# taz.de -- Pop „Ariel Pink“: Komm in meine Zeitschleife | |
> Perfekt produzierte Popnummern: Der Kalifornier Ariel Pink beschwört auf | |
> seinem neuen Album „Mature Times“ die Unschuld des Rock'n'Roll. | |
Bild: Haunted Graffiti arbeiten am perfekt produzierten DIY-sound. | |
Bei einem Konzert Ende Mai im Parc de la Vilette Paris grinst Ariel Pink | |
betont breit in die Menge und unterbricht seine Songs nur, um laute | |
Chh-chh-Geräusche zu machen – halb fauchende Katze, halb irrer | |
Langhaariger. Ist ihm egal, wie er auf die Zuschauer wirkt? Es scheint so. | |
Auch das Publikum lässt sich in seiner Ekstase nicht stören. Und Pinks Band | |
Haunted Graffiti spielt stoisch weiter, bis sich schließlich auf alle | |
Anwesende das Gefühl überträgt, gerade Zeuge einer Musikdarbietung im | |
intimsten Freundeskreis zu sein. | |
Seinen Ruf als Exzentriker und unberechenbarer Einzelgänger hat Ariel Pink | |
seit Beginn seiner Karriere weg. Als er Mitte der Nuller Jahre auch | |
außerhalb seiner Heimatstadt Los Angeles aufzutreten begann, stand er meist | |
allein auf der Bühne. Im Internet kann man diese holprigen Versuche | |
bestaunen: Wie beim Karaoke laufen Texte seiner Songs über eine Leinwand, | |
dennoch verhaspelt sich Pink ständig. Auch die Tonqualität ist suboptimal, | |
und so wird der Musiker oft unter Buhrufen von der Bühne gejagt. In | |
Interviews erklärt er sich sein Scheitern damit, dass „die Leute hassen, | |
wenn sie nicht verstehen, was gerade los ist“. | |
Einsichtig stellt er die These auf, seine Musik tauge möglicherweise nicht | |
für die große Bühne. Schließlich entsteht sie in seinem Zimmer im Haus | |
seiner Eltern. Anfangs mit dem einzigen Ziel, Songs zu schreiben, die er | |
auch selbst gern hören würde. | |
Schon im Alter von zehn komponierte der 1978 als Ariel Marcus Rosenberg in | |
Beverly Hills geborene Sohn jüdisch-mexikanischer Einwanderer seine ersten | |
Songs – allerdings nur im Kopf. Erst mit 18 fing er an, das aus dem | |
Gedächtnis gesammelte Oeuvre auf Kassetten und selbst gebrannten CDs | |
festzuhalten. Die Instrumente – Gitarre und Synthie – spielte er selbst | |
ein, die Drumbeats machte er mit dem Mund. | |
In den Songs verarbeitete er seine Kindheit (die Scheidung der Eltern, als | |
er zwei war; die daraus resultierende Psychotherapie, die er mit fünf | |
Jahren begann). Auch die ganze Musik, die er tagtäglich konsumierte: Von | |
Michael Jackson über Softpop aus den Sechzigern und Siebzigern über The | |
Cure (auch heute noch Pinks Lieblingsband) bis hin zu obskuren Gothic-Rock- | |
oder Industrial-Bands wie Throbbing Gristle. | |
## Postatomare Popmonster | |
Als Kunststudent am California Institute of the Arts designte Ariel Pink | |
die Kassettencover gleich selbst – Blei- und Buntstiftzeichnungen voller | |
postatomarer Monster – und nannte sein Gesamtkunstwerk „Haunted Graffiti“. | |
2003 überreichte er den Mitgliedern der Experimental-Rock-Band Animal | |
Collective nach einem Konzert eines seiner Tapes. Postwendend meldeten sie | |
sich und verpflichteten ihn für ihr Label Paw Tracks und legten das Album | |
„The Doldrums“ neu auf, das Pink 1999 zu Hause eingespielt hatte. | |
Ihnen – und einer bald wachsenden Fangemeinde – gefiel der anachronistische | |
Sound aus Bubblegum-Pop, New Wave, Werbejingles und Liebesballaden. Ariel | |
Pink schaffte es, in seiner Schlafzimmerwelt auf mysteriöse Weise, die | |
Unschuld von Pop und den Charme seiner Flegeljahre wiederauferstehen zu | |
lassen, erweitert um den psychotischen Schrott seiner Familiengeschichte. | |
Nachzuhören auf zwei Wiederveröffentlichungen früher Aufnahmen: „Worn Copy… | |
und „House Arrest“. Im Alter von 27 Jahren, in dem andere Ikonen des Rock | |
’n’ Roll ihr Ende fanden, nahm Ariel Pinks Karriere erst an Fahrt auf. | |
Problematisch ist nur: Wer im 21. Jahrhundert von Musik leben will, muss | |
ständig Konzerte geben. Dem Paradox, dass seine Alben enthusiastisch | |
aufgenommen, seine Auftritte hingegen verrissen wurden, setzte Pink ab 2006 | |
Profimusiker entgegen, von denen er sich auf Tour begleiten ließ. Die Band, | |
eine wabernde Patchworkfamilie aus Musikerfreunden und Freundesfreunden, | |
wurde je nach Ort des Auftritts vor jeder Show neu zusammengewürfelt. Zwar | |
musste Pink dadurch die Konzerte nicht mehr allein schultern, aber die | |
verschiedenen Bandkonstellationen hatten große Mühe, sich durch die | |
