# taz.de -- Trödelhändler in Spandau: Vom Wert des Gerümpels | |
> Trödelmanne in Berlin-Spandau ist seit bald 20 Jahren im Geschäft. Was er | |
> von Kunden, Kollegen, der Jugend und der Welt hält, erzählt er laut | |
> lachend. | |
Bild: Für den Händler ist das Müll: Bücher auf dem Flohmarkt. | |
BERLIN taz | Wie die freigelegten Bodenschichten bei der archäologischen | |
Ausgrabung bringen Gebrauchtwarengeschäfte und Trödelmärkte die | |
alltäglichen Besitztümer, Gegenstände und Lebensgewohnheiten vergangener | |
Generationen wieder ans Licht. | |
Alles liegt ausgebreitet da, Neues und Altes, ein Durcheinander aus | |
Wertgeschätztem und Kitsch, Gerümpel und Brauchbarem. Dieses Sammelsurium | |
mit deutlichen Gebrauchsspuren übte schon immer eine magische | |
Anziehungskraft aus. Auf Flaneure mit dem Hang zu Erinnerungs- und | |
Zeitreisen ebenso wie auf Sammler im ewigen Jagdfieber nach dem noch | |
fehlenden Stück. Und natürlich auf Leute mit wenig Geld, die hier das | |
Nötigste billig erwerben können. | |
Anzahl und Größe der Flohmärkte sagt auch etwas aus, über die ökonomischen | |
und sozialen Verhältnisse im Land. In Deutschland gibt es derzeit weit mehr | |
als 40.000 Flohmärkte, und es werden immer mehr. Offiziell sichern sich | |
zwei Millionen Bürger damit ihre Existenz. | |
In den Zeiten der Krise bilden sich stets die seltsamsten Märkte. Sie sind | |
Umschlagplatz für den Bedarf. So wie Saint Quen in Paris – der älteste und | |
immer noch größte Flohmarkt der Welt – einstmals Ende des 19. Jahrhunderts | |
begann, nämlich als Verkaufs- und Sammelplatz für Lumpen und die abgelegte | |
Kleidung des Adels, für Gerümpel und Altwaren, scheinen die europäischen | |
Flohmärkte nun wieder zu enden. | |
## Massiv gebaut, aber kalt | |
Der Trödelladen des Flohmarkthändlers Manne Broß liegt in Spandau, auf | |
einem geradezu idyllischen und verwinkelten Gelände, das von Gewerben | |
verschiedener Art besiedelt ist. | |
In einem alten Backsteingebäude hat er einen Raum, der als Laden dient und | |
wohlgeordnet das übliche kleine Sammelsurium enthält. Daneben befinden sich | |
Vorraum und ein großer, weißgetünchter Lagerraum, angefüllt mit Möbeln, | |
Betten, Matratzen usf. Er erklärt: „Das ist hier alles Senat. Alles in | |
öffentlicher Hand, das ganze Gelände. Früher, um 1900, waren das mal | |
Kasernen, später auch Polizeikasernen, glaube ich, vor dem Krieg. Massiv | |
gebaut sind die. So drei bis fünf Euro verlangen sie für den Quadratmeter. | |
Ist nicht beheizt, und im Winter stehe ich hier eingemummel wie ein Eisbär, | |
aber alles ist trocken.“ | |
Manne berlinert, lacht gern und laut, ist braun gebrannt, wirkt gesund und | |
munter, und, was überrascht, er hat auffallend schöne und gepflegte Hände | |
und Füße: „Ja, die denken immer: Verdächtig, verdächtig, der arbeitet ja | |
gar nicht, der tut nur so! Nee, ick hebe hier herum und schleppe Zeug ohne | |
Ende. Hab auch schon Zipperlein. Da macht der Arm mal Probleme und das Knie | |
tut weh. Da musste durch – so lange die Knochen noch mitmachen, können sie | |
ruhig mal ein bisschen wehtun.“ | |
## In der Einflugschneise | |
Ein Passagierflugzeug überfliegt dröhnend das Dach. Dieses Gelände liegt | |
sozusagen direkt in der Einflugschneise des Flughafens Tegel, der sich | |
jenseits des Spandauer Sees erstreckt. „Ick höre det gar nicht mehr. Damit | |
