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# taz.de -- taz-Reise in die Zivilgesellschaft: Die andere Seite der Mauer
> Fruchtbare Olivenfelder ohne Ernte auf der einen, ein "einfach perfektes"
> Leben auf der anderen Seite. Begegnungen mit engagierten Gruppen in
> Palästina
Bild: Palästinenserinnen werden am Checkpoint zurückgeschickt
Palästina ist ein umständlich zu bereisendes Stück Erde. Das komplizierte
Straßennetz lässt Individualreisen fast unmöglich werden. Einige Straßen
sind nur für Israelis, andere nur für Palästinenser zugänglich. Zudem liegt
es im Ermessen der israelischen Armee, die an die 600 Checkpoints im
Westjordanland aufrecht erhält, Reisende anzuhalten und ihnen die
Weiterfahrt zu verbieten.
Die erste Tour der taz-"Reisen in die Zivilgesellschaft Palästinas" führt
durch das wohlhabende und saubere Ramallah. Ein ungewöhnlich erfreulicher
Anblick: keine Trümmer, kein Schutt, keine Fatah-, Hamas- oder
Dschihad-Flaggen. Nur wenige verblichene Märtyrerposter an den Häuserwänden
erinnern an die heiße Zeit der letzten Intifada. Eigentlich passt der
Begriff "Reisegruppe" auf unsere reisende Gemeinschaft nicht so richtig.
Hier reisen engagierte, informierte Individualisten, die schon monatelang
durch Asien, Südamerika und im Rest der Welt tourten.Um die
Zivilgesellschaft Palästinas kennen zu lernen, die von ausländischen
Nichtregierungsorganisationen mühsam genährt wird, ist es in dieser Region
der Welt allerdings nicht schlecht, mit Experten zu reisen.
Die gute Laune in der Gruppe verflüchtigt sich bei einem Stopp auf einem
der zahlreichen Hügel, die Ramallah umgeben. Fotograf Majdi, der als
lokaler Guide fungiert, erklärt uns, welche grünen Hügel mitten im
ausgedörrten Westjordanland israelische Militärposten und Siedlungen seien.
Er berichtet von Schikanen, Demütigungen und der Unmöglichkeit für
Palästinenser, Oliven auf - offiziell palästinensischem - Gebiet zu ernten.
Schließlich könnten es als Olivenpflücker getarnte Terroristen sein, und
gegen diese sitzt die Waffe locker. Auch dass Ramallah nur an zwei Tagen in
der Woche Wasser hat, erschreckt uns. Schließlich floriert die israelische
Obst- und Gemüse-Exportwirtschaft, genau wie die Gärten der Siedlungen mit
ihren Swimmingpools.
Der Ausdruck "Besatzung" ist optisch eindringlich: Wohin wir auch fahren -
zur Grabstätte des Abraham im geteilten Hebron, zur Geburtskirche Jesu in
Bethlehem oder in die Heilige Stadt Jerusalem: Am Horizont ist stets die
Mauer, der "antiislamistische Schutzwall", in Sicht. Er ist zu großem Teil
hinter der grünen Linie, die die Grenze zwischen Israel und Palästina
markiert, also illegal auf palästinensischem Gebiet, gebaut. Nun können
Projekte wie die Dialoggruppen der israelisch-palästinensischen "Frauen
gegen Checkpoints" nicht mehr stattfinden, denn die Mitglieder dürfen sich
nicht mehr treffen, obwohl sie oft nur zehn Autominuten entfernt
voneinander leben. Palästinenser dürfen nicht mehr aus ihren ummauerten
Enklaven nach Israel oder in die jüdisch besiedelten Teile des
Westjordanlands. Israelis ist es per Gesetz verboten, Palästina zu
besuchen.
Der Dialog ist gekappt, legt uns die Autorin Sumaya Farhart-Nasar beim
Abendessen eindringlich dar. Aber wie auch andere Palästinenser, die wir
noch treffen sollten, überrascht sie durch unbändigen Lebenswillen, trotz
widrigster Umstände. Bei jedem Gespräch wird uns klar, dass die
palästinensische Zivilgesellschaft nur durch NGOs,
Nichtregierungsorganisationen, aufrecht erhalten werden kann.
