# taz.de -- SPD-Fraktionsvorsitzender Andreas Dressel: "Wir sind nicht auf Brau… | |
> Hamburgs Parteien suchen verstärkt Kooperation statt Konfrontation. | |
> SPD-Fraktionschef Andreas Dressel im taz-Interview über die Konsenssucht | |
> im Rathaus | |
Bild: "Es ist ein Zeichen demokratischer Kultur, stärker die Gemeinsamkeiten z… | |
taz: Herr Dressel, können Sie den Begriff „Humanität“ buchstabieren? | |
Andreas Dressel: H, u, m, a, n, i, t, a-Umlaut, t. | |
Können Sie diesen Begriff auch erläutern? | |
Ich ahne, worauf Sie hinauswollen: das Ausländerrecht. In diesem | |
Zusammenhang bedeutet Humanität, die sehr engen juristischen Grenzen im | |
Sinne der Betroffenen ausnutzen. Wir sind aber an die bundesgesetzlichen | |
Vorgaben gebunden und können leider keine rechtlichen Sonderwege gehen. | |
Die Abschiebung der fünfköpfigen Roma-Familie Racipovic vor zwei Wochen | |
nach Serbien hat für viel Entrüstung gesorgt. Warum so gnadenlos? | |
Das hatte nichts mit Gnadenlosigkeit zu tun, sondern mit rechtlichen | |
Vorgaben. Der gesamte Sachverhalt, welcher nur der Härtefallkommission der | |
Bürgerschaft bekannt war, ließ im Ergebnis leider keine andere Lösung zu. | |
Warum wird das alles hinter verschlossenen Türen verhandelt, und dann | |
gelangen nur Bruchstücke in die Medien und an die Öffentlichkeit? | |
Die Vertraulichkeit soll eigentlich dem Schutz der Persönlichkeitsrechte | |
der Betroffenen dienen. Man könnte aber darüber nachdenken, diese | |
Vertraulichkeit mit Einwilligung der Betroffenen zu lockern. Die Familie | |
Racipovic hat die Öffentlichkeit gesucht, weil sie auf Unterstützung | |
hoffte. Das ist verständlich. Die staatlichen Stellen – die | |
Ausländerbehörde sowie der Eingabenausschuss und die Härtefallkommission | |
der Bürgerschaft – dürfen sich aber nicht zu den Gründen ihrer | |
Entscheidungen äußern. Vielleicht wären manche Sachverhalte transparenter, | |
wenn diesen Gremien oder ihren Mitgliedern eine kurze, sachliche Reaktion | |
auf öffentlich geäußerte Vorhalte gestattet würde. Darüber kann man | |
nachdenken. Das müssten die Betroffenen aber erlauben. | |
Sie wollen ein Ende der Geheimniskrämerei? | |
Es wäre jedenfalls gut, wenn Sachverhalte vollständig bekannt sind, wenn | |
man sie bewertet. Wir haben diese Regeln nicht gemacht, sind aber daran | |
gebunden. Wir setzen uns auf Bundesebene dafür ein, gerade für gut | |
integrierte Kinder und Jugendliche eine bessere Rechtslage und eine | |
Aufenthaltsperspektive zu erreichen. Aber wir können schlechte | |
Bundesgesetze auf Landesebene nicht besser machen. | |
Mag sein. Aber der 15-jährige Sohn Usko hätte im Herbst einen Platz an der | |
Musikakademie bekommen, weil er musikalisch hochbegabt ist. Die 16-jährige | |
Tochter Selenora ist eine Einser-Schülerin. Beide werden von | |
SPD-Schulsenator Ties Rabe ausgezeichnet und drei Wochen später von | |
SPD-Innensenator Michael Neumann abgeschoben. Welche innere Logik wohnt dem | |
inne? | |
Ich kann absolut nachvollziehen, dass Sie da kritische Fragen an den Senat | |
und den SPD-Fraktionsvorsitzenden haben. Aber wir haben nun mal die | |
Rechtslage, die wir haben. Diese müssen wir ändern, darum bemühen wir uns. | |
Der Bürgermeister hat eine Einbürgerungskampagne gestartet mit dem Ziel, | |
gut integrierte ausländische MitbürgerInnen einzubürgern. Wird diese | |
Kampagne nicht durch solche Fälle konterkariert? | |
Die Einbürgerungskampagne ist ein großartiger Erfolg ... | |
Der erste Eingebürgerte war ein seit 30 Jahren in Hamburg lebender Schwede. | |
Was haben Sie gegen Schweden? Diese Kampagne ist gut und richtig, allein im | |
