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# taz.de -- Anti-Terrorgesetz in der Türkei: Eine neue Sonderjustiz droht
> Das Anti-Terror-Gesetz soll geändert werden und unter anderem Namen
> wieder erscheinen. Die politischen Konfliktlinien verlaufen auch mitten
> im Machtapparat.
Bild: Symbol des säkularen, aber auch militarisierten Staates: Das Ata-Türk-M…
ISTANBUL taz | Noch ist das Gesetz nicht in Kraft getreten, da kündigt die
Opposition bereits an, vor dem Verfassungsgericht zu klagen. Es geht um die
2005 in der Türkei eingeführte Sondergerichtsbarkeit für Terrorverfahren.
Nicht zuletzt auf massiven Druck der Opposition hat die regierende AKP im
Rahmen eines Gesetzespakets zur Reform des Justizwesens die Abschaffung
dieser Sondergesetze Sonntagnacht im Parlament beschlossen. Nach Meinung
der Opposition allerdings in einer Form, die weiter eine Sonderjustiz
vorsieht, nur eben unter einem anderen Namen.
Rund 6.000 Beschuldigte sitzen derzeit in der Türkei in Untersuchungshaft,
weil sie wegen „Terrordelikten“ angeklagt werden. Über 4.000 der
Untersuchungsgefangenen sind Kurden, die verhaftet wurden, weil sie
angeblichen einen zivilen Arm der PKK-Guerilla aufgebaut haben.
Diese Woche begann in Istanbul ein Prozess gegen angebliche
PKK-Sympathisanten, darunter Professoren, Anwälte, Verleger, und
Journalisten, die nach den geltenden Antiterrorgesetzen von Sondereinheiten
der Polizei, die von Sondereinheiten der Staatsanwaltschaft beauftragt
worden waren, verhaftet wurden und nun vor einem Sondergericht angeklagt
werden.
## Waffenstillstand als Kollaboration
Jahrelang waren diese Sondereinheiten in Polizei und Justiz für
Ministerpräsident Tayyip Erdogan und seine Regierung ein probates Mittel,
„Putschisten und Terroristen“ zu verfolgen und nebenbei Kritiker der
Regierung hinter Gitter zu bringen – bis das System begann sich auch gegen
die AKP zu richten.
Zuerst wurde der ehemalige Generalstabschef Ilker Basbug verhaftet, von dem
Erdogan sagte, er habe gut mit ihm zusammengearbeitet. Dann wollten die
Sonderstaatsanwälte Geheimdienstchef Hakan Fidan festnehmen. Weil er im
Auftrag Erdogans in Oslo mit Vertretern der PKK über einen Waffenstillstand
verhandelt hatte, wurde ihm Kollaboration mit Terroristen vorgeworfen.
Das brachte für Erdogan das Fass zum Überlaufen. Plötzlich wetterte er
gegen einen „Staat im Staate“, dem das Handwerk gelegt werden müsste.
Dahinter steckt ein Konflikt, der so nur in der Türkei möglich ist.
Nach vielfach verbreiteter Meinung in der Öffentlichkeit gehören viele
Richter, Staatsanwälte und Polizisten der Sondergerichtsbarkeit der
islamischen „Gülen-Bewegung“ an. Diese derzeit wohl einflussreichste
islamische Bewegung hat lange die AKP unterstützt, insbesondere was die
Abrechnung mit dem alten Establishment angeht. Doch offenbar hat die AKP
jetzt Angst bekommen, dass die Gülen-Bewegung zu mächtig werden könnte.
Deshalb sollen die Sondergerichte nun aufgelöst werden, die
Antiterrorparagrafen präzisiert und die Rechte der Verteidigung gestärkt
werden.
Allerdings will die Regierung auf dezentraler Ebene Gerichte einführen, die
auf Terrorverfahren spezialisiert sein sollen. Die bereits laufenden
Prozesse vor den Sondergerichten sollen fortgesetzt werden. Dagegen klagt
nun die Opposition.
5 Jul 2012
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
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