ist Schluss, wenn der neue Flughafen mal fertig ist – irgendwann.“ | |
Zwischenruf zu einem Matratzen schleppenden Kunden, einem älteren und nicht | |
gerade kraftstrotzenden Mann: „Nu mach mal hinne, sonst überleg ich mir das | |
noch mal …“ – und wieder zu mir: „Na was denn?! Allet billig, billig, u… | |
dann wollen sie auch noch, dass ich mit anpacke. Nix da!“ | |
Begleitet werden die Worte von einem lauten, gutmütigen Lachen, das die | |
Grobheit für den polnischen Kunden ein wenig mildert. „Ich bin jetzt grade | |
Jubilar geworden. Zehn Jahre An- und Verkauf, einmal die Woche Flohmarkt | |
und ab und zu ’ne Wohnungsauflösung – Keller leer, Dachboden leer, Garten | |
leer. Mach ich alles. Dabei hilft mir dann schon auch mal ein Freund mit, | |
oder mein Sohn – aber der hat ja seinen eigenen Trödelladen, hier in der | |
Nähe. Manchmal helfen auch die Leute, die das Zeug von Opa und Oma | |
loswerden wollen. Wenn sie nix zahlen können, müssen sie mitarbeiten. | |
Anders geht es nicht. Das meiste kommt gleich auf den Müll! Von dem | |
bisschen, was brauchbar ist, kann ich grade mal so leben. Und was ich davon | |
dann von hier zum Flohmarkt mitnehme, das muss ich auch genau wissen, muss | |
eine Auswahl treffen.“ Mannes Handy klingelt, und er geht laut | |
telefonierend auf und ab. | |
Ein Freund von ihm, ebenfalls Händler, kommt angeschlendert, öffnet eine | |
Flasche Bier und kümmert sich nach kurzem Gruß erst mal nur um seinen | |
Alkoholspiegel. Beide haben oft benachbarte Standplätze auf dem Flohmarkt. | |
Ich habe sie einige Male in Aktion gesehen und Mannes berüchtigte | |
Lachsalven gehört. Sie fegen mit schätzungsweise 60 bis 100 Dezibel über | |
den Markt und sind von Weitem zu hören. Jeder findet ihn blind. Zudem wird | |
das Publikum magisch angezogen von den eingespielten Streitereien und | |
Pöbeleien zwischen den beiden ungleichen Männern. | |
Der eine breit und dynamisch, der andere schmal und von eher ruhiger Natur, | |
bleiben sie einander nichts schuldig. Jeder verhöhnt gnadenlos die Waren | |
und Preise des anderen, hebt die Qualitäten der eigenen hervor. Während | |
Manne eher hochwertigere Ware anbietet und nur auf Nachfrage des Kunden | |
polternd verhandelt, bietet der Freund sein Sammelsurium mit dem | |
unentwegten Ausrufen eines Festpreises an: „Jedes Teil ein Euro!“ | |
## 50% schlechte Menschen | |
Ein Flugzeug dröhnt, Manne schiebt ein mit einer DDR-Fahne bedecktes | |
Krankenhausbett aus seinem Lager ins Freie und rollt es zwischen die | |
anderen Möbel, Kartons, Regale und schmutzigen Kühlschränke, die er auf dem | |
Vorplatz aufgestellt hat. | |
„Ich muss mich drinnen bewegen können! Aber abends ist der ganze Platz | |
wieder leer. Wenn ich anfange hier Müll zu lagern, dann haut mich der | |
Vermieter raus! Außerdem kommen die Leute und schmeißen noch mehr hin. Wenn | |
ich manchmal montags komme, liegt da ’ne Couch, da steht ein Schrank. Und | |
warum? Weil das Schweine sind! 50 Prozent der Menschheit ist schlecht, | |
mindestens.“ | |
Meine Freundin Elisabeth stöbert in einem Karton und ruft: | |
„Seniorenartikel, unbenutzt, die unverzichtbaren Inkontinenzvorlagen, in | |
rauen Mengen!“ Manne lacht und sagt: „Rechtzeitig kaufen. Tipp von mir. | |
Wenn man sie braucht, ist es zu spät, dann sind sie zu teuer. Nee, mein | |
Ernst! Bald sind wir alle so weit!“ | |
