# taz.de -- Zweifelhaftes Kulturprojekt: Kino für Palästina | |
> Braucht Jenin Arthousefilme? Unbedingt, findet Filmemacher Marcus Vetter | |
> und versucht ein altes Kino wiederaufzubauen. In „Cinema Jenin“ erzählt | |
> er von seinem Eifer. | |
Bild: Endlich Filme in Jenin! Um die Bürger geht es bei dem Projekt nicht mehr. | |
BERLIN taz | Am Beginn von „Cinema Jenin“ fallen Sonnenstrahlen pittoresk | |
durch ein zerborstenes Dach. Einst stand hier, im von Israel seit | |
Jahrzehnten besetzten und abgeriegelten Jenin im Westjordanland, ein Kino. | |
Seit der ersten Intifada 1987 ist es eine Ruine. | |
Der deutsche Regisseur Marcus Vetter hat den Traum, das Kino | |
wiederaufzubauen. Als es das Kino noch gab, sagt er aus dem Off, „trugen | |
Frauen Miniröcke, keine Kopftücher“. Und so soll es wieder werden. Vetter | |
treibt die Idee um, mit Kultur die von der Besetzung traumatisierte Stadt | |
zu öffnen, ein Symbol einer besseren Zukunft zu schaffen. Er dokumentiert | |
sie in seinem eigenen neuen Film, der am Donnerstag anläuft. | |
Es hagelt Widerstände und Rückschläge. Es fehlt Geld. Vetter versucht per | |
Skpye Geld von reichen Scheichs zu akquirieren. Er ringt mit verstockten | |
Besitzern der Kinoruine, die, so wird suggeriert, nur auf Geld aus sind. Er | |
antichambriert beim palästinensischen Ministerpräsidenten Fajad. Er schlägt | |
sich mit unbezahlten Rechnungen herum und versucht Gerüchte, dass das | |
Kinoprojekt den Kampf gegen die Besatzungsmacht schwächen soll, zu | |
zerstreuen. | |
Das ist der dramaturgische Spannungsbogen: Marcus Vetter gegen fast alle, | |
gegen eine undurchdringlich, mafios scheinende Stadt, gegen Bürokraten und | |
Bedenkenträger. Man soll mit ihm, dem Wohlmeinenden, leiden und hoffen, | |
dass das Projekt aller Kleingeisterei zum Trotz glückt. | |
„2007 bin ich zum ersten Mal nach Jenin gekommen“, lautet der erste Satz | |
des Off-Kommentars. Es ist viel „ich“ in „Cinema Jenin“, zu viel. Dieses | |
„Ich“ ist kein Kunstprodukt, es ist, anders als etwa in Michael Moores | |
Filmen, keine Sonde, die Verhältnisse bloßlegt. Dieses „Ich“ ist, wenn es | |
so etwas im Dokumentarischen geben kann, eine Art authentisches „Ich“. Die | |
Schlüsselfigur in „Cinema Jenin“ ist der Regisseur selbst, seine Idee, sein | |
Projekt. | |
Es gibt auch einige palästinensische Sidekicks. Ein alter, schweigender | |
Mann, der stoisch den unter Trümmern und Staub begrabenen | |
Projektionsapparat repariert. Oder Fakhri Hamad, der als Vetters rechte | |
Hand fungiert und das Kino managen soll. Eine Geschichte, eine Biografie | |
hat keiner von ihnen. Was sie antreibt und welche Konflikte sie erleben, | |
kann man nur ahnen. | |
## Internationale Hilfe | |
Am Anfang engagiert sich auch Ismail Khatib für das Kino. Er ist mehr als | |
eine Nebenfigur. Vetter hat über ihn 2008 den berührenden Dokumentarfilm | |
„Das Herz von Jenin“ gedreht. Khatibs Sohn, elf Jahre alt, wurde von | |
israelischen Soldaten erschossen. Khatib sorgte dafür, dass die Organe | |
seines Sohnes an Israelis gespendet wurden. | |
Anfangs glaubt er an das Kino. Doch als die israelische Armee Anfang 2009 | |
Gaza bombardiert und dort Hunderte Zivilisten sterben, sagt er resigniert: | |
„Es hat keinen Sinn mehr, über Frieden zu reden.“ Und auch nicht, das Kino | |
wiederaufzubauen: „Der Traum ist aus.“ Vetter hört stumm zu, schaut ins | |
Leere und macht unbeeindruckt weiter. | |
Und das Projekt kommt gut voran, jedenfalls regnet es internationale Hilfe. | |
Die deutsche Regierung spendiert Geld, Roger Waters, Ex-Sänger von Pink | |
Floyd, sponsert die Tonanlage. Man baut ein Gästehaus, wo junge Freiwillige | |
für ein paar Wochen helfen und Spaß beim Nudelkochen haben. Matthias | |
Platzeck, der Brandenburger Ministerpräsident, reist mit einer Delegation | |
an und lobt den Wagemut des Regisseurs. Eine Brandenburger Firma montiert | |
eine Solaranlage auf dem Dach. „Das erste Kino in Nahost, das unabhängig | |
vom öffentlichen Stromnetz ist“, verkündet stolz der Off-Kommentar. | |
Auf der Baustelle arbeitet nun ein Schwabe, der sich sorgt, dass nichts | |
rechtzeitig fertig wird. Offenbar wird das Kino immer mehr zu einem | |
Renommeeprojekt. Ein Kino für Palästina – und immer weniger eines, dass von | |
den Jeninern selbst gewollt wird. Diesen Konflikt kann man in „Cinema | |
Jenin“ nur erahnen. Ob Jenin, einst Hochburg des militanten Widerstands | |
gegen Israel, wirklich mit den Segnungen des rot-grünen Milieus, mit | |
Arthousefilmen und Solaranlagen geholfen ist, daran soll das Publikum | |
lieber nicht zweifeln. | |
Zwei-, dreimal taucht Juliano Mer-Khamis auf, der charismatische Leiter des | |
Freedom Theatre in Jenin. „Es reicht nicht, wenn ihr ein bisschen Spaß | |
haben wollt“, sagt er zu dem Regisseur. Um in Jenin akzeptiert zu werden, | |
müsse das Kino „ein Werkzeug des Widerstands gegen die Besetzung sein“. Das | |
ist Vetter zu viel Politik. Er will nur das Kino, sein Kino. Manchmal wirkt | |
er wie die softe, bundesrepublikanische Variante von Werner Herzogs | |
Fitzcarraldo, der eine Oper im Dschungel bauen wollte. | |
## Mehr Schaden als Nutzen? | |
Mer-Khamis, der Provokateur, der sich mit den israelischen Besatzern und | |
den Mächtigen in Jenin anlegte, wurde im Frühjahr 2011 erschossen. Die | |
Täter sind bis heute nicht gefasst. Cinema Jenin funktioniert heute nach | |
vielen Startschwierigkeiten. Es laufen Actionfilme und arabische Komödien. | |
In der Kulturszene um das Freedom Theatre ist man auf das Kino nicht so gut | |
zu sprechen. Das Ganze habe, weil es von außen aufgepropft war, eher | |
geschadet als genutzt und das Misstrauen der Jeniner gegen Kultur | |
vergrößert. | |
28 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Stefan Reinecke | |
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Westjordanland | |
Reiseland Israel | |
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