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# taz.de -- Kinofilm „Magic Mike“: Penispumpen schauen dich an
> Der US-Filmemacher Steven Soderbergh dehnt gern Genre- und
> Erzählkonventionen. Davon lebt auch „Magic Mike“, seine Komödie über
> männliche Stripper in Florida.
Bild: Heiße Körper in Aktion. Aber man beachte: Strippen ist harte Arbeit!
Das Humankapital in der Sexindustrie lässt sich schnell beziffern. „Du bist
nicht mehr wert als das Geld, das in deiner Hose steckt“, erklärt der
Stripclubbetreiber seinem besten Pferd im Stall. Geld ist in Steven
Soderberghs Film „Magic Mike“ das Schmiermittel der Träume – und manchmal
auch die äußerste Begrenzung einer sehr überschaubaren Wirklichkeit.
Etwa dann, wenn Magic Mike (Channing Tatum) im grauen Anzug – für einen
Stripper neben Feuerwehrmann und Polizist eine weitere Verkleidung, diesmal
als Substrat der eigenen Fantasien – mit Bündeln von 1- und 5-Dollar-Noten
bei seiner Bank für einen Kredit vorspricht.
Für ihn ist das der Vorschuss auf ein neues Leben. „In meinem Geschäftsfeld
wird bevorzugt in bar bezahlt.“ Doch die Bankangestellte muss ihm mit
bedauernder Miene mitteilen, dass seine Bonität für einen Kredit leider
nicht ausreichend sei. Mike liest natürlich Zeitung; er weiß, dass in
Amerika, wenn überhaupt, die Banken zahlungsunfähig sind. Aber im
Warenverkehr von monetären Gütern und immateriellen Begehren stoßen die
Träume schnell an ihre Grenzen.
Soderberghs Komödie über eine Gruppe männlicher Stripper, die „Kings of
Tampa“, ist der schlaueste soziale Kommentar der laufenden Kinosaison, und
es dürfte kein Zufall sein, dass er auch kommerziell zu den erfolgreichsten
Filmen des Jahres gehört. An den US-amerikanischen Kinokassen hat er fast
das Zwanzigfache seiner Produktionskosten eingespielt. Sex zieht, erst
recht, wenn es sich um weibliche heterosexuelle Begehrlichkeiten handelt,
die für das Mainstreamkino noch immer einen blinden Fleck darstellen.
## An der Nähmaschine
Das Smarte an Soderberghs Film aber ist, wie er die Ökonomie des männlichen
Körpers beziehungsweise das Geschäft mit den weiblichen Fantasien in einen
gesellschaftlichen Verwertungszusammenhang stellt. Die Aussicht auf „Geld,
Frauen und Spaß“ erweist sich in „Magic Mike“ als harte Arbeit. Die
Leichtigkeit hat ihren Preis. Der ständige Kick, sich Abend für Abend vor
johlendem Publikum seiner Kleidung zu entledigen, ist ohne Aufputschmittel
beispielsweise gar nicht aufrechtzuerhalten.
Soderbergh zeigt die Kehrseiten des Versprechens von schnellem Geld und
ewiger Party: den hedonistischen Körperkult und den körperlichen
Verschleiß, den Spaß an der Showmanship und die Routinen des Showgeschäfts.
Ihre Stringtangas zum Beispiel müssen die Tänzer selbst an der Nähmaschine
ausbessern.
Im rhetorischsten, aber auch experimentellsten Moment des Films löst
Soderbergh, der in „Magic Mike“ wieder Regie und Kamera übernommen hat,
diese Widersprüche in einer einzigen Einstellung auf: Da sehen wir Alex,
das „Kid“, staunend im Hintergrund, während im Vordergrund, unmittelbar vor
dem Objektiv, ein anderer Stripper an der Penispumpe hantiert. Ein Kalauer,
aber mehr als das. Soderbergh rückt die Perspektive in extremer Untersicht
wieder zurecht.
Natürlich kommt ein Film, der am Rande auch von der Finanzkrise handelt,
nicht ohne eine Moral aus. Und wenn diese bloß darin besteht, dass ein
Stripper von geliehenem Kapital, seinem Körper, lebt. Und er im
Zweifelsfall besser seinen Träumen folgen sollte. Mike möchte eigentlich
den ganzen Tag am Meer sitzen und aus Strandgut Designermöbel bauen. Dafür
hat er – willkommen im Niedriglohnsektor! – gleich mehrere Knochenjobs.
## Zeit für einen Generationswechsel
Steven Soderbergh hat solche konventionellen Einsichten schon immer relativ
schamlos in seine Mainstreamfilme eingelassen. In „Magic Mike“ kommt sogar
ein hübsches, bodenständiges Mädchen vor. Brooke ist die Schwester des
neunzehnjährigen Alex, den Mike bei einem Job auf dem Bau kennenlernt und
mehr zufällig in die Welt des Strippens einführt. Insgeheim scheint Mike zu
ahnen, dass es an der Zeit für einen Generationenwechsel ist, auch wenn
Dallas (Matthew McConaughey als geil- schmieriger Conférencier), der Chef
der „Kings of Tampa“, ihm eine Beteiligung an seinem Geschäft in Aussicht
stellt.