Sie untersucht die Regale: „Hier geht es weiter. Die klassischen karierten | |
warmen Oma-Pantoffeln, neu. Geräumige grüne Unterhosen mit weichem Gummi, | |
flauschige Unterhemden, und es gibt Unmengen von Feinstrumpfhosen, | |
originalverpackt. Oder hier, Kinderspielzeug, Plastikflossen, alles da!“ | |
Manne lächelt und sagt: „Ich hab auch ein Fotoalbum aus den 50er Jahren, da | |
haben die Leute nur ihre Katze fotografiert, überall in der Wohnung, in | |
allen Positionen. Ich hab alles da. Ich habe kein Prinzip. Aber ich habe | |
auch richtig gute Sachen. Das Problem ist nur, die sind schwer zu | |
verkaufen. Ganz hinten, an den Möbeln vorbei, da ist eingekeilt eine echte | |
Antiquität. Kannste anschauen. Ein Sekretär. Er ist zu teuer – ich mache ja | |
keine Anzeigen und nichts. So was steht dann manchmal ein bis zwei Jahre, | |
und ich muss auch noch aufpassen, dass nichts kaputtgeht. | |
Dann nimmt er, den Freund ignorierend, seinen Gesprächsfaden wieder auf: | |
„Wir waren beim Thema Flohmarkt, stimmt’s? Das Gedächtnis jedenfalls ist | |
noch gut!“ Er lacht dröhnend. „Ich gehe immer nach Zehlendorf, Goerzallee. | |
Da sind ja zwei nebeneinander … Einmal der auf dem Paradeplatz, vor den | |
Gebäuden, wo vor dem Krieg Telefunken drin war, was dann Ami-Kaserne wurde | |
und wo sie jetzt die Luxuswohnungen reinbauen – ich hab gesehen, da hat | |
auch diese Pleitebank ihre Finger drin, wie heißt die? Genau, Hypo Real | |
Estate – wo wir Steuerzahler Milliarden abdrücken müssen, und die bauen da | |
lustig auf unsere Kosten Luxusimmobilien. Steht sogar auf dem Schild am | |
Zaun. Ich sehe alles! | |
## Keine Bücher in Spandau | |
Jedenfalls, dort auf den Paradeplatz gehe ich nicht, ist mir zu teurer der | |
Standplatz“, ein Flugzeug ist über uns, „und fast nur Klamotten und dann | |
die Ausländer, mit ihren Imbissständen, die gehen mir auch auf den Keks. | |
Nee, ich verkaufe auf dem anderen, vor dem OBI-Baumarkt, meine Sachen. Da | |
haben wir zwar inzwischen auch fünf arabische Imbisse, einen arabischen | |
Gemüsestand, einen polnischen, ein Türke presst Saft aus Granatäpfeln, was | |
weiß ich … Das hat es vor drei, vier Jahren noch nicht gegeben! Aber der | |
Platz ist mir trotzdem lieber, da gibt’s kein Drängeln, es kommt gemischtes | |
Publikum. Ich fahre ohne Stress hin über die Stadtautobahn. 20 Minuten. | |
Sonntag früh um vier ist kein Mensch auf der Straße. | |
Also, ich kenne den Flohmarkt, man könnte eine Serie drehen, „Flohmarkt | |
live“. Da wimmelt es von Spinnern und allen möglichen Gurken. Es ist ja | |
Schwarzarbeit, sind ja Schwarzhändler, fast alle. Die machen das | |
hauptberuflich, auch die ganzen Hartz-IV-Spinner. Die sind abgesichert, | |
verkaufen noch dazu und leben besser als ICKE! Ich zahle brav meine Steuern | |
und Abgaben. Und die Leute, die auch immer mehr Flohmarkt machen, die | |
Mütter und Rentner, die haben ja überhaupt keine Ahnung, legen ihr Zeug hin | |
und warten. Das ist so was von irre. Ein Händler sieht den Flohmarkt anders | |
als ein Kunde. Es gibt ja ganz verschiedene Flohmärkte. Der vor dem Rathaus | |
Schöneberg, das ist alternative Szene, die bilden sich was ein auf ihre | |
Bücher und angeblichen Antiquitäten, halten sich für oberschlau, sind aber | |
Gurken. Oder der Flohmarkt in Spandau. Da ist nur noch Armut. Armut pur! | |
