# taz.de -- Japanisches Kino: Trilogie der Maßlosigkeit | |
> In „Guilty of Romance“ von Sono Sion ist der bizarre Abschluss der | |
> Hass-Trilogie. Darin dient Sado-Maso-Sex als Mittel der | |
> gesellschaftlichen Zurichtung. | |
Bild: Bizarr und voyeuristisch: Makoto Togashi als Mitsuko in „Guilty of Roma… | |
Eine Frau will den Abfall rausbringen. Weil sie die Müllabfuhr verpasst, | |
läuft sie dem Wagen mit ihren Tüten hinterher. Bei jedem Halt kommt sie | |
knapp zu spät, und als sie schließlich erschöpft aufgibt, findet sie sich | |
in einer Straße wieder, in die sie noch nie einen Fuß gesetzt hat. | |
Plötzlich erwacht sie aus ihrem alten Leben. | |
Erst drei Tage später kehrt sie zu ihrem Mann zurück. Im Tokioter | |
Vergnügungsviertel Shibuya kann so etwas schnell passieren. Abseits der | |
großen Einkaufsstraßen verliert sich der Glamour der Metropole in engen | |
Gassen, in denen man es mit der Moral nicht so genau nimmt. Hier ermittelt | |
die Kommissarin Kazuko in einem bizarren Mordfall. Der Täter drapiert | |
Körperteile seines Opfers mit den Extremitäten von Schaufensterpuppen. | |
Die Spur führt zunächst ins Nichts – obwohl Kazuko im Milieu der | |
Liebeshotels keine Unbekannte ist. Tagsüber arbeitet sie als Hüterin von | |
Recht und Ordnung, nachts bietet sie sich als willfährige Sexgespielin an. | |
Und sie ist in Sono Sions neuem Film „Guilty of Romance“ nicht die einzige | |
Protagonistin mit einem Doppelleben. | |
Auch die respektable Literaturwissenschaftlerin Mitsuko und die brave | |
Hausfrau Izumi, Ehefrau eines erfolgreichen Kitschautors, leben, wenn es | |
dunkel wird, ihre unterdrückten Fantasien aus. Die polizeilichen | |
Ermittlungen führen die drei Frauen zusammen. | |
## Holprige und bizarre Umwege | |
„Guilty of Romance“ ist der Abschluss von Sono Sions sogenannter | |
Hass-Trilogie, die einige holprige und nachgerade bizarre Umwege genommen | |
hat, um ein eigenwillig hochgepitchtes Gesellschaftsporträt zu zeichnen. | |
Die furiose und, hormonell bedingt, großartig überkandidelte | |
Teenagerromanze „Love Exposure“, der erste Teil aus dem Jahr 2009, und den | |
etwas verschämt zwischen Sado und Maso pendelnden „Guilty of Romance“ | |
trennen nicht nur gefühlsmäßig Welten, und doch weisen beide Filme die | |
unverkennbare Handschrift Sono Sions aus, der sich spätestens seit „Strange | |
Circus“ den Ruf eines japanischen Kino-Enfant-terribles verdient hat. | |
Dazwischen fungierte als unheilvolles Bindeglied das ziemlich kranke | |
Familiendrama „Cold Fish“ um zwei Zierfischhändler von, um es vorsichtig | |
auszudrücken, sehr gegensätzlichem Temperament, das in einem irrsinnigen | |
und vollkommen unmotivierten Blutbad endete. | |
## Das Prinzip der Überbietung | |
Wie die meisten von Sono Sions Filmen zerfällt auch seine Trilogie mit | |
„Guilty of Romance“ (nach einem De-Sade-Zitat) in viele kleine disparate, | |
widersprüchliche, visuell aber durchaus ansprechende Erzähleinheiten, die | |
für sich genommen weitaus verstörender wirken als das filmische Ganze. | |
Auch „Guilty of Romance“ wird eher von Stimmungen als von einem stringenten | |
Plot zusammengehalten. Sono Sion arbeitet bevorzugt nach dem Prinzip der | |
Überbietung. Das schlägt sich nicht zuletzt auf der Tonspur nieder; ständig | |
ist jemand am Schreien, es wird viel gestöhnt und hysterisch gelacht. Sono | |
Sion liebt vordergründige Effekte – auch die Genres nimmt er, wie sie | |
kommen. | |
So springt „Guilty of Romance“ relativ unvermittelt zwischen | |
psychosexuellem Exploitationfilm, Familiendrama (die Familie ist bei Sono | |
Sion grundsätzlich Wurzel allen Übels) und Polizeifilm. Doch auch der | |
Thrillerplot dient lediglich als Vorwand für geile Blicke auf die sexuellen | |
Vorlieben seiner Figuren. | |
Sex ist in „Guilty of Romance“ ein Mittel der gesellschaftlichen Zurichtung | |
und individueller Emanzipation. Es wäre sicher übertrieben, vom japanischen | |
Kino bahnbrechende neue Erkenntnisse über die Geschlechterverhältnisse zu | |
erwarten, aber die sexual politics von „Guilty of Romance“ sind selbst für | |
japanische Verhältnisse abenteuerlich. Und hochgradig plakativ. | |
Abends rückt Izumi ihrem Mann die Hauspantoffeln zurecht, Mitsuko | |
unterrichtet tagsüber an der Universität. Als sie sich nachts in den | |
Seitenstraßen von Shibuya begegnen, nimmt die Akademikerin das Mädchen mit | |
auf einen psychedelischen Sexgewalt-Trip. Sie erklärt der jüngeren Izumi, | |
wie die Rollen von Unterdrücker und Unterdrückter verkehrt werden. Man muss | |
sich den Sex einfach nur bezahlen lassen. | |
Sono Sions Maßlosigkeit macht den Reiz seiner Filme aus, sie erweist sich | |
aber auch als größtes Manko. „Guilty of Romance“ mäandert viel zu lang um | |
dieselben Ideen. Das visuelle Repertoire ist limitiert, seine | |
Gesellschaftsbilder bleiben inkonsequent – das ist vielleicht das | |
Ärgerlichste an „Guilty of Romance“. Gutes Exploitationkino muss sich um | |
solche Kriterien nicht unbedingt scheren, aber der muntere Reigen von | |
Provokationen und Tabubrüchen verfehlt seine Wirkung. Dass Sono Sion es | |
besser kann, hat er mit „Love Exposure“ bewiesen. | |
## „Guilty of Romance“, Regie: Sono Sion, mit Miki Mizuno, Makoto Togashi | |
u. a., Japan 2011, 144 Min. | |
19 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
## TAGS | |
Japanisches Kino | |
Science-Fiction | |
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