ersten Halbjahr 2012 haben bereits mehr als 2.600 Migranten die deutsche | |
Staatsbürgerschaft gerne angenommen. Und viele sind erfreut und gerührt, | |
dass ihnen dadurch zum Beispiel auch die Möglichkeit der politischen | |
Teilhabe bei Wahlen eröffnet wird. | |
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen? | |
Jetzt werden Sie polemisch. | |
Stimmt. Wechseln wir das Thema: In der Bürgerschaft sind seit Jahresbeginn | |
viele Beschlüsse mit breiten Mehrheiten oder sogar einstimmig gefasst | |
worden. Gibt es im Rathaus eine neue Konsenssucht? | |
Nein. Aber ist es nicht positiv, wenn ein breiter Konsens hergestellt | |
werden kann? Es gibt doch immer noch genügend Themen, über die es | |
unterschiedliche Ansichten in der Bürgerschaft gibt. Aber über die | |
Spielregeln von Demokratie sollten wir uns nach Möglichkeit nicht | |
streiten.·Wir denken mit Schaudern zurück an den Kulturkampf während der | |
absoluten Mehrheit der CDU 2004 bis 2008 über die direkte Demokratie, über | |
die Volksgesetzgebung, über das Wahlrecht. Das wollen wir als SPD nicht, | |
wir suchen dort den Konsens oder zumindest die breite Mehrheit. | |
Ist das auch eine Frage der politischen Hygiene, nicht Regierungsmehrheit | |
um jeden Preis zu nutzen? | |
Ja, es ist ein Zeichen guter demokratischer Kultur, stärker die | |
Gemeinsamkeiten zu betonen, nicht immer nur die Unterschiede. Ich glaube, | |
niemand in der Stadt möchte, dass wir uns im Rathaus ständig die Köpfe | |
einschlagen. Die Menschen wollen, dass wir gut und vernünftig für das | |
Gemeinwohl zusammenarbeiten, wo das inhaltlich möglich ist. | |
Die SPD hat bei normalen Beschlüssen, unterhalb von Verfassungsänderungen, | |
eine eigene Mehrheit. Sind ihre Kooperationsangebote ein Versuch, die | |
Opposition zu spalten? | |
Nein. Gerade bei der Volksgesetzgebung und beim Transparenzgesetz ging es | |
darum, möglichst einstimmige Mehrheiten zu erzielen, die auch über die | |
Legislaturperiode hinaus wirken. | |
Aber Sie regeln das auch mit wechselnden Konstellationen: Schuldenbremse | |
mit Grünen und FDP, Nichtraucherschutz mit Linken und einigen | |
Christdemokraten ... | |
Nehmen Sie das als Beleg dafür, dass die SPD fest in der politischen Mitte | |
Hamburgs verankert ist. | |
Oder wollen sie potenzielle Koalitionspartner für die nächste | |
Legislaturperiode schon mal anfüttern – ein Leckerli hier, ein Leckerli | |
dort? | |
Nein, es geht um politische Entscheidungen im Einzelfall. Die Zustimmung | |
der Grünen zur Schuldenbremse erfolgte in derselben Woche, in der | |
GAL-Fraktionschef Jens Kerstan gegen die Entscheidung, den städtischen | |
Anteil an der Reederei Hapag-Lloyd zu erhöhen, das Landesverfassungsgericht | |
anrief. Das zeigt schon, dass es hier keinerlei Koalitionslogik gibt. | |
Die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding sagte vor zwei Wochen im | |
taz-Interview, sie könne sich nach der nächsten Wahl eine Koalition mit der | |
SPD vorstellen. Erfreut Sie das? | |
Wir sind nicht auf Brautschau für 2015. | |
Dora Heyenn, Fraktionschefin der Linken, sagte hingegen vorige Woche an | |
dieser Stelle, dass eine Koalition mit der SPD des Agenda-2010-Architekten | |
Olaf Scholz undenkbar sei. Erleichtert Sie das? | |
Die Linke macht hier in Hamburg meist eine recht ordentliche | |
Oppositionspolitik. Sollte sie nach der nächsten Wahl wieder in die | |
Bürgerschaft einziehen, wünsche ich ihr, dass sie das fortsetzt. | |
Es gibt also im Rathaus keine Einheitsliste, sondern den Versuch, | |
Parteiengezänk zu minimieren? | |
Wir wollen unsere absolute Mehrheit verantwortungsvoll für diese Stadt | |
