# taz.de -- Eon-Chef Johannes Teyssen: „Der Engpass wird nicht so dramatisch�… | |
> Der Eon-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen befürchtet keine | |
> Stromausfälle, wenn das Kraftwerk Datteln ans Netz geht und Stromtrassen | |
> gebaut werden. | |
Bild: Stromnetze müssen so gut wie möglich ausgebaut werden! Denn der Windstr… | |
taz: Herr Teyssen, der Atomausstieg hat Eon 2011 mit 2,5 Milliarden Euro | |
belastet. Hätten Sie jemals gedacht, dass Ihnen eine schwarz-gelbe | |
Bundesregierung dermaßen die Bilanzen verhagelt? | |
Johannes Teyssen: Nein! Was Umfang und Geschwindigkeit angeht, war die | |
Energiewende überraschend für uns alle. | |
Dabei hatten Sie kurz zuvor mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten ja | |
einen schönen Sieg errungen. Dann wurden die Karten nach Fukushima neu | |
gemischt. | |
Das war kein Sieg, sondern eine politische Mehrheitsentscheidung. | |
Kernenergie ist in Deutschland seitdem Teil einer absehbaren Geschichte. | |
Anderswo sieht es anders aus – schauen Sie nur nach China oder | |
Großbritannien. | |
In der gesamten westlichen Welt läuft es mit der Atomenergie nicht gut – | |
allerdings eher wegen der Finanzprobleme als wegen Fukushima. | |
Eben. Ich laufe nicht mit Schaum vor dem Mund herum. Wenn die Politik die | |
offenkundige Mehrheitsmeinung des Volkes umsetzt, dann ist das so. Ich sage | |
nur: Zu so einer Entscheidung gehört auch eine angemessene Entschädigung. | |
Was meinen Sie genau? | |
Der Bundesumweltminister, die Reaktorsicherheitskommission – niemand hat | |
festgestellt, dass ein einziges deutsches Kernkraftwerk ein | |
Sicherheitsdefizit hat. Und trotzdem kann sich ein Land natürlich gegen | |
Atomkraft entscheiden. In einer bürgerlichen Demokratie darf sogar auch | |
notfalls enteignet werden. Man muss nur entschädigen. Das steht so im | |
Grundgesetz. Eigentlich gilt dieser Grundsatz schon seit der ersten | |
demokratischen Verfassung von 1848. | |
An welche Summe denken Sie? | |
Wir werden zunächst vor dem Verfassungsgericht eine Entschädigungsregelung | |
einklagen. Sobald diese geschaffen ist und das Verfassungsgericht sagt, das | |
sollen die Zivilgerichte entscheiden, dann werden wir den Schaden genauer | |
beziffern. Es lässt sich aber schon absehen, dass es um einen hohen | |
einstelligen Milliardenbetrag gehen wird. | |
Ein weiteres Kampfgebiet mit der Politik? | |
Nein, ich sehe das völlig emotionsfrei: wie mit einem kaputten Auto nach | |
einem Unfall. Das gebe ich meiner Versicherung und meinem Anwalt. Die | |
regeln das. Es hilft nicht, sich zu beklagen, das alte sei kaputt. Unsere | |
Klage richtet sich auch nicht darauf, stillgelegte Kernkraftwerke | |
irgendwann wieder in Betrieb zu nehmen. Politisch sind die Weichen anders | |
gestellt und dies wird auch so bleiben. | |
Das derzeitige PR-Gewitter aus der Energiebranche in Sachen Stromtrassen | |
lässt anderes befürchten. Die Industrie beschwört gar Schreckensszenarien | |
wegen der Energiewende. Halten Sie einen Stromausfall für möglich? | |
Wenn wir vor allem die wichtigen Nord-Süd-Stromtrassen rechtzeitig bauen | |
und ein paar fast fertige Kraftwerke wie das in Datteln ans Netz bekommen, | |
wird der Engpass bis zum Wechsel der Dekade gar nicht so dramatisch. | |
Warum dann die Aufregung? | |
Ich bin nicht aufgeregt. Allerdings: Wir laufen mit der Feuerklatsche | |
