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# taz.de -- Rentner protestiert gegen schnelle Autos: Einer gegen das ganze Dorf
> Die schnellen Lkw stören in Kapern alle, doch nur einer unternimmt etwas:
> Jeden Tag stellt Hugo Hager seinen Transporter auf die Straße. Manche
> nennen ihn Querulant.
Bild: „Von nüscht kommt nüscht“: Hugo Hager und sein Transporter.
KAPERN taz | Morgens gegen sieben fährt Hugo Hager seinen rostbraunen
VW-Transporter vom Hof und parkt ihn ein paar hundert Meter weiter am
Dorfende wieder ab. Dann hievt er sein Rad von der Ladefläche und radelt
zurück zu seinem Haus. Das macht Hugo Hager aus Kapern, einem
160-Seelen-Kaff im Wendland, jeden Morgen so. Abends, wenn es dämmert,
rollt er seinen Transporter wieder zurück.
Hugo Hager, 70, nennt das „zivilen Ungehorsam“: Indem er seinen Wagen auf
der Straße abstellt, zwingt er alle anderen Autos, die über die B 439 durch
das Dorf im Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue rauschen,
abzubremsen. Und sogar anzuhalten, wenn jemand entgegenkommt. Hugo Hager,
graue Haare, schlabbriges T-Shirt, alte Jeans, hat eine Mission: Er will,
dass sich die Fahrzeuge an die Geschwindigkeit in Ortschaften von 50
Kilometer pro Stunde halten. „Alle“, grummelt er: „Vor allem die Lkws.“
Das ist das Problem in Kapern: Seit in Deutschland die Lkw-Maut gilt, seit
2005, weichen viele Laster von den Autobahnen auf Bundes- und Landstraßen
aus. Dadurch sparen die „Mautflüchtlinge“ viel Geld. Die Leute in Kapern
spüren das direkt. Manche Brummis kacheln mit 100 durchs Dorf. Hugo Hager
hat das gemessen, er ist ihnen hinterhergefahren. Es ist laut auf der
Straße und laut in den Wohnungen, die Häuser kriegen Risse, die Straßen
gehen kaputt. An einem Wochentag zählt Hugo Hager schon mal bis zu 40, 50
Brummis.
Mindestens die Hälfte davon sind Mautflüchtlinge, glaubt Hugo Hager. „Wenn
die so fahren würden, wie es vorgeschrieben ist, wäre das kein Problem“,
sagt Hugo Hager: „Eingebürgert haben sich 80 Stundenkilometer.“ Außer am
Wochenende, da ist es fast wieder so ruhig wie vor der Lkw-Maut. Dann haben
Großtransporter ohne Lebensmittel und Blumen Fahrverbot. Dann bleibt auch
Hugo Hagers Auto auf dem Hof.
Die Großtransporter stören alle Kaperner, sie wollen sie wieder weghaben.
Sie haben es versucht mit Anzeigen bei der Polizei, mit
Geschwindigkeitskontrollen, mit Anträgen bei verschiedenen Behörden. Keine
Chance. Sie haben Verkehrsinseln an beiden Enden des Dorfes vorgeschlagen.
Aber die werden an Bundesstraßen wie der B 439 fast nie genehmigt. Außerdem
kostet so ein Betonrondell schon mal bis zu 20.000 Euro. Geld, das nicht da
ist.
Aussichtslos? So sehen das die Kaperner. Nur Hugo Hager will nicht klein
beigeben. Er ist wütend: „Jeder hat eine andere Ausrede, warum er nichts
mehr machen will.“ Aber: „Von nüscht kommt nüscht.“ Also setzt Hugo Hag…
seine eigene Methode ein. Mit Erfolg: Dort, wo sein Transporter parkt,
rollt der Verkehr langsamer und leiser.
## Prügeldrohung und Müll im Briefkasten
Aber es gibt neuen Krach, im wahrsten Sinne des Wortes: Vorbeifahrende Auto
hupen, manche langanhaltend, es fliegen auch schon mal Steine gegen Hagers
Scheunenfenster. Ein Fahrer soll gebrüllt haben: „Wenn ich einen Lkw hätte,
würde ich deine Dreckskarre in die Elbe schieben.“ Dem Rentner wird Prügel
angedroht, er findet Müll in seinem Briefkasten. Diejenigen, die das
machen, sagt er, sind keine Ortsfremden, keine, die zufällig vorbeikommen:
„Das sind alles Leute aus dem Dorf und aus den Nachbargemeinden.“
Warum tun die das? Hugo Hager ahnt es: „Auch Mähdrescher und Trecker müssen
langsamer fahren.“ Das nerve die Bauern aus dem Ort, sagt Hugo Hager. Denn
auch sie rasten, was das Zeug hält.
Hagers Hof sieht aus wie die Verwirklichungsstätte eines Bastlers, der nie
fertig wird. Manche im Dorf nennen ihn einen Spinner, andere einen
Querulanten, und für wiederum andere ist der Zugereiste aus Hamburg einfach
nur ein Störenfried. Ein Kaperner sagte mal zu ihm, er brauche sich nicht
zu wundern, wenn ihn „niemand mehr mit dem Arsch anguckt“.
Als Hugo Hager im vergangenen November morgens aus dem Haus trat, traute er
seinen Augen nicht. Dort, wo sonst stets sein rostiger VW-Transporter
parkte, in der Mitte des Dorfes und direkt vor seinem Hof, stand jetzt
plötzlich ein Verkehrsschild: Halteverbot. Die Polizei hatte sein Auto als
„Gefahrenpotenzial“ ausgemacht. Das scheint Hugo Hager egal zu sein. Er
fährt seinen Transporter jetzt ans Dorfende, an eine schilderfreie Stelle.
10 Jul 2012
## AUTOREN
Simone Schmollack
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