# taz.de -- Kulturprojekt in Palästina: Die Kino-Wiederauferstehung | |
> Fast 20 Jahre lang gab es in Dschenin im Westjordanland kein | |
> Lichtspielhaus. Am Donnerstag wird sich das ändern, wenn das "Cinema | |
> Jenin" die Pforten öffnet. | |
Bild: Die Finanzierung von 20.000 Euro für die dreitägige Eröffnungsfeier is… | |
Fakhri Hamad lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. In ein paar Tagen ist | |
Wiedereröffnung des Kinos in Dschenin. Der Fußboden ist noch nicht komplett | |
verlegt, die Wände nicht verkleidet, von Lautsprechern und Lampen keine | |
Rede. Auch die Finanzierung von 20.000 Euro für die dreitägige | |
Eröffnungsfeier ist noch nicht geregelt. Immerhin hängen die Klimaanlagen | |
links und rechts in dem Saal, der Platz für 300 Gäste bietet. Fakhri, | |
Projektmanager des "Cinema Jenin", sitzt in verstaubtem schwarzen Hemd auf | |
der Bühne, in der einen Hand hält er ein Handy, in der anderen eine | |
Zigarette. | |
Endspurt | |
Endspurt eines Projekts, das im Februar 2008 begann. Damals war gerade | |
Marcus Vetters Film "Das Herz von Jenin" angelaufen. Monatelang hatte der | |
deutsche Filmemacher in der unter Israelis als Brutstätte des | |
palästinensischen Terrors verrufenen Stadt an den Aufnahmen gearbeitet und | |
konnte es damit doch nicht genug sein lassen. Um das Image von Dschenin | |
besorgt, gründete Vetter einen Förderverein mit dem Ziel, das alte Kino der | |
Stadt wiederaufzubauen. | |
Es war seit über 20 Jahren geschlossen. "Als die erste Intifada anfing, | |
hatte es Proteste von der Fatah gegen das Kinoprogramm gegeben", berichtet | |
Fakhri. Das Filmtheater gehörte damals fünf Geschäftsleuten, die aus | |
kommerziellen Gründen auch mal einen Pornofilm zeigten. Eine | |
Programmänderung habe das Kino schließlich auch nicht mehr retten können, | |
denn dann kamen die Soldaten. "Sie haben regelmäßig das Kino umstellt und | |
die Männer zur Überprüfung rausgeholt." Immer weniger Leute kamen deshalb | |
zu den Vorstellungen, bis sich das Kino finanziell nicht mehr trug. | |
"Das ist doch völlig schief", ruft Marcus Vetter kopfschüttelnd und deutet | |
auf die Stoffverkleidung an der Wand. Der Filmemacher muss in diesen Tagen | |
selbst mit Hand anlegen. Zusammen mit Fakhri Hamad dirigiert er die | |
palästinensischen Arbeiter und einige Dutzend freiwillige Helfer aus | |
Deutschland. "Dann müssen wir eben breitere Holzleisten nehmen", rät Hamad. | |
Die Leute im Kino sind erschöpft, aber guter Dinge. Vetter berät sich mit | |
seinen palästinensischen und deutschen Helfern über Farbe und Form der | |
Plastikstühle für den Open-Air-Bereich mit noch mal gut 500 Plätzen. Es | |
geht hin und her, bis er die Lösung hat: "Wir nehmen 250 mit Lehne und 250 | |
Stühle ohne, beide in Rot." Alle sind glücklich und wollen das Stühleset | |
wegräumen, als Hamad auftaucht: "Komm mal her", ruft Vetter seinen Freund, | |
um ihm zu zeigen, was sie entschieden haben. "Rot geht nicht", schüttelt | |
Hamad den Kopf. "Die Leute werden sagen, wir sind Kommunisten." | |
Dass in der Stadt geredet wird, ist wohl anzunehmen. Rein äußerlich schon | |
passt die Gruppe, die täglich durch die Tür zum Kino geht, nicht recht in | |
ihr Umfeld. Im üblichen Stadtbild sind Frauen in der Minderheit, und da, wo | |
sie auftauchen, tragen sie fast immer Kopftuch. Im "Cinema Jenin" sitzt | |
eine junge Deutsche kurzärmelig und in Pumphosen auf den Knien und putzt | |
Seite an Seite mit palästinensischen Arbeitern die Ritzen zwischen den | |
frisch verlegten Steinen im Innenhof. Noch nimmt niemand Anstoß an den | |
