# taz.de -- Fraktionschef Dietrich Wersich: "Die CDU regiert am besten allein" | |
> Hamburgs Parteien suchen verstärkt Kooperation statt Konfrontation. | |
> CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich im taz-Interview über die Konsenssucht | |
> im Rathaus. | |
Bild: Setzt auf eine liberale Großstadt-CDU: Dietrich Wersich, Fraktionschef. | |
taz: Herr Wersich, was ist in der Hamburger CDU geblieben von dem | |
gescheiterten Rechtsaußen-Experiment unter Christoph Ahlhaus? | |
Dietrich Wersich: Christoph Ahlhaus ist sicher ein anderer Typ als Ole von | |
Beust, aber es gab kein Rechtsaußen-Experiment. Unsere neuen Leitlinien, | |
die nach einer ungewöhnlich intensiven und lebhaften innerparteilichen | |
Diskussion beschlossen wurden, haben den Kurs der liberalen Großstadtpartei | |
eindeutig bestätigt. Alles andere wäre für die CDU in Hamburg auch | |
verkehrt. | |
Also die Hamburger CDU als moderne Großstadtpartei? Können Sie das an zwei | |
Beispielen erläutern? | |
Wir wollen, dass Hamburg die Stadt der Chancen ist. Das heißt, alle | |
Hamburgerinnen und Hamburger sollen ihre Lebenschancen so entfalten können, | |
wie sie es möchten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und | |
Männer durch Kinderbetreuung und eine flexiblere Arbeitswelt, aber auch die | |
Förderung von Exzellenz, etwa in der Wissenschaft, sind dafür zentrale | |
Ziele. Gleichzeitig stehen wir für Hamburg als Heimat, in der man sich | |
wohlfühlt – in allen Stadtteilen und egal, woher man kommt. | |
Dennoch ist der Kurswechsel in Ihrer Partei nicht unumstritten. Marcus | |
Weinberg wurde im Juni mit gerade mal 82,3 Prozent als Vorsitzender im Amt | |
bestätigt. Sowas wird gewöhnlich ein „ehrliches Ergebnis“ genannt. Warum | |
immer noch so viel Widerstand? | |
Das Ergebnis für Marcus Weinberg war für eine lebendige demokratische | |
Partei, die im Erneuerungsprozess nach einer verheerenden Wahlniederlage | |
steht, hervorragend. Und auch unterschiedliche Meinungen gehören in einer | |
vitalen Partei dazu. Neuer Erfolg kann nur aus diesem offenen Ringen um den | |
richtigen Weg entstehen. | |
Sie selbst wurden mit 77,1 Prozent zum stellvertretenden Landesvorsitzenden | |
gewählt. Kurz zuvor mussten Sie mächtig kämpfen, um erstmals | |
Kreisvorsitzender in Hamburg-Nord zu werden: Glänzende Ergebnisse sehen | |
anders aus. | |
Es gab mehrere Interessenten, nichts Ungewöhnliches. Und dann haben wir den | |
personellen Neuanfang im Kreis Nord ohne Streit geklärt, damit bin ich sehr | |
zufrieden. Derartige Entscheidungen werden und wurden auch in Parteien | |
schon ganz anders ausgetragen. | |
In der Bürgerschaft sind seit Jahresbeginn viele Beschlüsse mit breiten | |
Mehrheiten oder sogar einstimmig gefasst worden. Gibt es im Rathaus eine | |
neue Konsenssucht? | |
Es gibt immer Sachfragen, bei denen sich alle einig sind. Ich sehe da | |
keinen Unterschied zu früher, nicht einmal zu unserer Alleinregierung. Die | |
großen Entscheidungen zum Haushalt, zum Rückkauf der Energienetze, zum | |
Anteilskauf von Hapag-Lloyd und sogar die Frage des Schuldenstopps waren | |
jedoch sehr umstritten, keine davon wurde einstimmig gefasst. Die | |
Kompromisse zur Volksgesetzgebung hingegen sind richtig, weil sie weit über | |
das Parlament hinausreichen. | |
Ist das eine Frage der politischen Hygiene, nicht Opposition um jeden Preis | |
zu betreiben? | |
Die Kontrolle des Senats durch die Opposition ist enorm wichtig, wir müssen | |
über die Fehler und die Folgen falscher Politik dieser SPD-Alleinregierung | |
aufklären. Aber mir geht es um Entscheidungen, die gut sind für die Stadt, | |
nicht um Opposition um jeden Preis. | |
Die SPD hat eine eigene Mehrheit. Sind ihre Kooperationsangebote ein | |
Versuch, die Opposition zu spalten? | |
