# taz.de -- Remake von „Total Recall“: Durch den Erdkern in die Gegenwart | |
> Paul Verhoevens „Total Recall“ setzte 1990 neue Maßstäbe für Actionfil… | |
> Nun kommt sein Remake in die Kinos, der Regisseur leugnet jede Verbindung | |
> zum Original. | |
Bild: Kurz vor der Hirnwäsche: Colin Farrell in Total Recall. | |
BERLIN taz | Vierzehn Minuten benötigt der Berufspendler des 21. | |
Jahrhunderts zur Arbeit. Die Pendlerpauschale ist abgeschafft, der | |
Transport geht auf Staatskosten. Hierzu wird ein gigantischer Fahrstuhl wie | |
ein Projektil durch den heißen Lavakern geschossen, um die Arbeiter auf die | |
andere Seite des Planeten zu befördern, inklusive Gravitationswechsel beim | |
Passieren des Erdmittelpunkts. | |
Wir befinden uns im Jahr 2084. Ein dritter Weltkrieg hat das Leben auf der | |
Erde fast vollkommen ausgelöscht. Nur zwei Regionen sind noch bewohnbar, | |
die Vereinigte Föderation von Britannien (VFB) und Australien, | |
traditionshalber „Die Kolonie“ genannt. Die einzige Verbindung stellt eine | |
Art Fahrstuhlschacht her, der so genannte „Fall“. | |
Doch die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen des 21. Jahrhunderts | |
sind asymmetrisch. Die britische Föderation benötigt Zehntausende von | |
Arbeitskräften, die täglich aus der „Kolonie“ herangekarrt werden. Hier | |
leben die Menschen eingepfercht in einer modernen Containerstadt; | |
molochartig streckt sie sich in den dauerverregneten schwarzen Himmel. | |
Blade-Runner-Wetter. Nur liegt im Gegensatz zu den bekannten | |
postapokalyptischen Kino-Dystopien das bessere Leben nicht jenseits einer | |
„Sicherheitszone“, sondern am Ende eines 12.000 Kilometer langen Tunnels. | |
## Der kürzeste Weg | |
Der „Fall“ ist die spektakulärste Erfindung in Len Wisemans | |
Science-Fiction-Film „Total Recall“. Die Idee, den direkten Weg auf die | |
andere Seite der Erdkugel zu nehmen, ist so einfach wie genial. Im Prinzip | |
ist damit auch schon der Ansatz der Macher treffend beschrieben. „Total | |
Recall“ ist, gemessen an den Mindfuck-Themen, die Philip K. Dicks | |
Kurzgeschichte „Erinnerung en gros“ (1966), auf der der Film basiert, | |
bereithält, erfrischend direkt und schnörkellos erzählt. | |
Es gibt keine zerstückelte Chronologie, keine Parallelrealitäten, keine | |
Brüche im Raum-Zeit-Kontinuum. Wiseman verzichtet auf allen Schnickschnack, | |
mit dem Hollywood seine Blockbuster in jüngster Zeit aufzupimpen versucht, | |
um ihnen einen Anstrich von Intellektualität zu verleihen. | |
Der harmlose Fließbandangestellte Douglas Quaid (Colin Farrell) muss durch | |
ein fehlgeleitetes Gedächtnisimplantat feststellen, dass seine Erinnerung | |
an die vergangenen sieben Jahre fingiert ist. Bevor er die Konsequenzen | |
begreift, hat er auch schon eigenhändig ein SWAT-Team ausgeschaltet und | |
flieht vor der Geheimpolizei des Kanzlers Cohaagen (Bryan Cranston aus | |
„Breaking Bad“), dem Führer der so genannten freien Welt. | |
## Falsche Erinnerungen | |
Quaid ist in Wirklichkeit Carl Hauser, ein ehemaliger Agent der Föderation, | |
der zu den Rebellen der „Kolonie“ übergelaufen ist und dafür mit Hilfe | |
einer falschen Erinnerung „liquidiert“ wurde. Auf der Flucht aus der | |
„Kolonie“ muss er sich mit alten Kombattanten und seiner vermeintlichen | |
Ehefrau herumschlagen. Je mehr Quaid/Hauser über die Hintergründe seines | |
unfreiwilligen Verschwindens in Erfahrung bringt, desto weniger kann er | |
noch seinen eigenen Erinnerungen trauen. | |
„Total Recall“ ist ein grundsolider Film. Er bietet Action – größtentei… | |
real gedreht, mit glaubwürdigen Bewegungen –, einen interessanten Twist und | |
sehr ansprechende Set-Designs. Qualitäten, die man vor zwanzig Jahren | |
bereits Paul Verhoevens Original mit Arnold Schwarzenegger in der | |
Hauptrolle attestierte. Darum wunderten sich nicht wenige Fans des | |
Originals über eine geplante Neuverfilmung. Das Remake gilt gemeinhin ja | |
als der böse Bruder des Sequels. | |
Aber zweiundzwanzig Jahre sind nicht nur nach Hollywood-Maßstäben eine | |
kleine Ewigkeit. Arnold Schwarzenegger hat in der Zwischenzeit Karriere in | |
der Politik gemacht, eine ganze Generation von Kinogängern ist | |
nachgewachsen. Und da die menschliche Erinnerung eben keine verlässliche | |