hinter Symptomproblemen hinterher. Ich meine, für eine Entscheidung derart | |
existenzieller Art müssten wir endlich eine grundsätzliche Debatte führen: | |
Nach welchen Kriterien wäre eigentlich die Energiewende erfolgreich? Wenn | |
die Kernkraftwerke weg sind? Das Kriterium wäre erfüllt. Wenn der | |
Kohlendioxidausstoß sinkt? Schon schwieriger: Letztes Jahr hatten wir 20 | |
Prozent erneuerbare Energien im Netz, ein Rekord. Gleichzeitig hat das | |
deutsche Stromsystem sechs Millionen Tonnen mehr CO2 ausgestoßen als zuvor. | |
Weil die restlichen 80 Prozent immer schmutziger werden. | |
Wann würden Sie also Erfolg bei der Energiewende melden? | |
Wenn wir ein weitgehend CO2-freies Energiesystem schaffen, das sicher und | |
zuverlässig für Industrie und Bürger Energie zur Verfügung stellt. Und wenn | |
uns das gelingt, ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands | |
zu riskieren, und Strom bezahlbar bleibt, auch für Menschen mit geringem | |
Einkommen. | |
Könnte ein Energieministerium, das die widerstreitenden Interessen von | |
Wirtschafts- und Umweltressort bündelt, die Sache vorantreiben? | |
Da bin ich vorsichtig. Ich habe aber die Hoffnung, dass Herr Altmaier mit | |
Herrn Rösler die Diadochenkämpfe zwischen den Ministerien künftig besser in | |
den Griff bekommt. | |
Ihre Branche hat ein strukturelles Problem mit der Politik: Sie brauchen | |
Regeln für sehr langfristige Investitionszyklen, wollen aber freie | |
Entfaltung ? | |
Ich fordere verlässliche Rahmenbedingungen, nicht mehr und nicht weniger! | |
Etwa beim Emissionshandel, samt intelligentem Andocken aller anderen | |
Förderungs- und Steuerungsmechanismen daran. Und ich fordere klare Ziele | |
bei der CO2-Vermeidung: 50 Prozent weniger bis 2030, 85 Prozent weniger bis | |
2050. Denn ohne wirklich ehrgeizige Ziele wird niemand in den Klimaschutz | |
investieren. Die Förderung der Erneuerbaren würde ich Schritt für Schritt | |
in dieses System integrieren und europäisch harmonisieren. Im Augenblick | |
haben wir in der EU 29 unterschiedliche Fördersysteme für Erneuerbare, | |
Belgien hat gleich drei. | |
Aber Rahmenbedingungen auf EU-Ebene entstehen ja gletscherartig langsam. | |
Und wenn wir Ihnen folgen, ist die Sache dringlich. | |
Der Schuh drückt so massiv, das wird schnell gehen. Wir haben es in | |
Deutschland an kalten Wintertagen ja schon gemerkt. Und die Engländer | |
müssen sehr schnell ihre sehr alten Kernkraftwerke stilllegen. Es läuft | |
derzeit eine schnelle, ungesteuerte Transformation, ohne dass die | |
Erfolgsbedingungen geklärt sind. | |
Bis kurz vor dem Fukushima-Schock haben Sie sich für die Verlängerung der | |
AKW-Laufzeiten eingesetzt. | |
Das war auch richtig. Frau Merkel hat es vor dem Beben in Japan so | |
formuliert: Wir werden nie wieder einen Cent in neue Kernkraftwerke | |
investieren, aber wir nutzen diese Technologie als Brücke in die neue Zeit. | |
Dann hat die Gesellschaft entschieden: Wir wollen das Risiko nicht haben. | |
Das ist o. k., auf einer rein kommerziellen Basis bewertet war der andere | |
Weg aber mit Abstand billiger. Jetzt nutzen wir keine Brücke, jetzt gehen | |
wir durchs Tal. So kommen wir auch an – aber das ist natürlich etwas | |
schwieriger. | |
Bezahlen muss vor allem der Kunde. Derzeit liegt die EEG-Umlage bei 3,59 | |
Cent, laut Experten könnte sie bis zum Herbst auf 5 Cent steigen. Was kann | |
man dagegen tun? | |