Armut ohne Ende. Da liest keiner Bücher! Da gibt’s keine Literatur. In | |
Spandau wird nicht gelesen. Die kaufen nur det, was sie brauchen: | |
Elektrogeräte, Mixer, Werkzeug, DVDs, Kinderklamotten. Alles um ein, zwei | |
Euro. Und dann kieken sie noch, fragen, geht’s nicht für 50 Cent?! Das ist | |
doch widerlich! Was mehr kostet, bleibt stehen. Die Händler haben viel | |
Arbeit, aber kein Geld in der Tasche.“ Ein Flugzeug dröhnt. „Was die dort | |
anbieten, das sind keine Waren mehr, das ist Müll!“ | |
Er zeigt auf den besinnlich trinkenden Freund: „Der muss ja neuerdings | |
unbedingt in Spandau stehen!“ Der Freund lächelt melancholisch. „Um viere | |
steht er auf, um fünfe ist er auf dem Markt, packt aus und steht seine elf | |
Stunden da rum. Der Meter Standfläche kostet ihn so um die drei bis fünf | |
Euro, die sind schon mal weg!“ Der Freund wendet ein: „Es gibt | |
Sonderkonditionen.“ Manne lacht. „Egal! Du hast die Ware ja schon x-mal | |
rumgeschleppt, gelagert, herumgefahren. Das weiß bloß keiner, was du da an | |
Arbeit rinsteckst, wenn er’s für einen Euro kauft. Und du hast Benzinkosten | |
und, und, und.“ Der Freund sagt: „Wenn ich das alles auch noch | |
zusammenrechne, dann darf ich keinen Flohmarkt machen.“ Manne sagt | |
donnernd: „ Doch, aber nicht in Spandau und nicht mit dem Müll, den du so | |
hast!“ Der Freund bleibt gelassen. | |
Ein älterer Mann kommt zu Fuß, ein Kunde. Manne verschwindet mit ihm im | |
Laden und kommt nach einer Weile zurück, offenbar unverrichteter Dinge. „ | |
Ein Sammler. Der wollte was für sein Auto, so ’ne olle Blumenvase, die mal | |
alle im Käfer hatten, oder so ’nen Wackeldackel für hinten drin, der mit | |
dem Kopf wackelt. Hatte ich mal, aber momentan ist nichts da. Die Geschäfte | |
gehen blendend! Nee, mal im Ernst. Es ist keine Goldgrube, man muss schon | |
Spaß dran haben. Kiek dir doch mal die Händler an, die mit den richtig | |
guten Sachen. Die haben manchmal Waren dabei für 10.000 Euro und sitzen | |
eingebildet an ihrem Stand. Den ganzen Tag, sind völlig verbiestert. Lassen | |
nichts vom Preis runter, wenn einer kommt und seine Vase für 80 Euro haben | |
will, weil, die kostet 100! Die sind nur verhärmt bis zum Feierabend und | |
wickeln ihre Vase wieder ins Zeitungspapier. Die können doch gleich zu | |
Hause bleiben. | |
Aber noch mal zu dem ganzen Müll, der verkauft wird. Die abgelatschten | |
Schuhe, rostigen Baumaschinen und Werkzeuge, die du auch in der Goertzallee | |
findest, die gehen fast alle in den Ostblock! Der ganze Ostblock braucht | |
Baumaschinen, Sägen, allet! Kaum Deutsche, die dort so was kaufen, ein paar | |
vielleicht, die schwarzarbeiten. Aber den abgelegten Strampler, die | |
gebrauchten Kinderklamotten, das kaufen die Armen. Deutsche Arme. Asis, sag | |
ich mal. Die haben nix und zahlen nix. Die beziehen Hartz IV und können | |
sich mehr nicht leisten. Für den Preis von einer Markenjeans kriegen die | |
eine Ausstattung für ’ne ganze Familie mit fünf Kindern, und dazu noch zwei | |
Spielfilme auf DVD für Vatern. Der Rest von dem Zeug geht auch nach dem | |
Ostblock, genauso der Ikea-Dreck. Der vermarktet sich gut.“ | |
## Eimer, Bürste, Schwamm | |
Manne brüllt plötzlich: „Pau-LI-NE!!“ Ein kleiner Hund kommt angesprungen | |
und legt sich schuldbewusst neben den Eingang des Ladens. „Sie ist schon | |
wieder ausgebüchst, aber hier fahren die Autos lang. Ah, da kommt ja meine | |