fremden Hippies, den Aktivisten und Studenten. Schließlich sind sie aus | |
Solidarität mit den Palästinensern und mit Dschenin gekommen. | |
Konservative Gesellschaft | |
Es ist, als habe die Stadt, die vor acht Jahren in den Schlagzeilen der | |
internationalen Presse war, als israelische Truppen mit Bulldozern ins | |
Flüchtlingslager von Dschenin einfielen, um Terroristen zu jagen, auf | |
nichts anderes gewartet. "Dschenin heute ist wie Ramallah vor 50 Jahren", | |
sagt Fakhri Hamad. "Eine sehr konservative Gesellschaft, die sich erst | |
langsam anderen Kulturen öffnen muss." Doch selbst die Stadtverwaltung, die | |
zurzeit des Projektstarts noch in den Händen der Islamisten war, hatte | |
keine Bedenken, den Leuten vom Kino freie Hand zu lassen. Hamad weiß, dass | |
er behutsam vorgehen muss und das Publikum nicht überfordern darf. Filme | |
mit politischen Botschaften sind zwar erwünscht, doch homosexuelle Helden | |
wird es vorläufig nicht auf der Leinwand geben. | |
Das "Cinema Jenin" soll das Image der Stadt verändern, aber es wird auch | |
die Stadt selbst und seine Menschen verändern. Genau wie Ismael Khatib, | |
einst Kfz-Schlosser, der seinen Sohn durch die Kugel eines israelischen | |
Soldaten verlor. Ahmad war zwölf, als er den Fehler machte, mit einem | |
Holzgewehr zu spielen, das die Soldaten für echt hielten. Während in der | |
Stadt der Ruf nach Rache laut wurde, beriet sich der um seinen Sohn | |
beraubte Vater mit dem Mufti, dem Religionsführer, und mit Sakarija Sbeide, | |
dem Chef der radikalen Fatah-Brigaden al-Aksa. Beide unterstützten Ismael | |
Khatib, als er die Organe des toten Jungen an israelische Kinder spenden | |
wollte. | |
Ismaels Entscheidung | |
"Ismaels Entscheidung war Stadtgespräch", erinnert sich Hamad. "Sogar die | |
Israelis waren schockiert." Der trauernde Vater hatte "einen neuen Weg des | |
Widerstands gewählt, indem er die Menschlichkeit der Palästinenser zeigte". | |
Als Vetter von der Geschichte hörte, entschied er sich für den Film. "Das | |
Publikum hatte Tränen in den Augen", berichtete die Nachrichtensendung | |
"heute" nach der Premiere gut zwei Jahre später. | |
Trotz des großen Erfolgs mit dem Film hatte es Vetter zunächst nicht | |
leicht, Sponsoren für sein nächstes ehrgeiziges Projekt zu finden. "Wir | |
haben wochenlang telefoniert und sämtliche Botschaften und NGOs angerufen", | |
erinnert sich Fakhri Hamad, der zu Marcus Vetter und Ismael Khatib stieß, | |
um die Sache voranzutreiben. "Alle fanden das Projekt gut, aber keiner | |
hatte Geld." Erst mithilfe der Internetseite betterplace.org kamen 2.000 | |
Euro in die Kasse und dann auch weitere Sponsoren. Das Auswärtige Amt | |
steckte mit rund 300.000 Euro die größte Summe in das Projekt. Mit dabei | |
sind inzwischen die Palästinensische Autonomiebehörde und das | |
Goethe-Institut. Auch Air Berlin spendete Freiflüge. Als wollte keiner | |
riskieren, am Ende nicht dazuzugehören und beim Medienrummel um das neue | |
Kulturzentrum unerwähnt zu bleiben. | |
Denn nicht weniger als ein Kulturzentrum soll das "Cinema Jenin" werden. | |
Neben dem "Freedom Theater" und einem kleinen Orchester gibt es in der | |
Stadt keine kulturellen Einrichtungen. "Niemand soll glauben, das Kino sei | |
das Ende", lacht Fakhri Hamad enthusiastisch. "Das hier ist nur der erste | |
Schritt. Wir machen Dschenin zur Medienstadt Palästinas." Eine Filmschule | |
ist das nächste Projekt. | |
2 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
Susanne Knaul | |
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Westjordanland | |
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