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# taz.de -- Kommentar Venezuela und Menschenrechte: Desaster für die Menschenr…
> Venezuela steigt aus dem Interamerikanischen Menschenrechtssystem aus.
> Für Menschenrechtler vor Ort ist das eine Katastrophe.
Nein, das ist wirklich keine gute Nachricht aus Caracas. Venezuelas
Präsident Hugo Chávez hat am Mittwoch ein Urteil des Interamerikanischen
Menschenrechtsgerichtshofs (CIDH) zum Anlass genommen, den bereits länger
angekündigten [1][Ausstieg des Landes aus dem Interamerikanischen
Menschenrechtssystem] zu verkünden.
Noch ist unklar, wie genau das technisch zu machen ist, vermutlich müsste
das Land sich dann auch gleich aus der Organisation Amerikanischer Staaten
(OAS) zurückziehen – und die eigene „bolivarische“ Verfassung nicht allzu
ernst nehmen, die jedem venezolanischen Staatsbürger das Recht zubilligt,
im Falle von Menschenrechtsverletzungen die Hilfe internationaler Justiz in
Anspruch zu nehmen.
Venezuelas Regierung hat gute Gründe anzunehmen, mit diesem drastischen
Schritt Nachahmer zu finden. Denn beliebt sind Menschenrechtskommission und
-gerichtshof bei allen lateinamerikanischen Regierungen nicht. Das liegt
allerdings nicht daran, wie Chávez es behauptet, dass das
Menschenrechtssystem der Organisation Amerikanischer Staaten von den USA
dominiert sei – die im übrigen dessen Rechtssprechung nicht anerkennen –,
sondern daran, dass die Richter in aller Regel einen ziemlich guten Job
machen.
Gerade diesen Mittwoch etwa entschieden sie zugunsten der indigenen
Einwohner von Sarayaku, einem Dorf im ecuadorianischen Urwald, die vom
ecuadorianischen Staat Schadenersatz fordern, weil dieser die
Erdölförderung in ihrem Gebiet ohne vorherige Abstimmung mit der Gemeinde
zugelassen hat. Das reicht zwar weit vor die Verantwortung der aktuellen,
sich links gebenden Regierung des Präsidenten Rafael Correa zurück, gefällt
dieser aber dennoch nicht, weil sie selbst derzeit Dutzende ähnliche
Projekte am Laufen hat.
Auch die Berichte der Kommission zum Thema Meinungsfreiheit stoßen der
ecuadorianischen Regierung auf. Und die rechte kolumbianische Regierung
hadert immer wieder mit Urteilen des Gerichtshofs, was Massaker von rechten
Paramilitärs, Opferentschädigung und Landrückgabe angeht.
## Das Gericht als letzte Chance
Es ist die erklärte Aufgabe des Interamerikanischen Menschenrechtssystems,
Betroffenen rechtliches Gehör zu verschaffen, wenn die nationale Justiz
dazu nicht willens oder in der Lage ist. Für MenschenrechtsverteidigerInnen
ist der Gerichtshof oftmals die letzte Chance, recht zu bekommen – sehr zum
Unwillen der jeweiligen Regierungen, egal, ob sie nun rechts oder links
sind.
Bislang haben sie sich immerhin an die aus der OAS-Mitgliedschaft
resultierende Verpflichtung gehalten, die Urteile des CIDH zu respektieren
und umzusetzen: Chávez’ Ankündigung dürfte diese Gewissheit nachhaltig
beschädigen.
Schon beim letzten Gipfeltreffen der Organisation Amerikanischer Staaten in
Cochabamba wurde deutlich, wie tief die Krise der OAS inzwischen ist. Die
verschiedenen Ankündigungen – zumeist von Venezuela oder den mit Chávez
befreundeten Regierungen – man solle die OAS auflösen und stattdessen
„etwas Eigenes“ ohne die USA und Kanada schaffen, sind alarmierend: Nicht,
weil die OAS an sich in den letzten Jahren eine irgendwie schlagkräftige
Organisation gewesen wäre. Aber ohne OAS kein Interamerikanisches
Menschenrechtssystem.
Die Beteuerungen, man werde etwas Neues aufbauen, um den Schutz der
Menschenrechte zu gewährleisten, kann man getrost als Propaganda abtun:
Menschenrechtsanwälte können ein Lied davon singen, wie sich die
Regierungen solch einen Menschenrechtsschutz in der Praxis vorstellen.
Zugegeben: Auch der CIDH hat Schwächen, vor allem jene, dass er überhaupt
nicht in der Lage ist, allen Fällen nachzugehen, bei denen Betroffene um
Hilfe ersuchen. Damit allerdings wissen die organisierten
MenschenrechtsverteidigerInnen in den meisten Ländern längst umzugehen: Sie
wählen genau aus, welche Fälle sie zum CIDH tragen und welche Wirkung auf
die nationale Rechtsprechung sie damit auslösen können.
Wenn diese letzte und – das gilt zumindest für einige Länder – auch einzi…
funktionierende Rechtsinstanz wegfällt, ist das für
Menschenrechtsorganisationen ein Desaster. Kein Wunder, dass nahezu alle
Organisationen schon die seit Monaten laufende Debatte über den Austritt
Venezuelas heftig kritisieren.
26 Jul 2012
## LINKS
[1] /Venezuela-verlaesst-Gerichtshof/!98076/
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
Recherchefonds Ausland
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