Hilfe!“ Ein hagerer Mann nähert sich mit einem Eimer, Bürste und Schwamm, | |
rückt sich die verdreckten Kühlschränke zurecht und beginnt damit, sie | |
energisch zu säubern, während ein Flugzeug über uns hinwegfliegt. Manne | |
erklärt: „Er arbeitet manchmal für mich, aber nur, wenn er Lust hat – oder | |
einigermaßen nüchtern ist, wie jetzt. Wir sind ein sozialer Betrieb. Da | |
wird Ausbeutung groß geschrieben!“ | |
Er lacht schallend und wendet sich wieder unserem Gespräch zu: „Zum Thema | |
Ostblock noch, die kommen gezielt hierher zu mir, viele, von ganz weit weg | |
zum Teil.“ Der Freund fügt hinzu: „Gebrauchte Möbel gehen fast nur noch | |
nach Russland, Polen, Weißrussland, Lettland, Serbien, Kroatien und weiß | |
Gott wohin noch. Die kommen mit Lastwagen und verkaufen es dort.“ | |
Manne bestätigt und sagt: „Zwei Jahre hat das gedauert, dann war sie rum, | |
die Mundpropaganda. Die Händler, die von ganz weit kommen, kommen | |
vielleicht einmal im Monat. Russen, Serben, Kroaten, Weißrussen, Litauer, | |
alles so was. Nur der Pole hat noch Kohle!“ Manne lässt eine Lachsalve los. | |
„Der Deutsche kauft nicht, oder selten. Der geht ins Möbelhaus oder zu | |
Ikea, nimmt einen Kredit auf über fünf Jahre, und wenn er den abbezahlt | |
hat, ist der Schrott auch wieder hinüber, und er fängt von vorne an. Das | |
ist der Deutsche!“ | |
Mannes Telefon unterbricht unser Gespräch. Ich wende mich dem polnischen | |
Händler zu, der seine Ladung verstaut hat, und frage, wie die Geschäfte so | |
gehen. In gebrochenem Deutsch erzählt er freundlich: „Kaufe nur Möbel. | |
Schlafcouch, Möbeltische, Matratzen.“ Er spricht es phonetisch aus, | |
„Matäratzen“. „Und dann zweite Hand verkaufen in Stettin. Meine Frau und | |
ich habe Lagerhalle in Polen, 400 Meter. Habe schon viel Matratzen gekauft. | |
Auch Johannesstift, NEUE, GANZ NEUE Matratzen, diese alles aus dem Magazin. | |
Für 80 Euro, 90 Euro Stück, ich verkaufen für 120 Euro.“ Er lächelt | |
zufrieden, steigt ein und winkt Manne beim Wegfahren zu. | |
## Alles zum Kotzen | |
Ich setze mich auf einen der alten Barhocker und schaue dem Helfer zu. | |
(Flugzeug) Er hat bereits einen Kühlschrank fertig, und der sieht aus wie | |
neu. Manne legt sein Telefon aufs Tischchen und sagt: „Der Pole macht das | |
bessere Geschäft wie ich. Er kriegt die gebrauchten Matratzen von mir für | |
20 Euro das Stück und verkauft fürs Dreifache.“ | |
Auf meine Frage nach den Johannesstift-Matratzen sagt er: „Das ist auch so | |
ein Betrug. Evangelische Kirche ist das, Johannesstift, gleich hier hinten | |
in Spandau. ’Unterm Dach der Menschlich-keit‘ “, (lacht dröhnend) „die | |
Leute, die da arbeiten, die kriegen einsfufzig die Stunde, so ähnlich. Ist | |
ja Kirche, allet gemeinnützig, zahlen keine Steuern. Logisch! Sie haben | |
Kontakte zu Karstadt, da kriegen sie die überlagerten Matratzen geschenkt, | |
als Spende gegen eine Quittung. Neu. Und die verkaufen sie dann weiter, | |
gemeinnützig!“( lacht) „Und ich, ich bleibe auf meinen Matratzen sitzen! | |
Das ist alles zum Kotzen. Und so gibt’s viele Sachen, die stinken zum | |
Himmel! Die Riesenfirmen z. B. zahlen auch nix an Steuern. Siemens nicht, | |
alle nichts. Und warum soll denn immer noch der Sprit für Flugzeuge | |
subventioniert werden?! Wieso muss ich für 30 Euro nach London fliegen?! | |
