# taz.de -- Lkw's auf der Bundesstraße: Zum Frühstück 30 Brummis | |
> Seit Einführung der Mautpflicht donnern hunderte Lkw tags wie nachts | |
> durch das ehemals ruhige Kapern. Die anstehende Mauterhöhung wird jetzt | |
> von den Ländern in Frage gestellt. | |
Bild: Lassen die Kaffetassen auf dem Frühstückstisch scheppern: Lkw's. | |
"Zwölf". "Dreizehn". "Vierzehn". Anita Schneider zählt laut mit. Sie sitzt | |
mit ihrem Mann Horst in der Küche beim Frühstück. Wenige Meter weiter, | |
draußen auf der Straße, brummt es. Das Dröhnen rollt heran, zügig, und als | |
es direkt vor ihrem Haus ankommt, tanzen die Kaffeetassen auf dem Tisch. | |
"Fünfzehn", sagt Anita Schneider. Zum fünfzehnten Mal in einer halben | |
Stunde donnert an ihrem Haus ein Lkw vorbei, mit Anhänger und überhöhter | |
Geschwindigkeit. Am Ende des Frühstücks werden dreißig Transporter bei den | |
Schneiders vorbeigefahren sein, in einer Stunde an einem gewöhnlichen | |
Freitagmorgen. | |
Die Schneiders, Anita, 52, und Horst, 60, wohnen in Kapern im Wendland. Bis | |
2004 war das niedersächsische Dorf ein malerisches und ruhiges Örtchen. Es | |
hat knapp 200 Einwohner, selten sieht man jemanden draußen. Auf der | |
Bundesstraße B 493, die durchs Dorf durchgeht, war nie viel Verkehr. | |
Malerisch ist das Dorf immer noch, doch mit der Ruhe ist es seit 1. Januar | |
2005 vorbei. Da wurde in Deutschland die Lkw-Maut eingeführt: Großfahrzeuge | |
im Güterverkehr mit mehr als zwölf Tonnen müssen eine Gebühr bezahlen, | |
sobald sie auf eine Autobahn rollen, für jeden gefahrenen Kilometer | |
durchschnittlich 12 Cent. | |
Bevor die Maut eingeführt wurde, gab es jede Menge Diskussionen. Spediteure | |
klagten über die zusätzlichen Kosten, Transportverbände erwarteten | |
reihenweise Firmenpleiten. Jetzt aber, fast vier Jahre später, ist klar: | |
Die Angst war übertrieben. Das Bundesamt für Güterverkehr schreibt schon | |
2005 in einem Sonderbericht, dass sich die Mautkosten "auf die Ertragslage | |
der Spediteure neutral" auswirken. Warum? Die Mehrkosten werden einfach auf | |
die Produktpreise umgelegt. Aber es gibt noch eine andere Art, die Maut zu | |
umgehen: runter von den Autobahnen, rauf auf die Bundes- und Landstraßen. | |
Die B 493 von Lüchow nach Schnackenburg ist so eine Straße, sagen die Leute | |
in Kapern. Sie reden von den Großtransportern nur noch als den | |
Mautflüchtlingen. Und die machen ihnen das Leben jetzt zur Hölle. | |
Die Schneiders schütteln den Kopf. Was, die Maut soll gut sein für die | |
Umwelt? So schreibt es das Bundesverkehrsministerium auf seiner Startseite | |
im Internet. Unter "gut für die Umwelt" stellen sich die Schneiders etwas | |
anderes vor. Zum Beispiel den Güterverkehr umzuleiten von der Straße auf | |
die Bahn und aufs Wasser. Das macht das Bundesverkehrsministerium zwar, | |
aber die Schneiders merken davon nichts. Sie merken nur, dass sie auch | |
nachts keine Ruhe haben. "Die fahren oft in Kolonne, drei, vier | |
hintereinander", sagt Horst Schneider. Er ist Rentner und froh darüber, | |
dass er nicht mehr arbeiten muss. Er wäre einfach zu müde. Es gibt Nächte, | |
da schreckt Anita Schneider vom Lkw-Bollern hoch, danach hört die Hausfrau | |
das Klirren der Gläser in den Schränken. Am 1. Januar 2009 soll die Maut | |
noch einmal erhöht werden (siehe Kasten). "Dann wirds noch schlimmer", | |