einsetzen. Dazu gehört, nicht knallhart durchzuregieren, sondern das | |
Miteinander, das Konstruktive, zu suchen. Das ist nach unserer Überzeugung | |
der sinnvollere Weg, Streit um des Streites Willen hilft nicht weiter. | |
Gibt es ein Thema, das in anderthalb Jahren SPD-Regierung so richtig schief | |
ging? | |
Schief ist da der falsche Ausdruck. aber klar ist: Der Tod des Mädchens | |
Chantal uns alle bedrückt. Das waren schwere und traurige Wochen. Ich denke | |
aber, dass die richtigen Konsequenzen gezogen wurden, um so weit wie | |
möglich sicherzustellen, dass sich so etwas nicht wiederholt. | |
Mit dem Rauswurf von Bezirksamtsleiter Markus Schreiber? | |
Er ist selbst zurückgetreten | |
Aber erst, als der Druck zu groß geworden war. | |
So eine Entscheidung macht man sich ja nicht leicht, vor allem dann nicht, | |
wenn man in seiner Amtszeit auf viele gute Leistungen zurückblicken kann. | |
Wie den Obdachlosen-Zaun unter der Kersten-Miles-Brücke im vorigen Herbst? | |
Wenn Sie sich seine Bilanz anschauen, muss man sagen, Markus Schreiber hat | |
insgesamt viel Positives bewirkt im Bezirk Mitte – gerade in all den | |
Jahren, in denen er als einziger Sozialdemokrat mit einer herausgehobenen | |
Funktion in Hamburg gegen die CDU stand. | |
Im Bezirk Mitte steht auch das, was mal die Elbphilharmonie werden soll. | |
Geht es da tatsächlich weiter? | |
Ich bin vorsichtig optimistisch, dass jetzt wirklich vollendet wird, wie es | |
zwischen der Stadt und dem Baukonzern Hochtief vereinbart wurde. | |
Sie sehen das als ein Beispiel für das propagierte „ordentliche Regieren“? | |
Ja. Die Sache wurde wieder vom Kopf auf die Füße gestellt, ohne – quasi als | |
Vorleistung – zusätzliches Geld auf den Tisch zu legen. Mit klaren Ansagen | |
und etwas politischem Druck haben wir die anderen Beteiligten bewogen, | |
endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Da haben Bürgermeister Olaf Scholz und | |
Kultursenatorin Barbara Kisseler wirklich hervorragende Arbeit geleistet, | |
indem sie hart geblieben sind. | |
Aber der Senat hat acht Monate Baustopp in Kauf genommen. Hat er das die | |
ganze Zeit nicht bemerkt, dass da nicht mehr gewerkelt wird? | |
Natürlich, aber die Zeitfrage ist zweitrangig, wichtiger ist die Frage des | |
Geldes der Steuerzahler. Der Stillstand auf der Baustelle war sicher | |
misslich, aber hektischer Aktionismus hätte nichts genutzt. Es war wichtig, | |
nicht locker zu lassen und für Alternativen gerüstet zu sein. | |
Also eine Drohkulisse aufbauen? | |
Nein, einen Plan B mit einer umsetzbaren Alternative in der Hinterhand zu | |
haben. | |
In zweieinhalb Jahren sind schon wieder Bürgerschaftswahlen. Ihre Prognose? | |
Ich bin dafür zuständig, dass die SPD-Fraktion in diesen zweieinhalb Jahren | |
ordentliche Arbeit abliefert. Prognosen überlasse ich anderen. | |
Sie rechnen offenbar nicht damit, erneut die absolute Mehrheit zu erringen? | |
Mit einer guten Bilanz werden wir überzeugen können. Der Rest ist | |
Kaffeesatzleserei. | |
Und was machen Sie persönlich am 1. März 2015? | |
Wenn der Wähler es will, möchte ich gerne weiter für die Sozialdemokratie | |
in dieser Stadt arbeiten. | |
In welcher Funktion? | |
Ich bin sehr gerne Fraktionsvorsitzender. | |
Streben Sie nicht in den Senat? | |
Vorsitzender einer Regierungsfraktion zu sein, ist ein toller Job – | |
anstrengend zwar, aber auch attraktiv, weil man viel für die Stadt bewegen | |
kann. | |
Und wir denken seit langem, Sie wollen irgendwann Bürgermeister werden. | |
Tja, da haben Sie aber eine blühende Phantasie. | |
20 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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