Ist doch unnormal, ist doch krank! Billig, billig, immer noch billiger, | |
immer sparen, aber kein Geld für nüscht!“ | |
Er schaut, ob der Hund noch da ist, und sagt: „Liegt da und schläft. So gut | |
möchte ich es auch haben. Zu den Wohnungsräumungen wollte ich noch sagen, | |
aus den Wohnungen kommt nur noch Gerümpel. Und warum? Weil das Gute der | |
Sohn, der Enkel mitnimmt, oder der Hausmeister, die Sozialarbeiterin. | |
Klar!“ Er lacht lauthals. „Das sind die Ersten, die in der Wohnung sind, | |
spätestens, nachdem die Leiche abgeholt worden ist. Wir kommen als Letztes, | |
da waren Fünfe mindestens schon drin zugange. Gut, das war schon immer so, | |
aber jetzt kommt es: Die Fünfe verkaufen alles im Internet. Da kommt nichts | |
mehr in den Kreislauf.“ Ein Flugzeug dröhnt. | |
## Militärfotos sind immer gut | |
„Ebay ist der Tod des Trödlers! Und Ebay ist auch der Tod des Flohmarkts. | |
Es läuft nix mehr auf! Was heute auf den Flohmarkt kommt, ist nur noch der | |
letzte Dreck. Ist so! Wir Händler sind ja früher morgens um fünf zwei | |
Stunden übern Flohmarkt gegangen und haben aufgekauft, was zum Verkaufen | |
gut war. Das brauchst du heute nicht mehr machen. | |
Wenn du eine Wohnung hast, wo die Leute 30, 40, 50 Jahre drin gelebt haben, | |
dann hast du den ganzen 60er-, 70er-Jahre-Kram drinne, und das meiste davon | |
fliegt weg. Auch wenn vieles noch gut ist, in meinen Augen. Aber es hilft | |
ja nix. Da muss man hart sein und jede Menge wegschmeißen. Ja, die Fotos | |
auch, das nimmt keiner. Nur wenn da der Vati in SA-Uniform oder so drinne | |
ist – Militärfotos sind immer gut – aber das nehmen ja schon die Erben raus | |
zum Verkauf. Da wird alles durchgekämmt. | |
Und dann komme eben erst ich. Wo ich weiß, dass ich es nicht verkaufen | |
kann, werfe ich es gleich in die Tonne. 90 Prozent von allem! 90 Prozent | |
der Schallplatten und 90 Prozent der Bücher, das schmeiß ich weg. Ansonsten | |
müsste ich mir mehr Lagerraum mieten. Ich mache ja nix mit Anzeigen oder | |
Internet! Das ist auch ein Riesenproblem, das Müllproblem. Die | |
Stadtreinigung lässt dich ja nur beschränkt ruff, du kannst zweimal am Tag | |
zur BSR fahren. Alles drüber musst du zahlen. | |
Die Bücherkartons, die da vorn stehen, die kommen grade aus einer Räumung – | |
schmeiß ich alle weg! Vier Meter Bücherregal habe ich leer gemacht. Auch | |
das Regal hab ich abgerissen und weggeschmissen! Für dich waren da | |
vielleicht gute Bücher bei, für mich, als Händler, isses Müll. Das ärgert | |
mich oft. Da sind ja interessante Bücher drunter, ältere Bücher, Literatur, | |
für die sich kein Mensch mehr interessiert. Geh doch mal zu den Jungen in | |
die Wohnung, da findest du nicht ein Buch, nicht mal ein Telefonbuch.“ Er | |
lacht. | |
„Die verblöden doch alle. Es gibt ja nur noch die Computerscheiße, diese | |
elektronischen Lesebücher neuerdings. Schwachsinn ist das! Die Leute“, ein | |
Flugzeug ist über uns, „haben das in der Hand, machen mit dem Finger rum | |
und sagen: Ich lese ein Buch. Und was, wenn der Strom ausfällt?! Ein Buch | |
ist ein Buch. Ich hab was in der Hand zum Umblättern, und kieke nich auf so | |
’ne blöde Bildschirmfläche. | |
## Neue Möbel sind Schrott | |
Das ist dann schon der neue Müll. Um den alten Müll, um das ganze Gerümpel, | |
kümmern wir uns heute. Und darum müssen wir uns fast auch noch schlagen, | |
