herkunft oder Hautfarbe für die „Gueules
noires“ (Schwarzgesichter) genannten Kumpel kein Thema war.
Das stimme schon, räumt Briche ein, aber er ist überzeugt, dass diese in
Frankreich geborenen Söhne seiner einstigen marokkanischen oder algerischen
Kollegen unter Tage gar nicht arbeiten wollen. Das Flugblatt der Linksfront
nimmt er trotzdem.
6 Jun 2012
## LINKS
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Willkommen_bei_den_Sch%E2%80%99tis
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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