# taz.de -- Chemikalien in Konsumgütern: Nerven per Richtlinie | |
> Ausgerechnet EU-Bürokraten machen mit der Chemikalienrichtlinie REACH aus | |
> allen potenzielle Umweltaktivisten: Sie gibt uns das Recht zur | |
> Information. | |
Bild: Ob in diesen Spielsachen gefährliche Chemikalien verarbeitet sind? – D… | |
BERLIN taz | Einfach nur shoppen? Das war mal. Um Kleidung, Teppiche oder | |
Spielzeug sicherer und gesünder zu machen, hat die Europäische Union dem | |
Konsumenten eine aktive Rolle zugewiesen, die über „bewusstes Einkaufen“ | |
deutlich hinausgeht: integriertes Einkaufsengagement sozusagen. | |
Das Instrument ist die europäische Chemikalienverordnung REACH – sie | |
beinhaltet ein weitgehendes Informationsrecht der Verbraucher. Der Witz | |
dabei: Es wirkt auch, wenn es die Konsumenten gar nicht wahrnehmen. | |
Wer etwa einen Schrank kaufen will, kann verlangen, dass der Hersteller ihm | |
mitteilt, ob er einen besonders besorgniserregenden Stoff enthält, der | |
krebserregend oder erbgutgefährdend ist. Bislang bescheinigt die | |
europäische Chemikalienagentur 84 Stoffen amtlich, dass sie hochgefährlich | |
sind. | |
Setzt ein Hersteller einem Produkt mehr als 0,1 Prozent einer solchen | |
Chemikalie zu, muss er das dem Verbraucher kundtun. Allerdings hat er dazu | |
45 Tage Zeit, und der Käufer muss seine Anfrage schriftlich stellen, | |
mindestens per E-Mail. Bei größeren Anschaffungen wie Möbeln ist das | |
vorstellbar. Aber wer wird sich nach Chemikalien in Kosmetika oder einer | |
Jeans erkundigen und dann über einen Monat auf Antwort warten? | |
Umweltschützer halten REACH trotzdem für eine gute Idee. „Erstmals sitzt | |
die Öffentlichkeit mit am Tisch, wenn es um die Verwendung von Chemikalien | |
geht“, sagt Marc Brandt, Chemikalien-Experte des Umweltbundesamtes (UBA). | |
## Informationsrecht als Überforderung | |
Die Verbraucher machen bislang allerdings nicht allzu rege Gebrauch von | |
ihrem Recht. Martin Führ, Professor für Umweltrecht an der Hochschule | |
Darmstadt, findet das nachvollziehbar. Für die meisten Konsumenten bedeute | |
das Informationsrecht eine Überforderung. Es sei aber nicht nötig, dass | |
Tausende Verbraucher Briefe schrieben: „Allein wegen der Möglichkeit, dass | |
sie das tun könnten, listen die Händler schädliche Produkte aus“, glaubt | |
Führ. Gelte es doch, Imageschäden zu vermeiden. | |
Eine wichtige Funktion üben Umwelt- und Verbraucherverbände wie Foodwatch | |
oder der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) aus. Sie besitzen | |
Kompetenzen und Kapazitäten, das Auskunftsrecht zu nutzen – und die | |
Ergebnisse in die Öffentlichkeit zu bringen. Der BUND etwa hat gemeinsam | |
mit dem UBA eine Internet-Plattform entwickelt, wo Verbraucher auf | |
einfachem Wege eine Anfrage an die Hersteller senden können. Sie müssen | |
dafür nur den Strich- oder Barcode des Produkts eingeben. Irgendwann einmal | |
soll der Verbraucher mittels einer App auf seinem Smartphone prüfen können, | |
ob für die angebotenen Waren Infos über enthaltene Gifte vorliegen, so | |
Brandt. | |
Schon die Drohung mit der App könnte ausreichen, um die Industrie dazu zu | |
bewegen, gesündere und umweltfreundlichere Materialien zu verwenden. | |
„Entgiftung“ durch mehr Transparenz – das wirkt nicht nur in hochpreisigen | |
Marktsegmenten, sondern auch bei Tchibo. „Insofern ist REACH ein egalitäres | |
Projekt“, sagt Führ. | |
21 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
## TAGS | |
Spielzeug | |
Outdoor | |
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