Größe ist, können die wenigsten heute noch etwas mit dem Namen Paul | |
Verhoeven anfangen, obwohl er in den Achtziger- und Neunzigerjahren die | |
Ehrenrettung des Actionfilms fast im Alleingang bestritt. | |
## Beschleunigte Halbwertszeit | |
Das Actionkino ist für solche Entwicklungen besonders anfällig. Seine | |
Halbwertszeit verkürzt sich, je leistungsfähiger die Prozessoren in den | |
computergenerierten Bildmedien arbeiten. Inzwischen werden ganze Franchises | |
im Dekadentakt „gerebootet“: dem Zeitgeist angepasst, an jüngeren | |
Zielgruppen ausgerichtet, auf den neuesten technischen Stand gebracht. Wer | |
in letzter Zeit den ersten „Matrix“-Film von den Wachowski-Geschwistern | |
wieder gesehen hat, versteht das Problem. Der wirkt heute noch neben dem | |
mediokersten Multiplex-Actionreißer wie ein | |
Fünfzigerjahre-Superheldencomic. | |
Auch Verhoevens Film ist unvorteilhaft gealtert. Anfang der Neunziger Jahre | |
war „Total Recall“ bahnbrechend; Rob Bottins Spezialeffekte und das | |
Produktionsdesign von William Sandell galten seinerzeit als Nonplusultra. | |
James Camerons „Terminator 2“ leitete im folgenden Jahr einen | |
Paradigmenwechsel ein. Rechnerleistung ersetzte ein Tross von | |
Maskenbildnern, Set-Designern und Ausstattern – und im Vergleich sah „Total | |
Recall“ wie die „Augsburger Puppenkiste“ aus. | |
Verhoevens Film ist noch immer ein Meilenstein des Genres, der letzte | |
komplett analog, ohne Computer produzierte Science-Fiction-Film. Doch heute | |
ist der Anblick von dreibrüstigen Mutantinnen, übertrieben großen | |
Nasensonden und schwerbewaffneten Schergen in Lederblousons hochgradig | |
irritierend. Was umso bedauerlicher ist, als die Themen von Verhoevens Film | |
und Philip K. Dicks Geschichten nichts von ihrer Aktualität eingebüßt | |
haben. Nur die Benutzeroberfläche ist veraltet. | |
Genau genommen ist das Remake von „Total Recall“ also ein „Total Recall | |
2.0“. Regisseur Len Wiseman ist ein Experte für Produkt-Upgrades, schon | |
sein „Stirb langsam“-Sequel trug den bezeichnenden Titel „Stirb langsam | |
4.0“. Das war damals ironisch gemeint, im Film ging es um | |
Internet-Terrorismus. Mit „Total Recall“ hat er nun tatsächlich ein | |
lupenreines Upgrade vorgelegt. Selbst wenn Wiseman alle Bezüge zu | |
Verhoevens Original leugnet und offiziell behauptet, sein Film sei eine | |
Adaption der Kurzgeschichte. Mit Dicks Vorlage hat seine Version allerdings | |
genauso viel (oder wenig) gemein wie Verhoevens Film. Der einzig | |
gravierende Unterschied besteht darin, dass Wiseman die Handlung auf die | |
Erde verlegt hat. Selbst die dreibrüstige Mutantin hat einen Auftritt. | |
## Militärische Invasion | |
Paul Verhoeven ist ja nicht nur ein ausgezeichneter Action-Regisseur, er | |
hat auch als politischer Satiriker immer einen großartig grobschlächtigen | |
Humor bewiesen. Wisemans Film fällt da deutlich ernster und düsterer aus. | |
Die Vorstellung einer militärischen Invasion auf Grundlage gefälschter | |
Beweismittel hallt im aktuellen US-amerikanischen Kino natürlich nach. | |
Der Ausnahmezustand, auf den „Total Recall“ hinsteuert, ist ein | |
realistisches gesellschaftliches Szenario, das die Möglichkeit einer | |
gewaltsamen Revolution nicht diskreditiert, wie es gerade in „The Dark | |
Knight Rises“ zu sehen war, wo die neu gewonnene Freiheit umstandslos in | |
ein Mob-Regime mit stalinistischen Schauprozessen umschlägt. | |
„Total Recall“ ist also in jeder Hinsicht auf der Höhe der Zeit. Wisemans | |
generalüberholte Ästhetik verhilft den Ideen Verhoevens und Dicks zu neuer | |
Relevanz. Hier lenken weder eine schlechte Maske noch ein holpriges | |
Set-Design davon ab, dass teure Science-Fiction sich ruhig mal ernst nehmen | |
darf. Allein die mehrgeschossige Stadtarchitektur der VFB, durch die man | |
von einer hypermodernen Transitebene bis hinunter in ein gutbürgerliches, | |
relativ gegenwärtig aussehendes London durchpurzeln kann, ist sensationell. | |
Wiseman hat eine zeitlos gute Geschichte wieder in eine zeitgemäße Form | |
überführt. Ein Blockbuster ohne schalen Beigeschmack. | |
„Total Recall“. Regie: Len Wiseman. Mit Colin Farrell, Bryan Cranston, Kate | |
Beckinsale u. a. USA 2012, 118 Min. | |
22 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
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