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# taz.de -- PKK-Prozess: "Außenpolitische Interessen"
> Im Verfahren gegen einen Hamburger Kurden möchte die Verteidigung die
> Menschenrechtslage in der Türkei berücksichtigt sehen.
Bild: Offener Krieg: Türkische Soldaten rückten 2007 mit Panzern an, nachdem …
HAMBURG taz | „Ich hab’ das kalte Gesicht des Todes gesehen“, sagt der
Angeklagte, als er von seiner Haft in der Türkei berichtet. „Die Folter ist
nicht auszuhalten, wenn man keinen politischen Willen hätte.“ Vor dem
Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg (OLG) hat
am Montag das Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay begonnen. Dem 47-jährigen
Kurden legt die Bundesanwaltschaft (BAW) die „Mitgliedschaft in einer
ausländischen terroristischen Vereinigung“ zur Last – Paragraf 129 b des
Strafgesetzbuches.
Laut Anklage hat Kitay in Deutschland zwar keine Straftaten verübt. Er soll
aber zwischen Mai 2007 und September 2008 als „hauptamtlicher Kader“ und
Gebietsleiter der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK für die Regionen
Hamburg, Bremen, Kiel und Oldenburg zuständig gewesen sein. Im genannten
Zeitraum soll Kitay Beitrags- und Spendensammlungen organisiert haben, die
für die PKK gedacht gewesen seien, die in der Türkei mit „Mord und
Totschlag“ den Staat bekämpfe, so Bundesanwältin Karin Spillecke. 2008 habe
sich Kitay dann sogar bei kämpfenden Guerilla-Einheiten im nördlichen Irak
aufgehalten.
## Geschichtlicher Exkurs
Zu Beginn des Verfahrens im Staatsschutzsaal 237, der Prozessbeteiligte und
Zuschauer durch eine Panzerglaswand trennt und nur nach Personenkontrollen
zu betreten ist, ging es ausschließlich um die Verhältnisse in der Türkei.
Die von Spillecke verlesene Anklage umfasste einen geschichtlichen Exkurs
zur Gefährlichkeit der PKK. Die Bundesanwältin listete Anschläge auf,
zeichnete diverse Verflechtungen der PKK in Europa auf, erwähnte aber
beispielsweise Menschrechtsverletzungen durch die türkische Regierung mit
keinem Wort. Kitay habe durch sein Wirken in Deutschland „die öffentliche
Meinung zu Gunsten der PKK beeinflussen“ wollen, deren Mitglied er in der
Türkei noch immer sei. „Er war dem Deutschland-Verantwortlichen
berichtspflichtig“, so Spillecke.
Noch ehe der Angeklagte dazu Stellung nehmen konnte, beantragten seine
Verteidiger Carsten Gericke und Cornelia Ganten-Lange den Antrag auf
Einstellung: Es lägen Verfahrenshindernisse vor. Ein Beamter im
Justizministeriums, der die „besondere Verfolgungsermächtigung“ erteilt
habe, sei dazu „nicht zuständig und qualifiziert“ gewesen, so die
Verteidiger. Hintergrund: Will die BAW den Bürger eines Nicht-EU-Staats
wegen Vergehen in seiner Heimat anklagen, muss sie die Genehmigung des
Bundesjustizministeriums einholen, eben jene „besondere
Verfolgungsermächtigung“.
## „Schwere Mängel“
Im konkreten Fall habe diese Genehmigung obendrein „schwerwiegende Mängel“
aufgewiesen, weil sie auf eine „allgemeine Verfolgung der Vergangenheit“
abziele, so Verteidiger Gericke. „Das hat der Gesetzgeber ausdrücklich
nicht vorgesehen.“ Auch mangele es ihr an einer „umfassenden
Rechtsprüfung“, sie diene der „Befriedung außenpolitischer Interessen“.
Die Anwälte vermissten jede völkerrechtliche Prüfung oder auch eine
Berücksichtigung der „Menschenrechtsverletzungen an der kurdischen
Minderheit“: Diese, monierte Gericke, „ist völlig ausgeklammert worden“.
Das Verfahren gegen Kitay nach Paragraf 129 b „führt sehenden Auges und
gewollt zur Politisierung und Instrumentalisierung der Strafjustiz“,
ergänzt Verteidigerin Ganten-Lange, die von einem „Novum deutscher
Rechtsgeschichte“ spricht. Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb das
Vorgehen und die Ziele der PKK von der Bundesregierung als verwerflich
angesehenen würden, während Außenminister Guido Westerwelle (FDP) etwa die
Aufstände zur Befreiung in Libyen und Syrien offen unterstütze.
Während aus Sicht von Anklagevertreterin Spillecke eine
Strafverfolgungsermächtigung „gar nicht begründet werden“ müsse, kündig…
der OLG-Senat um Richter Klaus Rühle an, erst im weiteren Verlauf des
Verfahrens über den Einstellungsantrag zu entscheiden. Zunächst wolle er in
die Beweisaufnahme eintreten. Es sind 30 Prozesstage angesetzt.
13 Aug 2012
## AUTOREN
Kai von Appen
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