# taz.de -- Filmstart von „Like Father, Like Son“: Der vertauschte Sohn | |
> Große Dinge in kleine Gesten gelegt: „Like Father, Like Son“, ein | |
> Spielfilm des japanischen Regisseurs Hirokazu Kore-eda. | |
Bild: Auf die Mütter blickt Hirokazu Kore-eda mit Zärtlichkeit, auch wenn er … | |
Sechs Jahre alt ist Keita (Keita Ninomiya), als seine Eltern vom | |
Krankenhaus einen Anruf erhalten: Der Junge wurde bei der Geburt leider | |
vertauscht. Klingt wie ein Witz, den man macht, wenn der Kleine mal wieder | |
tödlich genervt hat. Im wirklichen Leben jedoch sind aus so was Tragödien | |
gebaut. Ryota (Masaharu Fukuyama) und Midori (Machiko Ono) sehen den Sohn | |
plötzlich mit anderen Augen: Hat er mir, fragt der Vater, nicht immer schon | |
wenig geähnelt? | |
Stimmt, denkt man, soll man auch denken, und zum Glück ist das so, denkt | |
man auch, denn Ryota ist ein schrecklicher Ehrgeizling vor dem Herrn. | |
Erfolgreicher Angestellter in einem Architekturbüro, der von seinem Sohn | |
nur Großes erwartet, wenig Zeit für ihn hat und gar nicht gut damit | |
klarkommt, dass Keita auf dem Klavier trotz viel Üben nur klimpert. | |
Wo aber ist der biologisch richtige Sohn? Den findet das Krankenhaus, das | |
vor allem in Gestalt zweier fast slapstickhaft zerknirschter älterer Herren | |
seine Auftritte hat, per Gentest sehr schnell. Er heißt Ryusei (Shogen | |
Hwang), steckt in der Familie eines Happy-Go-Lucky-Ladenbesitzers, hat | |
einen kleinen Bruder und eine kleine Schwester, viel Geld ist da nicht, | |
dafür nehmen alle immer gemeinsam ein Bad, lassen Drachen fliegen und sind | |
ziemlich tiefenentspannt. | |
Von Klavierübung und Vorbereitung auf die Karriere nicht die leiseste Spur. | |
Also Sodom und Gomorrha aus Ryotas Perspektive. Kein Wunder, dass er | |
schnell auf die Idee kommt, die Söhne nicht etwa zu tauschen, sondern | |
gleich beide zu sich zu nehmen. Als er das äußert, setzt es einen sehr | |
verdienten Schlag auf den Kopf. | |
## Ein subtiler Stilist | |
Wenn man die Geschichte nacherzählt, klingt sie so schematisch, wie sie der | |
Konstruktion nach auch ist. Da hat man aber die Rechnung ohne den Regisseur | |
Hirokazu Kore-eda gemacht. Der ist nicht nur ein (vielleicht etwas | |
konservativer) Humanist durch und durch. Viel wichtiger: Er ist auch ein | |
wirklich subtiler Stilist. Man beobachte nur den erwähnten Schlag auf den | |
Kopf. Der sanfte Yudai (Riri Furanki) schlägt nicht heftig zu, eher ist das | |
ein Stüber, ein Klaps auf die Stirn für einen, der sich gerade schrecklich | |
danebenbenimmt. Große Dinge sind hier in kleine Gesten gelegt. | |
Es ist im Übrigen falsch, nur auf die Väter zu sehen, obwohl der Kontrast | |
zwischen ihnen als Konflikt und als Zentrum der moralischen Lektion für | |
Ryota das ist, was zunächst in den Blick fällt. Kore-eda ist aber ein Mann | |
nicht des Zentrums, sondern der Peripherie, der kleinen Regungen, nicht der | |
großen Ideen, der sanften Modulationen und nicht des lautstarken Dramas. | |
Und so geht es von der ersten Einstellung an immer auch darum, wie Eltern | |
und Sohn, die eine Familie und die andere, die Väter, die Mütter | |
miteinander ins Bild gerückt sind. Früh sieht man einmal Vater und Mutter | |
links im Gespräch, Keita – den „falschen“ Sohn – rechts am Klavier nur | |
gerade so noch im Anschnitt. Da weiß man noch nichts von der | |
Verwechslungsgeschichte, aber die Rahmung der Szene formuliert schon leise | |
Zweifel. | |
Oder ein anderes Bild: Es stellt sich heraus, dass damals eine | |
Krankenschwester den Austausch der Neugeborenen mit Absicht vornahm, aus | |
dem Unglück ihres eigenen Lebens heraus. Sie gesteht das jetzt ein, sie ist | |
um Wiedergutmachung bemüht. Es kommt zur Konfrontation mit Ryota, die mit | |
einer Einstellung endet, die nur ein Meister so hinbekommt. | |
## Verbeugung am Bildrand | |
Ryota ist nach unten auf der Treppe verschwunden, von rechts neigt sich der | |
Oberkörper der Krankenschwester mit einer so desperaten wie entschlossenen | |
Verbeugung in äußerster Unschärfe ins Bild. Der Mann sieht das nicht mehr, | |
wir sehen es beinahe auch nicht. Und doch ist es ein entscheidender Moment, | |
in dem in Ryotas Verständnis der Welt und seiner selbst etwas kippt. | |
Vor allem aber hat Kore-eda einen fast zärtlichen Blick auf die Mütter. | |
Midori, die Frau von Ryota, leidet unter ihrem leistungsethisch verbohrten | |
Mann; sie macht Bemerkungen, bleibt sonst aber passiv. Sie will den | |
Argumenten Ryotas für den Rücktausch der Kinder nicht folgen, aber sie | |
zögert, weiß nicht genau, schreitet nicht ein. Als Ryusei, der nun bei den | |
biologischen Eltern lebt, Ryota fragt, warum er ihn Vater nennen soll, weiß | |
der keine Antwort. Midori steht im Hintergrund und hilft ihm nicht aus. So | |
prägnant setzt Kore-eda diese Passivität ins scheinbar einfache Bild. | |
Und mehr als einmal gibt Kore-eda den beiden Müttern, Midori und Yudai, | |
allen Raum, den er hat: Während die Väter miteinander wenig anfangen | |
können, liegen Midori und Yudai sich in den Armen, verzweifelt, tröstend. | |
Sie haben keine Worte, aber der Film gibt ihnen doch bewegenden Ausdruck | |
für ihr großes Leid. | |
25 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Cannes | |
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