Ich glaube schon, dass die SPD keine Lust hat, ständig einen | |
Vier-Fronten-Kampf zu führen, allein gegen alle. Wenn die SPD unsere Ideen | |
gut findet und unterstützt, freut uns das. Sie macht ja auch nicht alles | |
anders, knüpft zum Beispiel an die erfolgreiche CDU-Politik der wachsenden | |
Stadt an, auch wenn Bürgermeister Olaf Scholz dafür immer wieder neue | |
Begriffe erfindet. | |
Aber die SPD regelt das ja mit wechselnden Konstellationen: Schuldenbremse | |
mit Grünen und FDP, Nichtraucherschutz mit Linken und einigen | |
Christdemokraten ... | |
Ich sehe da kein Problem, wir sind ein lebendiges Parlament, in dem viele | |
Meinungen vertreten sind. | |
Vielleicht will die SPD ja schon mal potenzielle Koalitionspartner für die | |
nächste Legislaturperiode schon mal anfüttern – ein Leckerli hier, ein | |
Leckerli dort? | |
Natürlich will es sich die SPD nicht mit allen verderben. Sie weiß ja auch, | |
dass sie mit der derzeitigen Politik die nächste Wahl leicht verlieren | |
kann, von der absoluten Mehrheit mal ganz zu schweigen. | |
FDP-Fraktionschefin Katja Suding sagte vor vier Wochen im taz-Interview, | |
sie könne sich nach der nächsten Wahl eine Koalition mit der SPD | |
vorstellen. Wundert Sie das? | |
Nein. | |
Offenbar hat die FDP die CDU als möglichen Partner bereits abgeschrieben. | |
Enttäuscht Sie das? | |
Quatsch, die FDP muss sich ernsthafte Sorgen um ihre politische Existenz in | |
Hamburg machen. | |
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel bestritt vor zwei Wochen an dieser | |
Stelle, auf Brautschau zu sein. Wo bleibt da noch eine Perspektive für die | |
CDU? | |
Meine Güte, es sind doch erst eineinhalb Jahre der Legislatur um, da ist | |
keiner auf Brautschau! Die Wähler entscheiden 2015, wer regieren soll, und | |
wir wissen ja, wie schnell sich die Stimmung in Hamburg drehen kann. | |
Angesichts der schweren Fehler der SPD in Bereichen wie Bildung und | |
Wissenschaft, aber gerade mit ihrer kalten Sozialpolitik und der | |
Vernachlässigung der Bezirke bin ich für die Zukunft sehr zuversichtlich, | |
dass die Hamburger „König Olaf“ bald satt haben werden. | |
Politik ist doch ein Wunschkonzert – was wäre Ihnen am liebsten: | |
Rot-Schwarz, Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün, Schwarz-Grün-Gelb? | |
Ich finde, die CDU hat in Hamburg am besten allein regiert, diese Zeit hat | |
der Stadt richtig Aufwind gegeben. | |
Wenn die CDU aktuell in Hamburg regieren würde, was wäre dann besser als es | |
jetzt unter Rot pur ist? | |
Ich halte die finanzielle Schwerpunktsetzung der SPD für völlig falsch. | |
Wegen der teuren Wahlversprechen wird jetzt massiv bei Kindern und | |
Jugendlichen, beim Bürgerservice in den Bezirken und bei Umwelt- und | |
Klimaschutz gekürzt, auch für die Kultur bleibt nichts übrig. Es ist zwar | |
nett, wenn die Studiengebühren abgeschafft werden, schlecht aber für die | |
Studenten und Hamburgs Zukunft, wenn dann nicht genügend Geld für die | |
Qualität des Studiums und eine exzellente Wissenschaft da ist. Und wir | |
hätten sicherlich nicht so einen selbstzufriedenen und mit absoluter | |
Machtfülle regierenden Bürgermeister, sondern jemanden, der auf die | |
Menschen hören würde. | |
Bleiben wir beim Haushalt: Warum wollen Sie die Schuldenbremse früher als | |
verfassungsrechtlich gefordert? | |
Weil jedes Kind weiß, dass wir so schnell wie möglich aufhören müssen, neue | |
Schulden zu machen, und nicht noch weitere acht Jahre, wie es die SPD will. | |
Hamburg kann mehr, wir sind wirtschaftlich stark, haben sehr gute Einnahmen | |
– ein früherer Schuldenstopp ist absolut möglich, würde die SPD nicht | |
falsche Prioritäten setzen. | |
Aber wie wollen Sie das gegenfinanzieren? Müssten dann die Ausgaben nicht | |
