# taz.de -- Ein Jahr unabhängiger Südsudan: Enttäuschte Hoffnungen am Weiße… | |
> Verdreifachter Hirsepreis, geschlossene Ölquellen, Streit mit dem Sudan | |
> im Norden: Ein Jahr nach der Unabhängigkeit steckt der Südsudan in einer | |
> tiefen Wirtschaftskrise. | |
Bild: Auch nach der Unabhängigkeit läuft längst nicht alles optimal: Frauen … | |
MALAKAL taz | „So miserabel ging es uns selbst während des Krieges nicht“, | |
klagt James Dawin. Auf seinem Marktstand in der südsudanesischen Stadt | |
Malakal bietet der Händler nur ein paar Auberginen und Spinat aus der | |
Region an. „Ich habe sonst nichts“, sagt Dawin, der sein Geschäft seit üb… | |
zwanzig Jahren betreibt. „Es kommen hier kaum noch Waren an.“ | |
Die Stadt Malakal liegt am Ufer des Weißen Nils, rund 650 Kilometer | |
nördlich der Hauptstadt Juba. In der Nähe verläuft die Grenze, die den | |
Südsudan vom Norden trennt. Die Übergänge sind dicht, die Nachschubwege | |
bleiben versperrt. Auch aus dem Süden kommen kaum Waren: „Die Straße ist | |
wegen der Regenzeit geschlossen“, erklärt James Dawin. „Die einzige | |
Transportmöglichkeit ist momentan per Schiff auf dem Nil, aber das ist sehr | |
teuer wegen der hohen Treibstoffpreise.“ | |
Riesige Pfützen und klebriger Schlamm erschweren den Gang über den Markt im | |
Zentrum von Malakal. Esel rutschen aus, Karren bleiben im Matsch stecken. | |
Eine Kundin beklagt sich, der Spinat sei zu teuer – dabei wachse er doch | |
direkt gegenüber auf dem anderen Ufer des Nils. Der Händler flüstert ihr | |
zu: „Es ist schwierig, das Gemüse hierherzubekommen. Unsere Armee | |
beschlagnahmt das meiste Essen für sich selbst, wie früher im Krieg.“ | |
Ein Jahr nachdem der Südsudan am 9. Juli 2011 formell unabhängig wurde, ist | |
die Situation in dem jungen Staat desolat. Die Hoffnungen der Bewohner auf | |
ein besseres Leben haben sich nicht erfüllt. Mehr als 20 Jahre lang hatte | |
die Rebellenbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) im | |
nichtarabischen Süden für die Loslösung des Gebiets vom Sudan und seiner | |
arabisch-islamischen Regierungselite gekämpft. 2005 ging der Krieg mit | |
einem Friedensabkommen zu Ende: Der Südsudan wurde zunächst autonom. Am 9. | |
Januar 2011 stimmte er mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit. | |
## Arm trotz Ölreichtum | |
In den sechs Jahren relativen Friedens ab 2005 hatte die SPLA-Regierung im | |
Südsudan damit begonnen, das Land allmählich wieder aufzubauen. Der | |
Dauerstreit mit der sudanesischen Regierung in Khartum, der sich seit der | |
Unabhängigkeit noch zugespitzt hat, machte viele Pläne zunichte. | |
Hintergrund: Der Norden verlor durch die Unabhängigkeit des Südens drei | |
Viertel seiner Ölquellen. Die früheren Landsleute in Khartum rächten sich, | |
indem sie von Südsudan hohe Gebühren dafür verlangten, dass es sein Öl per | |
Pipeline durch den Norden exportiert. | |
Darauf reagierte der Südsudan, indem er zu Beginn dieses Jahres all seine | |
Ölquellen schloss. Doch der Süden ist wirtschaftlich vollkommen vom | |
Ölexport abhängig. Nun warnen Ökonomen, das junge Land rase auf einen | |
wirtschaftlichen Abgrund zu, bereits im August drohe die Pleite. | |
Ohnehin zählt der Südsudan zu den ärmsten Ländern der Welt, die Hälfte | |
seiner Bevölkerung muss mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen. Nun | |
wird alles teurer. Golda Simon, eine junge Mutter in Malakal: „Ich weiß | |
nicht, wo ich das Geld hernehmen soll. Mein Mann ist Lastwagenfahrer, aber | |
es gibt keine Arbeit. Die Straße nach Süden und die Grenze zum Norden sind | |
beide geschlossen. Wir verkaufen unsere Möbel, um essen zu können.“ | |
## Hirsepreis verdreifacht | |
Das Grundnahrungsmittel im Südsudan ist Hirse, gekocht auf Holzkohle. | |
Beides kostet inzwischen dreimal so viel wie noch Anfang des Jahres. Der | |
Preis für Zwiebeln hat sich verfünffacht. Zucker, sehr wichtig für den | |
süßen Tee, den hier jeder trinkt, gibt es gar nicht mehr, ebenso wenig | |
Trinkwasser in Flaschen. Viele holen sich jetzt das schmutzige Wasser aus | |
dem Nil. | |
Die SPLA-Regierung in Juba ist fern. Hilfe von ihr erwarten die Menschen in | |
Malakal nicht. Sie besinnen sich lieber auf Selbsthilfe, wie früher während | |
des Krieges. Auf jedem Stückchen freien Bodens, etwa bei der katholischen | |
Kirche oder bei der Grundschule, wird Hirse gepflanzt. | |
Robert Europ, der gewöhnlich auf dem Markt Diesel und Benzin anbietet, | |
schwitzt jetzt als Bauer mitten in der Stadt. „Mir bleibt nichts anderes“, | |
erklärt er. „Mein Treibstoffvorrat ist verkauft, und ich muss auf das | |
nächste Schiff warten. Keine Ahnung, wann das kommt.“ Er resümiert, was | |
viele im Südsudan sagen: „Als der Frieden kam, wurde unser Leben langsam | |
besser. Dann kam die Unabhängigkeit, und jetzt wird unser Leben sehr | |
schnell wieder schlecht.“ | |
9 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
## TAGS | |
Südsudan | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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