Mike nimmt Alex unter seine Fittiche, weil er in dem Jungen sein jüngeres
Selbst erkennt, aber auch um Brooke und sich zu beweisen, dass er eben
nicht identisch ist mit „Magic Mike“, einem dreißigjährigen Stripper mit
wechselnden Fickbeziehungen. Eigentlich ist Mike nämlich ein ganz
Sensibler, und irgendwie will man Channing Tatum mit seiner unbeholfenen
Erscheinung – halb antike Statue, halb Träumer – diese Rolle sogar
abnehmen.
Die Geschichte von „Magic Mike“ ist also an und für sich ein alter Hut,
doch Steven Soderberghs Kino fungiert mit seinen strengen Vorgaben auch als
eine Art Beweisführung: für die Dehnbarkeit von Genrekonventionen, seiner
Auffassung des Realitätsbegriffs oder die Diversität erzählerischer Mittel
dank technischer Neuerungen. Soderberghs Filme testen die Möglichkeiten des
kommerziellen Erzählkinos im Verhältnis zu dessen produktionstechnischen
Rahmenbedingungen aus.
Man liest, er sei wahnsinnig wütend gewesen über den mangelnden Zuspruch
für „Haywire“, seiner Vorstellung von einem realistischen Actionfilm. Mit
den letzten Produktionen hat Soderbergh dem luxuriös ausgestatteten
Eventkino seiner „Oceans“-Filme den Rücken gekehrt. Vielleicht liegt in
„Magic Mike“ tatsächlich die Zukunft der kommerziellen Filmindustrie:
kostengünstige, autark finanzierte Produktionen (Tatum gehört zu den
Gründern von Iron Horse Entertainment) mit Massenappeal. Seit seiner
Zusammenarbeit mit Mark Cubans Magnolia Pictures verfolgt Soderbergh die
Vision eines mobileren, „direkten“ Unterhaltungskinos.
## Sonderberghs Vielseitigkeits-Mentalität
Diese Mobilität zeigt sich in „Magic Mike“ schon in formaler Hinsicht. In
den Filmen Soderberghs wird sie oft mit einem „dokumentarischen“ Gestus
verwechselt. Doch auch wenn Soderbergh zu den bekanntesten Fürsprechern der
handlichen Red-One-Digitalkamera gehört, ist sein Stil weniger technisch,
als Kritiker immer wieder annehmen. Vielmehr passt die Vielseitigkeit der
Red One perfekt zu Soderberghs Mentalität als Filmemacher. Gerade da, wo
sie eine extreme Nähe zu den Schauspielern ermöglicht, setzt Soderbergh
verstärkt auf distanzierte, „dezentrale“ Einstellungen.
Die Kamera fungiert bei ihm als Fliege an der Wand. Diese nichtautoritäre
Haltung findet sich auch in anderen Aspekten von „Magic Mike“ wieder: den
Dialogen zum Beispiel, denen etwas Rohes, Beiläufiges anhaftet. Man könnte
diese Eigenart von Soderberghs Kino am ehesten als Naturalismus bezeichnen.
„Magic Mike“ spart für einen Mainstreamfilm auch nicht an schmucklosen
Impressionen aus einem Florida weit abseits der Glamourmetropole Miami.
Tampa ist entschieden „white trash“ und „working class“.
Soderberghs Realitätsbegriff dient also nicht als ästhetisches Kriterium.
Relevanz bekommt er erst in den Beschreibungen von Tausch- und
Arbeitsverhältnissen, knallharten kapitalistischen Zuständen also. Sei es
im Drogenkrimi „Traffic“ oder im Callgirl-Drama „The Girlfriend
Experience“. Strippen ist in „Magic Mike“ bloß ein einträgliches Gesch�…
das die üblichen Berufskrankheiten mit sich bringt.
Mit derselben Beiläufigkeit wird in den Auftrittspausen über Schwanzlängen
und Enthaarungscremes geredet. Soderbergh schildert diese Pragmatik ohne
Zynismus oder Sentimentalität. Die Selbstausbeutung entspricht der
natürlichen Ordnung. Soderberghs – wenn man so will – kapitalistischer
Realismus ist aber insofern bemerkenswert, als er vorurteilslos von denen
erzählt, die wenigstens noch einmal aufs Schönste die Sau rauslassen
können, bevor die Lichter endgültig ausgehen.
„Magic Mike“. Regie: Steven Soderbergh. Mit Channing Tatum, Alex Pettyfer
u. a. USA 2012, 110 Min.
15 Aug 2012
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Tanz
Thriller
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