| # taz.de -- Besetzende Rentner: Oldies halten Pankow auf Trab | |
| > Der Bezirk ruft Sozialträger auf, den seit Wochen besetzten Seniorentreff | |
| > "Stille Straße" zu übernehmen. Die Rentner hadern mit dem Rettungsweg. | |
| Bild: Da stimmte die Stimmung wieder: Gysi zu Gast bei Besetzern. | |
| Doris Syrbe hat sich in die erste Zuhörerreihe gesetzt, hinter ihr ein | |
| Unterstützertrupp von 30 Weißhaarigen, neben ihr, auf Stühlen ausgebreitet, | |
| deren Banner: „Hände weg von der Stillen Straße“. Ein Schülerchor ist au… | |
| gekommen in den großen, holzgetäfelten Saal des Pankower Bezirksparlaments. | |
| „Das ist so eine Sache mit der Demokratie“, singt der. „Steht in jedem | |
| Lehrbuch und funktioniert fast nie.“ Syrbe, rosa Bluse, rot gefärbte Haare, | |
| lächelt. Noch. | |
| Seit sechs Wochen hält die 72-Jährige mit sechs Mitstreitern ihren | |
| Seniorenfreizeittreff „Stille Straße“ in Pankow besetzt, Tag und Nacht. Der | |
| sollte schon Ende Juni schließen, weil dem Bezirk das Geld für den Betrieb | |
| und eine rund 2 Millionen Euro teure Sanierung fehlen. Am Donnerstagabend | |
| nun tagte der Finanzausschuss zu dem Dilemma. | |
| Und die Abgeordneten räumen erst mal einen Beschluss vom Frühjahr ab. Nun | |
| soll doch eine „Interessenabfrage“ eingeleitet werden, ob freie | |
| Sozialträger das Seniorenhaus übernehmen wollen. Das war zuvor als | |
| „aussichtslos“ abgelehnt worden. Jetzt sollen sich Interessenten bis zum | |
| 20. September melden. Bei einer Einigung, schlagen Grüne und SPD vor, werde | |
| das Haus in Erbpacht übergeben. | |
| Allerdings, und hier verfliegt Doris Syrbes gute Laune, werde der Bezirk | |
| dafür „keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellen“. Auch werde das | |
| Haus „unverzüglich in Finanzvermögen“ des Bezirks übertragen. Damit muss | |
| ein Neubetreiber das Haus neu zulassen und alle baulichen Auflagen vorher | |
| abschließen statt im laufenden Betrieb. Syrbe stöhnt laut auf: „Meine | |
| Güte!“ | |
| Zuvor hatte Besetzersprecherin Eveline Lämmer nochmals eindringlich für | |
| eine Rettung plädiert. „Die Gemeinschaft ist so stark wie nie zuvor“, sagt | |
| Lämmer. Sie genieße Unterstützung bundesweit, ja international. Die Rentner | |
| applaudieren, dann segnen SPD, Grüne, CDU und ein Pirat den Beschluss ab. | |
| Nach der Sitzung wird Rona Tietje, die 31-jährige SPD-Fraktionschefin, von | |
| zeternden Senioren umringt. „Das Problem ist doch, dass der Bezirk vom Land | |
| ausgeblutet wird“, verteidigt sich Tietje. „Heuchelei“, schimpfen die | |
| Rentner. Warum mache es der Bezirk den Trägern so schwer? „Ich habe das | |
| Land nach dem Krieg mit aufgebaut, und nun das“, klagt eine Seniorin. | |
| Immerhin verspricht Tietje: Geräumt werde weiterhin nicht. Syrbe steht | |
| wortlos daneben. „Die Politik schert sich nicht um die Alten“, sagt sie | |
| leise. Dann schleicht sie aus dem Haus. | |
| Am Freitag halten sich infrage kommende Retter bedeckt. Der Bezirk habe | |
| „die Hürden enorm hoch gelegt“, sagt Heidi Knake-Werner, Berlin-Chefin der | |
| Volkssolidarität. Das sei gegenüber den Senioren „unerhört“. Dennoch wer… | |
| ihr Verband eine Bewerbung prüfen. Auch Snezana Prvulovic-Hummel, | |
| Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt Mitte, verweist auf noch offene | |
| Fragen. So will der Bezirk erst noch ein Wertgutachten zur Stillen Straße | |
| einholen. Auch danach, so Prvulovic-Hummel, werde man eine Bewerbung | |
| abwägen. Denkbar sei auch eine Kooperation mit anderen Trägern. | |
| Im Besetzerhaus spendet derweil Gregor Gysi von der Linken Trost: Dass der | |
| Bezirk überhaupt noch mal nach Interessenten suche, sei doch schon ein | |
| Erfolg. Auch Syrbe gibt sich wieder kämpferisch. „Wir besetzen weiter, na | |
| klar.“ | |
| Die Protestler setzen nun auf den 29. August. Dann tagt das | |
| Bezirksparlament, das den Beschluss noch mal ändern könnte. Dennoch wirkt | |
| Syrbe, einst Chefin des 300 Senioren starken Stille-Straße-Clubs, | |
| erschöpft. Natürlich, sagt sie, würde sie gern mal wieder zu Hause | |
| übernachten. | |
| Immerhin: An Sympathisanten mangelt es nicht. Am nächsten Sonntag will der | |
| Pankower Jugendklub "Kurt Lade" vorbeischauen. Schon zuletzt lud der linke | |
| Stadtteilladen Zielona Gora in Friedrichshain ein Besetzer-Ehepaar ein. Es | |
| ist diese Unterstützung, sagt Syrbe, die ihre Hoffnung hochhalte. | |
| 10 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| ## TAGS | |
| Wohlfahrt | |
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