Beispielsweise bei RIWAQ, einer Initiative, die als innoffizielles
Katasteramt Palästinas fungiert und sich um den Erhalt archäologischer
Bauten bemüht, oder bei der Musikschule "Al-Kamanjati", in der Kinder auf
Instrumenten europäischer Spender von internationalen Freiwilligen
unterrichtet werden.
Palästina ist auf internationale Hilfe angewiesen: Der Export von
Agrarprodukten ist aufgrund kompliziertester israelischer Bestimmungen
nahezu unmöglich, Produktionsfabriken gibt es nicht. Ein wenig Tourismus
wird durch eine NGO gefördert, dies ist aber längst noch kein ernst zu
nehmender Wirtschaftszweig. Kulturelles Leben wäre ohne ausländische Hilfe
vollkommen unmöglich.
Wir besuchen das "Freedom Theatre"-Projekt in Dschenin. Viele Attentäter
der Intifada kamen aus Dschenin, was die israelische Armee 2002 dazu
veranlasste, die Stadt und das angrenzende Flüchtlingslager zehn Tage lang
zu belagern, zu Luft und zu Boden zu beschießen und Teile dem Erdboden
gleich zu machen. Dschenin gilt als "Terrornest". Die zahlreichen Soldaten
an den israelischen Checkpoints nehmen von uns kaum Kenntnis, blicken nur
sehr unverständig, als wir als Reiseziel "Dschenin" angeben. Wahrlich kein
Ausflugsziel für normale Touristen.
Mitten im alltäglichen Elend werkeln junge Menschen an einer Theaterbühne.
Ringsherum Steinwüste. Dschenin ist ein mühsam wieder aufgebautes
Flüchtlingslager, welches die Einwohner nicht verlassen dürfen. Das ist
Realität seit 1953. Märtyrerplakate an fast jedem betongrauen Haus. Die
Aussichtslosigkeit und die Beklemmung des Camp-Lebens ist spürbar. An was
will man als junger Mensch hier glauben, wenn nicht an den Freiheitskampf?
Das "Freedom Theatre" schafft das Unmögliche: Es bringt junge Männer weg
von dem für sie lange Zeit einzig erstrebenswerten Ziel, "Märtyrer" zu
werden.
Wir fragen einen der jugendlichen Schauspieler, ob seine Freunde ihn nicht
drängen würden, zur Waffe zu greifen, sich ausbilden zu lassen und sein
Land wie ein Mann und nicht auf der Bühne zu verteidigen.
"Selbstverständlich", antwortet er, "mein Vater fordert mich dazu auf,
meine Cousins und Freunde. Ich aber berichte ihnen von dem kulturellen
Widerstand, den ich hier leiste, denn die Israelis versuchen nicht nur, uns
physisch und psychisch, sondern auch kulturell zu brechen. Dagegen kämpfe
ich mit dem Theater!" Die Vorstellungen werden rege besucht. Das gibt den
Schauspielern die Bestätigung, gegenüber ihrer militant geprägten Umgebung
durchzuhalten.
Auf unserer Reise besuchen wir auch eine israelische Siedlung im
Westjordanland. Um die andere Seite zu verstehen, die es weiterhin in diese
- völkerrechtlich illegalen - Siedlungen zieht. Unser Gesprächspartner, ein
nichtreligiöser Siedler, gibt sich einsichtig: sobald es einen "anerkannten
Staat Palästina" gäbe, würde man all diese Siedlungen räumen. Da aber
"nicht absehbar" sei, wann "die anderen" sich auf irgendetwas einigten,
könne man in diesen Siedlungen, geschützt durch die Mauer und ständig
patrouillierende Soldaten, preiswert und sicher, "einfach perfekt" leben.
17 Jan 2009
## AUTOREN
Jasna Zajcek
## TAGS
Reiseland Israel
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