# taz.de -- Politischer Prozess in Paraguay: Präsident Lugo droht Amtsenthebung | |
> Das Parlament macht Lugo für den Tod von 17 Menschen bei den | |
> Zusammenstößen von Landbesetzern und Polizisten verantwortlich. Noch | |
> lehnt er einen Rücktritt ab. | |
Bild: Über Fernando Lugos politische Zukunft wird am Freitag um 18 Uhr deutsch… | |
BUENOS AIRES taz | Paraguays Präsident Fernando Lugo wird der politische | |
Prozess gemacht. Ab Freitag, 12 Uhr Ortszeit, muss sich Lugo vor dem Senat | |
gegen seine mögliche Amtsenthebung verteidigen. | |
Die hatte das Abgeordnetenhaus am Donnerstag mit der Eröffnung eines | |
politischen Prozesses gegen ihn auf den Weg gebracht. Das Parlament macht | |
Lugo unter anderem für den Tod von 17 Menschen bei den Zusammenstößen von | |
Landbesetzern und Polizisten am Freitag vor einer Woche politisch | |
verantwortlich. | |
Bei den mehrstündigen Kämpfen zwischen landlosen Bauern und der Polizei | |
waren mindestens elf Bauern und sechs Polizisten getötet und mehr als 80 | |
Menschen zum Teil schwer verletzt worden. Die Polizei hatte versucht, | |
Landbesetzer aus einem 2.000 Hektar großen Gebiet im Bezirk Canindeyú, rund | |
380 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Asunción. zu vertreiben. | |
Lugo lehnte einen Rücktritt vor Abschluss des Verfahrens ab. Die | |
Anschuldigungen gegen ihn sind haltlos und der Versuch neun Monate vor der | |
nächsten Wahlen die demokratischen Entwicklung des Landes zu torpedieren. | |
Ein „Golpe de Estado exprés“ – ein Express-Staatsstreich sei gegen ihn im | |
Gang. | |
## Die Colorado-Partei soll Schuld sein | |
Als Drahtzieher machte er Horacio Cartes verantwortlich, den kommenden | |
Präsidentschaftskandidaten der oppositionellen Colorado-Partei. Schon | |
mehrfach wurde versucht, Lugo aus dem Amt zu hebeln. Bisher gab für ein | |
Amtsenthebungsverfahren jedoch keine parlamentarische Mehrheit. Doch | |
diesmal könnte es ernst werden. | |
Mit 76 Ja- und nur einer Gegenstimme sprachen sich nicht nur die Opposition | |
sondern auch die Abgeordneten der Liberalen Partei aus dem | |
Regierungsbündnis gegen Lugo und für einen politischen Prozess aus. Jetzt | |
muss der Senat entscheiden. Und die Opposition im Oberhaus ist sich sicher, | |
die dafür nötigen 30 Stimmen zusammen zu haben. | |
## Regierungsallianz war ohnehin brüchig | |
Die ohnehin brüchige Regierungsallianz war zerbrochen als Lugo als | |
Konsequenz der blutigen Räumungsaktion in Canindeyú seinen Innenminister | |
entließ und mit Rubén Candia Amarilla einen ausgewiesenen Anhänger der | |
oppositionellen Colorado-Partei ernannte. Daraufhin zogen die Liberalen | |
ihre vier Minister aus der Regierung zurück und stimmten im Parlament gegen | |
den Präsidenten. Sollte Lugo abgesetzt werden übernimmt Vizepräsident | |
Federico Franco das Amt bis zu den nächsten Wahlen. | |
Federico Franco von der Liberalen Partei ist schon lange einer der größten | |
Widersacher Lugos. In seiner Anklageschrift wirft das Abgeordnetenhaus dem | |
Präsidenten fünf Vergehen vor. So wird Lugo beschuldigt „der zentrale | |
Anstifter“ für die Landbesetzungen landloser Bauern zu sein. Die | |
Anschuldigung bezieht sich nicht nur auf die Geschehnisse in Canindeyú. | |
## Mehr Gerüchte als Erkenntnisse | |
Zudem sei der Präsident für „die wachsende Angst unter der Bevölkerung“ | |
verantwortlich, die durch seine mutmaßliche Komplizenschaft mit dem | |
Ejército del Pueblo Paraguayo (EPP) verursacht werde. Darüber wer und was | |
die Paraguayische Volksarmee EPP ist kursieren mehr Gerüchte als | |
Erkenntnisse. Die Gruppe agiert vornehmlich im Nordosten Paraguays und | |
machte bisher mit Entführungen und Anschlägen von sich reden. Rechte | |
Politiker sprechen von einer linken Guerillaorganisation, die sogar | |
Verbindungen zur kolumbianischen Farc unterhalten soll. | |
Dagegen vermuten Menschenrechts- und Bauernorganisationen, dass die | |
paramilitärischen Aktionen der EPP ihre Proteste und sozialen Forderungen | |
in Verruf bringen sollen. Auch unmittelbar nach den Ereignissen in | |
Curuguaty wurde über einer Beteiligung der EPP an den Attacken auf die | |
Polizisten gemutmaßt. | |
## Eher Staatsstreich statt politischer Prozess | |
„Das ist ein Staatstreich und kein politischer Prozess,“ folgert denn auch | |
José Carlos Rodríguez, der ehemalige Koordinator der Wahrheitskommission | |
zur Aufarbeitung der Verbrechen während der Diktatur von General Alfredo | |
Stroessner (1954 bis 1989), den Vorgang Für ihn ist es einfach nur | |
schändlich, den Präsidenten der Komplizenschaft des Terrorismus anzuklagen. | |
Rodríguez bedauerte denn auch, dass Lugos Verbleib im Amt vom Senat und | |
nicht von den Argumenten des Präsidenten und seiner Verteidiger abhängt. Er | |
befürchtet, die Amtsenthebung könnte Paraguay in ein soziales Chaos | |
stürzen. Auch die Katholische Kirche hat ihren ehemaligen Bischof den | |
Rücken zugekehrt und Lugo zum Rücktritt aufgefordert. „Um die Spannung im | |
Land zu lösen,“ so die Bischöfe Claudio Giménez und Edmundo Valenzuela nach | |
einem Treffen mit Lugo, der vor seiner Wahl zum Präsidenten vom Bischofamt | |
zurückgetreten war. | |
## Einen Strafprozess wird es nicht geben | |
Man habe jedoch mit Spitzen der verschiedenen Parteien vereinbart, keinen | |
Strafprozess gegen Lugo anzustrengen. Unterstützung erhält der Präsident | |
dagegen vor allem von der Landbevölkerung. Nach Medienberichten sind | |
Bauern, Landarbeiter und Landlose aus allen Landesteilen auf dem Weg in die | |
Hauptstadt Asunción. | |
Vorsorglich bewachen rund 4.000 Polizisten das Kongressgebäude. Damit bei | |
der Senatsentscheidung auch alles mit rechten Dingen zugeht, haben die | |
Staatschefs der Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) auf der | |
UN-Konferenz Rio+20 eine Außenminister-Delegation nach Asunción geschickt, | |
um „die demokratische Staatsordnung sicherzustellen“, wie der | |
brasilianische Außenminister Antonio Patriota erklärte. Mehr als auf die | |
Einhaltung der Spielregeln bei Lugos Amtsenthebung zu achten, scheint aber | |
nicht mehr möglich zu sein. | |
22 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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