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# taz.de -- Leistungen für Asylsuchende: Essenspakete statt Hartz IV
> Viele Bundesländer wollen Flüchtlingen weiterhin den Speiseplan
> vorschreiben. Statt Geld geben sie Sachleistungen aus. Das könnte bald
> durch eine EU-Richtlinie untersagt werden.
Bild: Warten ist eine der Haupttätigkeiten von Asylsuchenden.
Die bisherige deutliche Lücke zu Hartz IV ist nicht das einzige Problem für
Asylsuchende. Ihre reduzierten Bezüge sollen auch als sogenannte
Sachleistungen ausgegeben werden – abgepackte Essenspakete oder
Lebensmittelgutscheine, einlösbar nur in bestimmten Vertragssupermärkten.
Den Gesetzentwurf eingebracht hatte 1992, kurz nach dem Pogrom von
Lichtenhagen, die Union: „Der wirtschaftliche Anreiz, nach Deutschland zu
kommen, muss gemindert werden“, sagte der kurz darauf wegen
Steuerhinterziehung verurteilte Ex-CSU-Generalsekretär Bernd Protzner
damals im Bundestag. Von den Sachleistungen erhoffte sich seine Fraktion
eine „Eindämmung des ungebremsten Einwandererzustroms“.
Die Gebietskörperschaften, die die schikanöse Regelung umsetzen sollten,
waren nicht angetan. Über „Mehrarbeit und Mehrkosten“ schimpfte damals
Siegfried Gärtner, Sozialdezernent des Deutschen Landkreistages. Eines der
ersten Länder, die sich deshalb gegen die Sachleistungsausgabe entschieden,
war Hamburg. „Die Organisation von Gutscheinen und Warenpaketen ist mit
großem Verwaltungsaufwand verbunden“, sagt Oliver Kleßmann, Sprecher der
Sozialbehörde Hamburg.
## Wie Kinder behandelt
Berlin, Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zogen mit
den Bargeldzahlungen nach, ebenso wie die größten Teile von
Schleswig-Holstein, NRW, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Sachsen.
Niedersachsen und Teile Thüringens und Brandenburg hingegen geben – neben
dem vorgeschriebenen monatlichen Taschengeld von 40,90 Euro – bis heute
Lebensmittelgutscheine an Asylsuchende aus. In Hennigsdorf bei Berlin etwa
verteilt alle zwei Wochen ein Mitarbeiter des Sozialamts im
Asylbewerberheim ein Heft mit Gutscheinen im Wert von rund 95 Euro. Diese
müssen innerhalb einer Frist in bestimmten Geschäften eingelöst werden.
Alkohol oder Zigaretten gibt es nicht, Wechselgeld wird maximal in Höhe von
zehn Prozent des Nennwerts herausgegeben. Viele der Asylbewerber leiden
besonders darunter, dadurch keine Importlebensmittel aus ihrer Heimat
einkaufen zu können.
Fertig abgepacktes Essen gibt es in Bayern, dem Saarland und nach Angaben
von Pro Asyl im größten Teil Baden-Württembergs. Vor allem in Bayern gibt
es immer wieder heftige Proteste gegen die Lebensmittelpakete. Im
fränkischen Aub etwa sind die Heimbewohner – wie in vier weiteren
bayrischen Heimen – derzeit im Hungerstreik. Unter anderem fordern sie, ihr
Essen selbst kaufen zu dürfen. „Man behandelt uns wie kleine Kinder“, sagt
der Iraner Ashkan Khorasani. „Es ist ein Grundrecht, selbst zu entscheiden,
was man essen will. Stattdessen kriegen wir jahrelang immer das Gleiche
vorgesetzt.“ Er sei noch nie in einem deutschen Supermarkt gewesen.
## Gesetzlich vorgesehene Essenspakete
Das saarländische Innenministerium erklärte gegenüber der taz, auch nach
dem Karlsruher Urteil an der Essenspaketausgabe festzuhalten, ebenso
Bayern. Das sei gesetzlich so vorgesehen und nun richterlich bestätigt,
sagte Maximilian Griebl, Sprecher des bayrischen Sozialministeriums. Die
baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney forderte den Bund
auf, „das anachronistische Sachleistungsprinzip abzuschaffen und durch
Geldleistungen zu ersetzen“.
Möglicherweise erledigt sich das Thema bald: Auf EU-Ebene wird über die
Neufassung der Richtlinie zu „Mindestnormen für die Aufnahme von
Asylbewerbern“ diskutiert. Diese könnte künftig den „Zugang von
Asylbewerbern zu Sozialhilfe und Arbeitsmarkt“ vorsehen. Dann wäre das
Sachleistungsprinzip vom Tisch.
18 Jul 2012
## AUTOREN
Christian Jakob
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