Komplexität seiner Kompositionen zu manövrieren. | |
Mit dem Wechsel zum britischen Label 4AD gelangen Pink 2009 dann zwei | |
Schritte in einem: Seither wird seine Musik mit perfekter Studioqualität | |
eingespielt; und Ariel Pink legte sich eine richtige Band zu – bestehend | |
aus dem Bassisten Tim Koh, dem Keyboarder Kenny Keys und dem Schlagzeuger | |
Aaron Sperske. Die Abkehr vom Do-it-yourself-Modus, der ihn berühmt gemacht | |
hatte, kostete ihn Fans. Die Aufregung versteht Ariel Pink bis heute nicht, | |
denn die miserable Tonqualität seiner Songs war nie Ausdruck einer | |
dezidiert gewählten Ästhetik, sondern in erster Linie seinem miesen | |
Equipment – einem Kassettenrekorder – geschuldet. | |
## Morbide Aufbruchstimmung | |
Dies schreckte ihn nicht davon ab, genau die Art von Pop zu machen, an die | |
er lange Zeit allein glauben musste. „Ziehe das Amplitudenverhältnis deines | |
iPhones hoch und schließe es an den Kassettenrekorder deines Autos. Dann | |
hast du genau den mülligen Ariel-Pink-Sound“, erklärte er kürzlich im | |
Interview dem britischen Musikmagazin The Wire. Pinks prähistorischer Klang | |
lässt sich nicht auf miese Tonqualität reduzieren, er ist Teil seines | |
Gesamtkonzepts. | |
Sowohl „Before Today“ aus dem Jahr 2010, als auch sein neues Album „Mature | |
Themes“ nehmen sich auf eigensinnige Weise vor, die morbide | |
Aufbruchstimmung der Sechziger wiederzugeben und führen dabei auf eine | |
retrospektive Reise durch die gesamte Popgeschichte. „Step into my time | |
warp – now!“, ruft Pink in dem Song „Is this the Best Spot?“ auf und se… | |
sich mit den seriösen und zugleich debilen Liebesliedern „Mature Themes“ | |
oder „Only In My Dreams“ zurück ins Teenie-Alter – damals, als alles noch | |
existenziell und aufregend war. | |
Während „Before Today“ Perlen aus seinem im Schlafzimmer entstandenen | |
Sammelsurium an gefühlten 500 Songs herausdestilliert, hat Ariel Pink | |
mit„Mature Themes“ die Zeit für reif erklärt, um neue Songs zu komponiere… | |
Endlich sind seine surrealistischen Lyrics in der Gegenwart angekommen und | |
untersuchen seinen Jetztzustand. Immer wieder macht er raffinierte | |
Eigenwerbung: „Pink slime is good for you.“ | |
## Keksdosensound aus der Mundhöhle | |
Die Zusammenarbeit mit den Profimusikern funktioniert wie gewohnt – sie | |
tanzen nach Pinks Pfeife. Erst nachdem ein neuer Song im Kopf des Meisters | |
ausgereift ist, kommen die Musiker ins Spiel, um dann alles akribisch zu | |
übersetzen. Besonders knifflig wird es bei der Übersetzung der Beats, die | |
Pink sich ausdenkt – er favorisiert nach wie vor den Klang seiner | |
Munddrums. Inzwischen trommelt Aaron Sperske ähnlich furios wie Don Bolles, | |
der Schlagzeuger der L.-A.-Punk-Band The Germs. Bolles ist so was wie Pinks | |
Spiritus Rector, und Pink ahmt mit seinem Mund dessen Keksdosensound nach. | |
Aber Ariel Pink hat viele Idole: Manchmal möchte man ihm | |
Jim-Morrison-Referenzen zuschreiben, die vielen Orgelklänge à la Ray | |
Manzarek, die das neue Werk beflügeln, verleiten zum Doors-Vergleich. Der | |
Song „Early Birds Of Babylon“ klingt schließlich wie eine obskure | |
Hippiemesse, die man in einer sandigen Wüstenhöhle bei Los Angeles verorten | |
würde. Mittendrin: Pink als wirrer Guru. | |
Beim Konzert in Paris steht als Gast ein anderes großes Vorbild hinter dem | |
Synthie-Klavier: R. Stevie Moore, der von der DIY-Community ernannte | |
„Father of Home Recording“. Auch ihm schickte Pink einst eine Kassette, | |
woraus sich eine enge Zusammenarbeit entwickelte, die dieses Jahr in das | |
gemeinsame Album „Ku Klux Glam“ mündete. | |
„Moore hat die Rock-’n’-Roll-Idee zerstört“, erzählte Ariel Pink im | |
Interview mit dem französischen Webmagazin The Drone. „Nach ihm konnte ich | |
mir nicht mehr vorstellen, ein Led Zeppelin zu sein oder wie ein Rockstar | |
Hotelzimmer zu verwüsten. Er hat mir ermöglicht, mich so zu akzeptieren, | |
wie ich bin.“ Moore, der mittlerweile 60-jährige Singer-Songwriter, dessen | |
Vater schon an der Seite von Elvis Presley Bass spielte, hatte sichtlich | |
Spaß an Pinks Fratzen auf der Pariser Bühne. Was bleibt, ist Ariel Pinks | |
Unschuld. | |
## Ariel Pink's Haunted Graffiti: "Mature Themes" (4AD/Beggars | |
Group/Indigo) | |
20 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
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