mit den ganzen Ausländern, die Wohnungsauflösungen machen und alles aus dem | |
Kleiderschrank, Regal und Küchenschrank einfach in Kartons kippen. Die | |
stellen sie, so wie sie sind, einfach am Flohmarkt auf den Boden, und die | |
Leute wühlen sich stundenlang durch, auf der Suche nach dem großen | |
Schnäppchen. Dann kaufen sie eine fettige Bratpfanne, ’ne Tütensuppe und | |
die angebrochene Salbe fürs Bein. Oder geh mal auf ’ne Versteigerung. Am | |
Funkturm war ich wegen Möbeln, da ist alles fest in Ausländerhand. Die | |
kommen mit 20 Männeken und übersteigern dich. Du hast keine Chance. Nicht | |
mal ein Sitzplatz ist frei. Da sitzen die schon alle! Großfamilien. Die | |
gehören alle zusammen, einer macht was, und zehn hängen mit drin und mit | |
dran. Ick mache meinen Kram aleene! Fast alles.“ | |
Ein Mittelklassewagen fährt vor, es steigen aus ein Herr mittleren Alters | |
und eine alte Dame, offenbar seine Mutter. Er will einen Kühlschrank | |
kaufen. „Moien, moien“, grüßt Manne und deutet auf den bereits sauberen u… | |
die noch verdreckten. „Da kannste dir einen aussuchen. Die dreckigen sind | |
teurer, original antik!“ Er lacht infernalisch. „Gut, im Ernst, der saubere | |
ist teurer, die anderen kann ich dir für 20 lassen.“ Der Helfer unterbricht | |
seine Arbeit und holt sich eine Flasche Bier aus Mannes Laden. Der Kunde | |
untersucht bedächtig die verschiedenen Kühlschränke. Die Mutter ist | |
unschlüssig, möchte dann aber den sauberen, doch der Sohn entscheidet sich | |
für einen verdreckten, weil der das bessere Gefrierfach hat. | |
„Siehste, wie ich Kasse mache? So schnell kann es gehen. Aber keiner kauft | |
mir die Couch dort ab. Chippendale-Stil, die gefällt dir vielleicht nicht, | |
aber setz dich mal drauf! Das ist Federkern, alles supergepolstert, kein | |
Schaumstoff drin und nix. Die ist 50, 60 Jahre alt. Die kriegst du nicht | |
kaputt. Aber so was passt nicht mehr ins Bild. Leute kaufen lieber eine von | |
Ikea, die ist in einem Jahr durchgesessen, und dann kaufen sie die nächste. | |
Es gibt keine Qualität mehr im Möbelbereich. Die Möbel vor dem Krieg, das | |
war noch Handwerk. Auch die 50er-Jahre-Möbel und so, das ist noch solide | |
Arbeit. Aber alles, was neu ist, ist Schrott! Du darfst es nicht anfassen | |
und nur vorsichtig benutzen, sonst fällt dir das zusammen.“ | |
Auf meine Frage, ob er Sammler ist, erklärt er: „Klar bin ich Sammler! | |
Briefmarken, Schlümpfe auch. Und Sammelbilderalben. Da habe ich mindestens | |
2.000 Stück zu Hause. Die geb ich auch nicht weg. Die würde ich auch in der | |
Not nie verkaufen. Da hängt mein Herzblut dran! Das mit dem Sammeln, das | |
hört auch immer mehr auf. Bloß die ältere Generation sammelt noch. Die aber | |
richtig! Leute mit wenig Geld und auch teurere Leute, die kaufen dir einen | |
Teddy ab für 500 Euro. Oder Eisenbahn, oder auch Postkarten. Die gucken nur | |
nach dem, was sie suchen, nicht rechts, nicht links. Die zahlen für eine | |
schöne Postkarte 20, 30 Euro, wenn es sein muss. Blöd ist nur, die Alten, | |
die sammeln schon 40, 50 Jahre. Die haben schon alles und sitzen drauf. | |
Aber irgendwann kommt das dann auf den Markt, wenn er ins Pflegeheim kommt | |
oder gestorben ist. Herrliche Ware! Nur, du kommst nicht ran. Die Erben | |
verkaufen es bei Ebay. Heute finden sie noch Kunden, aber wie lange noch? | |