fürchten die Schneiders. | |
Der gesamte Güterverkehr ist nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums in | |
den vergangenen drei Jahren um 3,5 Prozent gestiegen. Fuhren schwere | |
Transporter 2005 fast 12 Milliarden Kilometer auf Maut-Straßen, waren es | |
2008 schon mehr als 14 Milliarden. Ende 2007 gab es 610.000 mautpflichtige | |
Fahrzeuge, über 9 Milliarden Maut-Euro hat das Haus von Minister Wolfgang | |
Tiefensee (SPD) inzwischen eingenommen. Mit dem Geld sollen Schienen- und | |
Wasserwege ausgebaut werden, vor allem aber Bundes- und Landstraßen. | |
Anita Schneider schlüpft in ihre Clogs und läuft vors Gartentor. Dort steht | |
ein großer Schuttcontainer. Die Schneiders sanieren seit dem Sommer ihr | |
Haus: neues Dach, neue Wände, ein weiteres Zimmer. Das Haus der Schneiders | |
steht in einer Kurve, die Baufirma hat extra Warnschilder aufgestellt: | |
Achtung Baustelle! Hier müssten alle Autos langsamer fahren. "Aber die | |
brettern genauso durch wie sonst", sagt Anita Schneider. Tempo 80 ist für | |
die Lkw normal, manchmal sind es sogar 100. | |
Einmal hat Anita Schneider die Polizei gerufen, die sollte die | |
Geschwindigkeiten messen. Die Polizei hat sich zweimal am Dorfeingang | |
postiert und geblitzt. Das Ergebnis: Elf Autos sind zu schnell gefahren. | |
"Alles Pkw, keine Lkw", sagt die Polizei. Die Schneiders wundert das nicht, | |
sie wissen, wie eine gute Fernfahrerkommunikation aussieht. "Ein Lkw kommt | |
hier lang, entdeckt die Kontrolle und ruft über Funk seine Kollegen an", | |
sagt Horst Schneider. "Dann fahren die langsamer oder nehmen einen anderen | |
Weg." | |
Anita Schneider hebt Bauschutt vor ihrem Gartentor auf und wirft ihn in den | |
Container. Ein Lkw rollt heran, Anita Schneider sagt etwas, sie schreit | |
fast und ist trotzdem nicht zu verstehen. Der Lkw rauscht vorbei, er reißt | |
die Frau fast mit. "Das ist lebensgefährlich", sagt Anita Schneider. Andere | |
Kaperner schicken ihre Kinder aus Angst vor Unfällen nicht mehr vors Haus, | |
Radfahren dürfen die Kinder nur auf dem Hof. | |
Lutz Haas ist viel unterwegs, er ist der Leiter des Bürgeramtes in Gartow. | |
Die Gemeinde liegt fünf Kilometer von Kapern entfernt, auch an der B 493. | |
Auf seinen Touren hört sich Lutz Haas an, welche Probleme die Leute haben. | |
Jetzt klagen sie fast nur noch über den zunehmendem Verkehr. Lutz Haas | |
sammelt das, was die Leute erzählen, in Aktenordnern, die Mappe mit der | |
Aufschrift Lkw-Maut wird immer dicker. "Es ist nicht nur lauter geworden, | |
sondern auch schmutziger", sagt der Bürgerbeauftragte: Gartow ist ein | |
wichtiger Ort für den Tourismus im Öko-Wendland und noch malerischer als | |
Kapern, hier steht ein Fachwerkhaus neben dem anderen. Lutz Haas: "Durch | |
die Erschütterungen reißen die Wände." | |
In der Dorfmitte kreuzen sich die B 493 und die L 276. Immer öfter kommen | |
sich zwei Schwertransporter entgegen, sie müssen umeinander herumfahren, | |
aber die Straßen sind dafür zu schmal. "Die Lkw machen die Straßenränder | |
kaputt", sagt Lutz Haas. Seine Recherchen und die Beschwerden der Leute | |
schickt Lutz Haas an Stellen, die das Dilemma ändern sollen, zum Beispiel | |
ans Landesverkehrsministerium und an die Niedersächsische Landesbehörde für | |
