# taz.de -- Klimaschutz 20 Jahre nach Rio: Deutschland als einäugiger Öko-Lot… | |
> Die Bundesregierung gilt weltweit als Vorreiter einer „grünen | |
> Wirtschaft“. Aus der Nähe betrachtet, sind die Fortschritte allerdings | |
> längst nicht so groß. | |
Bild: Bundesumweltminister Altmeier als zweiäugiger Lotse in der Asse. | |
BERLIN taz | Das Lob kommt von allen Seiten. Die EU-Kommission findet | |
Deutschland „extrem konstruktiv“ beim Klimaschutz; die UNO preist die | |
Ökosteuer, das deutsche Umweltrecht gilt als „Vorbild für China“, und die | |
OECD lobt eine Umweltpolitik, die „Wachstum, Innovation und Beschäftigung | |
fördert“. | |
Deutschland, der Ökostreber. So sieht sich die Bundesrepublik 20 Jahre nach | |
der Rio-Konferenz. Das Land von Wirtschaftswachstum, Energiewende und | |
Atomausstieg, der Weltmeister im Mülltrennen, der pünktlich seine | |
UN-Beiträge zahlt und für Umweltgruppen spendet. | |
Doch bei näherem Hinsehen ist die Bilanz deutlich trüber. Fortschritte gebe | |
es vor allem im Reden, Planen und Forschen, bei allem, was die „Verbindung | |
von deutschem Idealismus und made in Germany betrifft“, sagt Reinhard | |
Loske, ehemals grüner Umweltsenator von Bremen und Ökovordenker seiner | |
Partei. Aber etwa im Naturschutz sei das dicht besiedelte Land keineswegs | |
Spitzenreiter. Deutschland sei eher „der Einäugige unter den Blinden“. | |
Für Loske hat Rio 1992 das Klima im Land verändert. Die Ökodebatte sei | |
heute globaler und Klimaschutz Mainstream, Deutschland hat seine | |
Biolandwirtschaft ausgeweitet und die ethischen Geldanlagen „aus dem | |
Promille- immerhin in den Prozentbereich“ gesteigert. Andererseits ist der | |
ökologische Fußabdruck des Landes gewachsen. | |
## Größtenteils negative Bilanz | |
Das Wuppertal Institut, an dem Loske 1996 an dem berühmten Gutachten | |
„Zukunftsfähiges Deutschland“ mitarbeitete, kam 2008 zu einem traurigen | |
Zwischenfazit: Die ökologische Bilanz falle „größtenteils negativ aus“, | |
eine „notwendige Kurswende ist nicht absehbar“, Deutschlands Gewinne | |
stammten oft „aus der Ausdehnung der ökologischen Raubökonomie auf die | |
Schwellenländer“. | |
Diesen Trend bestätigt auch der Nachhaltigkeitsrat der Regierung: Die | |
Wirtschaft entwickelt sich positiv, im Sozialen halten sich Gut und | |
Schlecht die Waage. Nur im Umweltbereich zeigen fast alle Trends, etwa | |
Flächenverbrauch oder Artenvielfalt, in die falsche Richtung. Für Günther | |
Bachmann, Generalsekretär des Rats, ist klar: „Alles, was nicht auf | |
Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist, hat es schwer.“ | |
Für Felix Ekardt von der Forschungsgruppe „Nachhaltigkeit und Klimapolitik“ | |
an der Uni Rostock ist das keine Überraschung: Seit Rio habe das Land | |
„einen Schritt vor und zwei zurück“ gemacht. Rechne man aus der | |
beeindruckenden Klimabilanz den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft und die | |
Verlagerung von dreckigen Industrien in Schwellenländer heraus, bleibe | |
nicht mehr viel übrig. | |
## Urlaubsflüge essen Windräder auf | |
Ekardt erkennt an, dass sich Politik und Wirtschaft zur „grünen Ökonomie“ | |
bekennen und dass es inzwischen für viele technische Probleme eine Lösung | |
gibt. „Wir kennen die Probleme, und wir könnten sie technisch lösen“, sagt | |
der Jurist und Soziologe. „Wir wissen aber auch, warum das mit dem | |
veränderten Verhalten nicht klappt.“ | |
Das Problem sei, „dass wir positive Zeichen wie mehr Windräder und Bioläden | |
wahrnehmen, aber nicht die negativen Entwicklungen wie höheren CO2-Ausstoß, | |
mehr Urlaubsflüge oder weitere Transportwege unseres Essens“. | |
International kommt Deutschland immer noch gut weg. Die OECD lobte gerade | |
die „proaktive nationale und internationale Umweltpolitik“, forderte aber | |
auch „weitere Anstrengungen“. Und das Worldwatch Institute in Washington | |
bekräftigte, dass Deutschland mit seiner „ausgeprägten grünen Bewegung und | |
seiner wirtschaftlichen Stärke“ eine „Lotsenfunktion auf dem Weg zu einer | |
Zero-Carbon-Industriegesellschaft“ zukomme. Allerdings setze Deutschland | |
sein Gewicht etwa in der EU zu selten für das grüne Wachstum ein. | |
Trotzdem richten sich auf Konferenzen die Hoffnungen oft auf die deutsche | |
Delegation. Je größer die Entfernung von Deutschland, desto grüner, fairer | |
und nachhaltiger erscheint die Politik der Bundesrepublik. | |
Auch in Rio werden sich die Deutschen brav zurückhalten und in die | |
EU-Delegation eingliedern – und dennoch klarmachen, dass mit deutschen | |
Produkten die Welt ergrünen soll. Bisher gibt es darauf nur einen kleinen | |
Hinweis: eine englische Broschüre über die Energiewende. Dass dieses | |
Projekt gerade umstritten ist und der bisherige Umweltminister Norbert | |
Röttgen auch deshalb gefeuert wurde, davon erfährt der Leser allerdings | |
nichts. | |
9 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## TAGS | |
Umweltbundesamt | |
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