# taz.de -- Enthüllungsaffäre Vatileaks: Die Papst-Verschwörung | |
> Der ehemalige Kammerdiener Paolo Gabriele ist nicht der einzige | |
> Whistleblower in der Umgebung des Papstes. Drei Theorien zu den möglichen | |
> Hintergründen der Vatileaks-Affäre. | |
Bild: Wer mag hinter den Enthüllungen stecken, die den Vatikan erschüttern? | |
BERLIN taz | Die Nutznießer der "Vatileaks"-Enthüllungen sind auch Insidern | |
nicht deutlich. Das macht es schwer zu erkennen, welches Ziel die | |
Durchstecherei der Interna aus dem kleinsten Staat der Welt eigentlich hat. | |
Unklar ist auch, ob die Affäre nicht doch vor allem ihren Grund in den | |
kriminellen Absichten des Kammerdieners Paolo Gabriele haben könnte - oder | |
ob dahinter regelrechte Verschwörungen stehen. Dennoch oder gerade deshalb | |
gibt es verschiedenen Theorien über die möglichen Hintergründe der | |
Enthüllungsaffäre. | |
1. Das Gerangel um Nähe: | |
In den vergangenen Monaten schien es so, dass hinter "Vatileaks" ein | |
Machtkampf zwischen dem Privatsekretär des Papstes, Georg Gänswein, und | |
seinem "Regierungschef", Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, stecken | |
könnte. Demnach soll durch die wirren Enthüllungen transportiert werden: | |
Bertone habe den Laden nicht im Griff, sei überfordert. Noch | |
wahrscheinlicher aber ist, so eine Quelle im Vatikan, dass die | |
Durchstechereien eher dem Papst selbst schaden sollen. Er soll als ein Mann | |
erscheinen, der nicht mehr Herr im Hause ist. | |
Möglich wäre demnach, dass die fleißigen Paste-&-Copy-Fans vor allem Rache | |
als Motiv haben: Rache an Joseph Ratzinger, der nach seiner Wahl zum Papst | |
manche eben nicht mit schönen Posten bedacht hat - und der es vielleicht | |
auch mit der Aufklärung der Missbrauchsskandale zu weit getrieben hat. So | |
wird vermutet, Bertone, aus dem Orden der Salesianer stammend, wolle die | |
weitgehende Kontrolle des Opus Dei über die Finanzen des Vatikans brechen. | |
Einer anderen Interpretation folgend, haben die Kurienmitglieder aus dem | |
diplomatischen Korps des Vatikans, in der Tradition von Bertones Vorgängers | |
Angelo Sodano stehend, angeblich nie ihren Frieden mit der Berufung des | |
"Externen" Bertone gemacht. So oder so besagen Gerüchte, dass schon länger | |
geplant gewesen sei, Bertone am Ende dieses Jahres in den Ruhestand zu | |
schicken. Dann ist er 78 Jahre alt, schon lange alt genug für die | |
Pensionierung. | |
2. Das Absägen der Saubermänner: | |
Auffällig ist, dass zwei Männer im Vatikan im Umfeld der Enthüllungen ihren | |
Job verloren haben: zum einen Erzbischof Carlo Maria Viganò, zum anderen | |
Ettore Gotti Tedeschi. Viganò war so etwas wie der Verwaltungschef des | |
eigentlichen Vatikanstaates und wollte die Kosten im Zaum halten. Mit | |
Erfolg: Von einem Defizit von knapp 8 Millionen Euro im Jahr 2009 | |
erwirtschaftete er ein Plus von über 34 Millionen Euro schon ein Jahr | |
später. Er kappte alte Seilschaften etwa bei den Handwerksunternehmen, die | |
den Vatikan versorgen. Nun ist er Nuntius in Washington, also weit weg von | |
Rom - und wohl auch der Sinn der Sache. | |
Dass er versetzt wurde, übrigens von Bertone, zeigt natürlich die Schwäche | |
des Papstes. Andererseits soll sein Führungsstil so ätzend gewesen sein, | |
dass es wohl schwer erträglich war, für ihn zu arbeiten. So wollte ihn | |
keiner halten, als er fiel. | |
Ähnlich scheint es bei Gotti Tedeschi, dem bisherigen Chef der | |
Vatikan-Bank, zu sein. Die jahrzehntelang schlicht verbrecherische Bank mit | |
engen Mafia-Verbindungen wollte er reformieren. Die Bank sollte auf die von | |
der EU erstellte Weiße Liste der Banken gelangen, die quasi das Gütesiegel | |
haben, keine Geldwäsche zu betreiben. Auch Tedeschi hat aufgeräumt - aber | |
entlassen wurde er nicht von Bertone, sondern von Laien: dem Aufsichtsrat | |
der Bank außerhalb des Vatikans. Das Ziel, auf die Weiße Liste zu kommen, | |
wird weiterhin vertreten. Und den besten Ruf als Aufräumer hatte Gotti | |
Tedeschi auch nicht. | |
3. Machtkampf der Gemeinschaften: | |
Schon unter Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. haben meist streng | |
konservative religiöse Gemeinschaften im Vatikan immer mehr Einfluss | |
gewonnen. Zu ihnen gehören das Opus Dei, die Fokolarbewegung, die Legionäre | |
Christi und die Bewegung „Communione e Liberatione“ - Schwestern dieser | |
Vereinigung führen den Papsthaushalt. | |
Möglicherweise versuchen diese Gruppen mithilfe der Enthüllungen, | |
Misstrauen vor der jeweils anderen Gruppe zu schüren. Ein interner | |
Machtkampf also. Manche Medien spekulieren, hinter allem stecke der frühere | |
Präsident der italienischen Bischofskonferenz: Der 81-jährige Kardinal | |
Camillo Ruini ist zwar schon pensioniert, gilt aber als Mann des Opus Dei, | |
der im Vatikan besonders mächtig ist. Es ist möglich, dass Ruini sich mit | |
den Enthüllungen rächen will an Papst Benedikt XVI. - denn auch Ruini galt | |
beim Tod von Johannes Paul II. als „papabile“. | |
Nur: Beweisbar ist das nicht - und der Ertrag solcher Strategien ist mehr | |
als zwiespältig. Denn auch wenn die Durchstecher stets betonen, sie wollten | |
eigentlich Schaden von Papst und Kirche abhalten, so erreichen sie doch das | |
Gegenteil. „Wenn sie das wirklich wollen, dann stellen sie sich ziemlich | |
dämlich an“, sagt ein Vatikan-Insider. | |
Vielleicht hat sich jemand mit seinen Durchstechereien auch schlicht | |
Vorteile im Gerangel um gute Jobs im Vatikan erhofft - und dann lief die | |
Sache aus dem Ruder, weil die Journalisten eben nicht nur das meldeten, was | |
den Ausflüsterern genehm war. | |
15 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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