noch rascher und noch kräftiger gekürzt werden, als die SPD das schon tut? | |
Nein. Das Kernproblem der SPD sind die millionenschweren Versprechungen aus | |
dem Scholz-Wahlkampf. Alleine jetzt schon über 200 Millionen Euro neue | |
Ausgaben, weitere 200 Millionen sollen noch im Laufe der Amtszeit dazu | |
kommen. Und dann fast eine Milliarde Euro für fragwürdige | |
Unternehmensankäufe. Hier wäre Verzicht angesagt und nicht Angebote für | |
Jugendliche und zur Familienförderung streichen – das trifft die | |
Schwächsten und kostet diese Menschen Chancen für ihre Zukunft. | |
Und wo wollen Sie das einsparen? Mal wieder bei den Ärmsten der Armen? | |
Kann es sein, dass Sie da etwas verwechseln? Wir haben in Kinderbetreuung, | |
Bildung, in die Stadtteile und Integrationsförderung investiert und es | |
wurden 70.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, weil wir glauben, dass die | |
wachsende Stadt Chancen und Beschäftigung für alle bringen soll. Deshalb | |
steigen Steuereinnahmen und die Armutsquote ist während der CDU-Senate in | |
Hamburg sogar gegen den Bundestrend gesunken. Außerdem hatten wir den Mut, | |
konkrete – auch unpopuläre – Entscheidungen zu treffen. Olaf Scholz | |
vermeidet klare Beschlüsse, welche Konsequenzen seine teuren | |
Wahlversprechen haben – tatsächlich hat er für die kleinen Leute nichts | |
übrig. | |
Aber Sie halten doch am Bezahl-Studium fest und lehnen kostenloses | |
Mittagessen in der Kita als Luxus ab! | |
Stimmt, weil ich finde, dass Studenten von 40 Millionen Euro Steuergeldern | |
im Jahr für bessere Qualität unserer Hochschulen mehr profitieren als von | |
der Abschaffung der Studiengebühren, die erst fällig werden, wenn man nach | |
dem Studium gut verdient. Und der 1-Euro-Elternbeitrag für das tägliche | |
Mittagessen hat keinen überfordert, die Stadt zahlt jetzt aber 20 Millionen | |
Euro im Jahr mehr – und schließt dafür Jugendtreffs und Angebote zur | |
Familienförderung. Das halte ich für falsch und ungerecht. | |
SPD-Faktionschef Andreas Dressel hat angeregt, die Arbeit der | |
Härtefallkommission transparenter zu machen. Was halten Sie von dem | |
Vorschlag? | |
Ich weiß nicht, was er sich da konkret vorstellt. Im Endeffekt geht es | |
immer um ganz persönliche Dinge, sodass die Betroffenen auch einen Anspruch | |
auf den Schutz ihrer Daten haben. | |
GAL-Fraktionschef Jens Kerstan erklärte vorige Woche im taz-Interview, der | |
SPD fehle Menschlichkeit und deshalb mache sie eine Ausländerpolitik wie zu | |
Schills Zeiten. Teilen Sie diesen Vorwurf? | |
Na ja, da spitzt der Kollege Kerstan sicherlich zu. Aber manche | |
Entscheidung der SPD und deren Rechtfertigung war schon fragwürdig. | |
In zweieinhalb Jahren sind schon wieder Bürgerschaftswahlen. Ihre Prognose? | |
Ich bin zuversichtlich. Die Wähler geben gerne Kredit, und wenn das | |
Ergebnis nicht überzeugt, wählen sie nächstes Mal wieder die anderen. Wir | |
arbeiten jedenfalls hart daran, dass die Hamburgerinnen und Hamburger in | |
der CDU wieder eine inhaltlich und personell überzeugende und wählbare | |
Alternative für die Zukunft unserer schönen Stadt haben. | |
Sie wollen also am liebsten regieren? | |
Klar, die CDU will gestalten und regieren. Wir haben in Hamburg gezeigt, | |
dass wir das können, und nach dem langen SPD-Dornröschenschlaf seit 2001 | |
eine Aufbruchsstimmung erzeugt, die Hamburg zu einer der attraktivsten | |
Städte in Europa gemacht und viele Menschen angezogen hat. | |
Und was machen Sie persönlich am 1. März 2015? Vorfreude empfinden auf den | |
Job des Zweiten Bürgermeisters? | |
Schaun mer mal. | |
2 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
## TAGS | |
CDU Hamburg | |
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