Im Augenblick gar nichts. Hausbauer oder Bauern, die Solaranlagen | |
installiert haben, müssen darauf vertrauen können, dass sich diese | |
Investition lohnt. Wenn die laufende Überförderung fortgesetzt wird, dürfte | |
die Umlage jedoch weiter steigen. | |
Sie sagen Überforderung, meinen aber die Fotovoltaik – stimmt’s? | |
Nein, jedenfalls nicht so kategorisch. Ich bin überzeugt, dass die | |
Fotovoltaik langfristig auch für unsere Breitengrade Teil der Lösung ist. | |
Allerdings haben wir zu früh, zu teuer und zu viel Menge gefördert, dabei | |
auch noch hauptsächlich chinesische Panels – ein Riesenfehler. Die | |
EEG-Umlage wirft ja derzeit gesamtwirtschaftlich sogar den | |
Länderfinanzausgleich über den Haufen: Da landet mittlerweile mehr | |
staatliches Geld in Süddeutschland, als die Nordrhein-Westfalen oder | |
Niedersachsen aus dem Topf erhalten. | |
Aber verteilt auf Länderkassen und die Taschen der Bürger. | |
Volkswirtschaftlich gesehen ist das gleichgültig. Dahinter steckt aber auch | |
ein soziales Problem: Wohlhabendere Bürger besitzen Häuser, auf die sie was | |
drauflegen können. Hartz-IV-Empfänger können auf ihre Etagenwohnung kein | |
Solarpanel bauen – sie bekommen auch die steigenden Energiekosten nicht | |
bezahlt. Das heißt: Die Energiewende belastet die Geldbeutel ärmerer | |
Menschen überproportional stark. | |
Was tut Eon für die Energiewende? Wie groß soll denn der Anteil der | |
Erneuerbaren am Ergebnis werden? | |
Wir bauen den Anteil erneuerbarer Energien immer weiter aus. Derzeit | |
produzieren wir einen etwa gleich hohen Anteil Wasserkraft und „modernen“ | |
Rest: bei Wind und Sonne jeweils etwa 4.000 Megawatt – also ungefähr so | |
viel wie acht fossile Kraftwerke. Bis zum Ende der Dekade sollen es beim | |
Wind 14.000 Megawatt sein. In den vergangenen fünf Jahren hat Eon 7 | |
Milliarden Euro in die Erneuerbaren investiert, genauso viel wird es auch | |
in den kommenden fünf Jahren sein. Damit stecken wir mittelfristig ein | |
Viertel aller Investitionen in die Erneuerbaren. | |
Also geht der Löwenanteil noch in konventionelle Technologien, vor allem in | |
Schwellenländern. | |
In Europa startet Eon derzeit kein neues Projekt in diese Richtung, in | |
Großbritannien sind wir dabei, unsere Kernkraft-Joint-Ventures zu | |
verkaufen. Und ja: In Brasilien investieren wir in Gas, aber da geht es | |
zunächst lediglich um mittlere dreistellige Millionenbeträge. Auf die | |
Stromproduktion bezogen investieren wir bei den Erneuerbaren schon mehr als | |
für alle anderen Energieformen zusammen. | |
Bislang hatte man den Eindruck: Eine Million mehr oder weniger spielt für | |
eine Firma wie Eon keine Rolle. Nun entlässt der Konzern 11.000 | |
Mitarbeiter, hunderte werden nach Rumänien oder Berlin versetzt. Was ist | |
passiert? | |
Einen Kostendruck wie diesen habe ich in meinen 23 Jahren in der Branche | |
noch nicht erlebt. Aber ein Schlag gegen Deutschland, wie einige sagen, | |
sind unsere neuen Servicecenter nicht. Wir verlegen sogar Stellen von Malmö | |
oder Coventry nach Berlin. Deutschland braucht ein, zwei große Banken, und | |
Deutschland braucht ein, zwei Energieunternehmen mit globalem Impetus. Eon | |
ist eines davon. Und wird das auch auf absehbare Zeit bleiben. | |
6 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
K. Schöneberg | |
R. Metzger | |
## TAGS | |
Datteln | |
Deutsche Bahn | |
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