Die Sammler sterben aus.“ Ein Flugzeug ist über uns. „Das ist auch so ein | |
Problem bei uns Händlern, ein Berufsproblem. Die Jugend von heute sammelt | |
ja nicht, sie kauft und verkauft. Aber ein Sammler verkauft nicht, der will | |
haben und sich dran erfreuen. Es gibt keine jungen Sammler. Ich kenne | |
keinen. | |
## Eine strenge Mutter | |
Das sind alles so die Probleme, die man von außen nicht sieht. Trotzdem, | |
ich bin zufrieden mit meinem Leben. Bin 30 Jahre verheiratet, habe zwei | |
Kinder und einen super Job. Immer was anderes, du kennst tausend Leute, | |
hast nur mit Verrückten zu tun, und mit ein paar Normalen auch. Jeder Tag | |
ist Wahnsinn. Hätte ich das früher schon gewusst, wäre ich gleich von der | |
Schule weg Trödler geworden. Ich hab aber eine Lehre gemacht und bin | |
Konditormeister geworden.“ | |
Ich frage, wann er geboren ist und was seine Eltern gemacht haben. „Ich bin | |
54 geboren. Nee, nicht in Spandau, ich bin Schöneberger! Dort bei der | |
Gasag, in diesem Kiez bin ich aufgewachsen und in die Schule gegangen. Ich | |
hab noch einen großen Bruder. Die Eltern waren selbstständig. Der Vater als | |
Fleischer, und Mutter hat einen Lebensmittelladen gehabt. Wir haben hinter | |
dem Laden gewohnt. Vater kam nach Feierabend, und Mutter war immer da, den | |
ganzen Tag. Sie war streng. Wir waren nie richtig alleine. Das war | |
teilweise schön, aber wir durften abends nicht mehr raus, und zu Besuch | |
durfte auch nie einer kommen. Aber es hat uns nicht geschadet. Nur immer | |
Freiheit, das bringt ja auch nix! | |
Ich wollte zur Polizei, da hat man gleich 500 Mark gekriegt, aber sie haben | |
mich abgelehnt. Ich war damals schon Brillenträger, und die haben sie nicht | |
genommen. Heute nehmen sie sogar Blinde! Bäcker und Konditor hab ich dann | |
gelernt. Von der Pike auf. Hab den Meister gemacht und war dann | |
selbstständig. Ich hatte eine Bäckerei in Steglitz, da war ich sieben Jahre | |
lang. Dann bin ich krank geworden. Aufhören oder Krepieren, das war die | |
Frage. Asthma, Mehlstauballergie hab ich bekommen und musste verkaufen. | |
Dann bin ich Vertreter geworden auf der Bäckereischiene, habe Bäckereien | |
abgeklappert, Zutaten verkauft und super Geld verdient. | |
Aber dann war die Zeit, wo die Zone aufging. Ich hätte nach dem Osten | |
fahren müssen, war in Berlin der einzige Vertreter. Ich hab es offen und | |
laut gesagt, dass ich zu den Scheißossis nicht rüberfahre. Dann war ich | |
draußen und zum ersten Mal im Leben arbeitslos. Hab über 2.000 Mark | |
Arbeitslosengeld gekriegt und das ausgekostet, eineinhalb Jahre lang. Dann | |
habe ich mir gesagt, irgendwann kriegst du nur noch Arbeitslosenhilfe, das | |
ist dir zu wenig. Hier in dem Laden war so ein kleiner Gurkentrödler drin, | |
der ging zu der Zeit raus, und ich dachte, was der kann, kann ich auch! | |
Also hab ich den Laden übernommen … Ich war ja privat immer viel auf dem | |
Flohmarkt, hatte was im Keller für den Anfang und bin Trödler geworden mit | |
meinen eigenen Trödelkisten. Und heute stehe ich immer noch hier“, ein | |
Flugzeug dröhnt, „vor meinem Laden, aber ich weiß heute ganz genau, wie | |
alles läuft.“ | |
30 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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Gesundheitspolitik | |
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