Straßenbau und Verkehr. Das Ministerium fühlt sich nicht zuständig und | |
schiebt das Problem weg an die Landesstraßenbehörde. Die wehrt ab. | |
"Bundesstraßen sind dazu da, den überregionalen Verkehr aufzunehmen", sagt | |
Uwe Stein, Mitarbeiter für Verkehrsrecht des Amtes in Lüneburg. Sein Chef, | |
sagt Uwe Stein, spreche von einem "Mythos Mautflucht", an den Klagen der | |
Bürger sei nichts dran. Über solche Antworten ärgert sich Lutz Haas, er | |
merkt ja, dass es anders ist. Aber er ist hartnäckig, er will, dass sich | |
was tut. Einmal hat die Landesstraßenbehörde auf einen Brief von ihm mit | |
Zahlen geantwortet: 227 Schwerlaster sollen an einem Tag im Jahr 2000 über | |
die B 493 gerauscht sein, 2005 waren es angeblich weniger, nämlich nur 172. | |
"Diese Zahlen glaubt hier keiner", sagt Lutz Haas. | |
Pia Zimmermann, 52, hat sich in Kapern ein Wochenendhaus gekauft. Die | |
Immobilie liegt vier Häuser neben den Schneiders. "Die Wände haben schon | |
Risse", sagt Pia Zimmermann. Studien zeigen, dass ein 40-Tonner die | |
Straßendecke 60.000-mal stärker belastet als ein Pkw. Zimmermann ist | |
Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag in Hannover, als Politikerin | |
könnte sie etwas tun gegen das Problem. Aber ihre Partei, Die Linke, hat | |
der Maut und der neuen Erhöhung zugestimmt. Auch sonst ist die Maut nicht | |
das wichtigste Thema für die junge Partei in Niedersachsen, sie hat sie | |
"nicht in der Pipeline". | |
Was könnte Gemeinden wie Kapern und Gartow helfen? Die Grünen denken über | |
Tempo 30 in allen Ortschaften und über Tempo 50 auf Hauptverkehrsstraßen | |
nach. Aber mit Tempo 30 allein wäre es in Gartow und Kapern nicht getan. | |
Die Schneiders sehen das ja jeden Tag, an das Ortslimit 50 hält sich jetzt | |
auch fast kein Lkw. Sie haben eine andere Idee. "Verkehrsinseln wären gut", | |
sagt Anita Schneider. "Ja", sagt Pia Zimmermann: "Dadurch werden die Lkw | |
gezwungen, langsam zu fahren." Lutz Haas sieht das auch so, aber als | |
Bürgerbeauftragter weiß er, dass Verkehrsinseln auf Bundesstraßen fast nie | |
genehmigt werden. Und dass die Gemeinden sowieso kein Geld dafür haben. Er | |
sagt: "Die Inseln kosten schnell mal 20.000 Euro." | |
Man könnte auch die "Mautausweichstrecken bemauten", schlägt Christian | |
Budde vor, Pressesprecher des Niedersächsischen Landesverkehrsministeriums. | |
"Theoretisch ist das möglich", sagt Budde. Aber praktisch sind | |
Mautausweichstrecken kaum durchsetzbar. Als nach Einführung der Maut sich | |
massenhaft Gemeinden über Mautflüchtlinge beschwerten, führte das | |
Bundesverkehrsministerium ein Jahr lang Messungen auf verschiedenen | |
Bundesstraßen durch. Das Ergebnis: Von 50 Straßen wurden vier mit einer | |
Maut belegt. "Bei allen anderen hat sich das nicht als Problem | |
herausgestellt", sagt ein Sprecher: "Die Maut ist politische Normalität." | |
Anita und Horst Schneider geben sich damit nicht zufrieden. Sie werden die | |
vorbeidonnernden Lkw zählen, Stunde um Stunde, Tag für Tag. Lutz Haas | |
wappnet sich. Im Sommer hat er Unterschriften gegen die Maut gesammelt, 21 | |
Seiten. Die Liste hat er an die Landesstraßenbehörde geschickt. Eine | |
Antwort hat er bislang noch nicht. | |
28 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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