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# taz.de -- Neues Album der Dirty Projectors: Heilung durch Pop
> Die New Yorker Band Dirty Projectors legt mit „Swing Lo Magellan“ ihr
> bisher zugänglichstes Album vor. Obwohl es die Künstler beim Hadern und
> Zweifeln zeigt.
Bild: Geh'n auch mal vor die Tür: Die Dirty Projectors aus New York.
Ein portugiesischer Seefahrer als Namenspatron eines Spirituals?
Konzeptualistische Winkelzüge ist man von den Dirty Projectors schon
gewohnt.
Schließlich hat sich die Band aus einem intellektuellen Interesse an Pop
gegründet. Und genau dafür mag man sie auch. Zuletzt spielten die New
Yorker Musiker zusammen mit Björk ein Chorwerk über eine Walfamilie ein
(„Mount Wittenberg Orca“, 2011).
Ihr neues Album „Swing Lo Magellan“ streift jegliche Anflüge des
Esoterischen ab wie einen alten Anzug. „Ich bin von der Ostküste, ich mag
es, wenn Gegensätze produktiv genutzt werden können“, erklärt Bandleader
David Longstreth lapidar zur Arbeitsweise seiner Band, die die einfachsten
Dinge komplex inszeniert und die kompliziertesten simpel erscheinen lässt.
Unvereinbare Stile lassen die Dirty Projectors auch auf „Swing Lo Magellan“
aufeinanderprallen.
Bereits der Albumtitel meißelt diese Kultur der Gegensätze in Worte. Er
wandelt den Titel des afroamerikanischen Traditionals „Swing Low, Sweet
Chariot“ ab – eine Hymne des Widerstands gegen die Rassentrennung im 19.
Jahrhundert – und schließt ihn mit Ferdinand Magellan kurz, einem
frömmelnden Conquistador, der sich im 16. Jahrhundert die Welt bei einer
Umsegelung untertan machte.
## Magellan als Leitfigur
„Magellan schwebt als widersprüchliche Figur über allen Songs, so wie der
Revolverheld John Wesley Harding die Seele für Dylans gleichnamiges Album
gewesen ist“, erklärt Longstreth.
Die zwölf Songs auf „Swing Lo Magellan“ nehmen ungeachtet des Überbaus
Eigenleben an. Jeder von ihnen steht für sich wie eine Kurzgeschichte in
einem Erzählungsband. Mit eigenem Charakter und Setting. Und doch ergibt
sich zusammengenommen eine absolut zwingende Album-Dramaturgie, die den
Status der New Yorker als Popvisionäre unterstreicht.
Dem ekstatischen Auftakt-Schüttler mit R&B-Beatdesign und
Heavy-Gitarrenriff („Offspring Are Blank“), folgen etwas später die ruhige
Moralität des dylanesken Titelsongs und ein Eisenkugeln schleppender,
durchgehend in unisono vorgetragener Blues namens „Maybe That Was It“.
„Uns war einfach nach Blues zumute“, sagt Longstreth ungerührt. Zudem
komponierte er Liebeslieder mit entwaffnenden Refrains, Songs im
Call-and-Response-Schema, süffige Chorarrangements und Hooklines, die
zeigen, dass er und seine Band aus einem Pop-Instinkt heraus Musik machen.
## Spartanische Folk-Arrangements
Aber wie soll man sich auf den Instinkt verlassen in einer Welt, die bis in
die Privatsphäre kolonialisiert ist? Der Protagonist des Songs „Swing Lo
Magellan“ blickt mit Karte und Kompass gen Westen und findet an der Küste
eine gitterförmige Struktur, Grundriss der amerikanischen Stadt.
Musikalisch sucht der Titelsong Unterschlupf in einem spartanischen
Folk-Arrangement. Ein Abbild der Geschichte des unheimlichen, alten Amerika
und der Country- und Blues-Songs der Landarbeiter und Sklaven mit ihrem
auch aus der Bibel abgeleiteten Erfahrungsschatz. Country und Blues waren
bereits inspirierend für mehrere Pop-Generationen vor den Dirty Projectors.
Der 30-jährige Longstreth sieht seine Band aber durchaus in dieser
Kontinuität.
„Was den Kanon des Pop und seine chronologische Entwicklung angeht, wurde
er durch das Internet zunächst aus der Bahn geworfen. Viele meiner
Zeitgenossen nutzen das Netz als ahistorisches Archiv, das spiegelt sich in
der ungeheuren Kreativität beim Kombinieren alter Stile wider. Ich finde es
erst mal cool. Doch mich stört, dass die Spontaneität flöten geht, wenn man
die Dynamik des Kanons ignoriert.“
„Swing Lo Magellan“ ist eher im übertragenen Sinn ein geschichtsbewusstes
Album. Den Dirty Projectors ging es bei den Aufnahmen um genau diese
Spontaneität. Nicht die chirurgisch präzise Performance war entscheidend,
sondern der magische Moment. Seine Gesangsspuren seien bis auf zwei Songs
First-take-Versionen, erzählt Longstreth. Bisher zeichneten sich
Dirty-Projectors-Alben eher durch ihre Perfektion und Mühelosigkeit aus.
„Swing Lo Magellan“ zeigt die Künstler beim Hadern und Zweifeln.
## Der Bruder als Ideengeber
Aus den Instrumentalparts sind immer wieder Unebenheiten herauszuhören.
„When should I bust into that harmony?“, fragt die Gitarristin und Sängerin
Amber Coffman im Song „Unto Caesar“ und es scheint nicht gespielt. Die
Ideen für die Musik entstanden auf dem Sofa von Longstreth’ Bruder Jake,
der nach New York gezogen war und dort einen holzigen Anfang im Kunsthandel
hatte. „Wir haben zusammen abgehangen, Bier getrunken und uns mit der Musik
von Howlin’ Wolf getröstet“, so David Longstreth, für den sein fünf Jahre
älterer Bruder seit jeher eine Instanz in Sachen Musik ist.
„Our Life is pointless, harsh and long“, singt Longstreth im Album-Finale
„Irresponsible Tune“. Der Gesang beklagt sich aber keinesfalls über die
kleinen und großen Gemeinheiten des Lebens, er appelliert an die heilende
Kraft des Pop im Allgemeinen und an den ergreifenden Klang von Elvis’
Stimme zu Zeiten der Sun Sessions im Besonderen.
„Es ging uns darum, mit einfachen Mitteln auf unsere Erfahrungen Bezug zu
nehmen.“ In der Tat, „Swing Lo Magellan“ ist das bisher zugänglichste Al…
der Dirty Projectors. Und damit verhält es sich antagonistisch zur eigenen
Bandgeschichte.
## Dirty Projectors: "Swing Lo Magellan" (Domino/Rough Trade)
6 Jul 2012
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
Popmusik
Kalifornien
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