Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Computerchaos in der Sozialbehörde: "Das System ist krank"
> Texte verschwinden, Klienten sind schwer zu finden: Drei Monate nach
> Einführung der Jugendamts-Software "Jus IT" berichten Mitarbeiter von
> Problemen.
Bild: Er hat auch nicht den Durchblick: SPD-Sozialsenator Detlef Scheele.
Hamburg taz | Eigentlich soll die im Mai eingeführte Software „Jus IT“
Hamburgs Jugendämter entlasten und dabei helfen, den Kinderschutz zu
verbessern. Aber auch drei Monate nach Start sind etliche Mitarbeiter
genervt. Die Arbeit in den Allgemeinen sozialen Diensten (ASD) funktioniere
nur, „weil jeder Strategien entwickelt hat, Jus IT auszutricksen“, sagt der
ASD-Mitarbeiter Frank Baumann.* „Alle haben Probleme, nicht nur die alten
PC-muffeligen Sozialarbeiter“, ergänzt seine Kollegin Monika Richter.* Auch
ein anfangs sehr motivierter ASD-Mann sage heute: „Das System ist krank.“
Wenn Baumann in seinem Büro im 1. Stock eines Bezirksamts am PC sitzt und
einen Bericht eingibt, beschert ihm Jus IT ganz praktische Probleme – alle
30 Minuten nämlich schaltet sich das Programm ab. Dadurch, erzählt er,
gingen immer wieder Texte verloren, sogar dann, wenn er sie vorher
gespeichert habe. Als Notlösung schreibe er Berichte nun im
Textverarbeitungsprogramm, was eigentlich nicht erlaubt sei.
Derlei Kniffe gebe es inzwischen viele. So verlange Jus IT in Protokollen
über Hilfeplangespräche auch den Geburtstag und die Adressen aller
Beteiligten, beispielweise auch der Erzieherin oder des Lehrers eines
Kindes. „Viel zu aufwändig“, sagt Baumann, deshalb gebe man bei weniger
wichtigen Pflichtfeldern oft Fantasiedaten ein. Zur Zweitkraft beim
Hausbesuch – aus Personalmangel nicht existent – werde dann schon mal der
„Weihnachtsmann“.
Auch Monika Richter nutzt Jus IT möglichst wenig. Die Einladungen zu
Hilfeplangesprächen etwa kämen stets ohne Anschrift aus dem Drucker. Und
aus den Dokumenten für Familien ließen sich Angst auslösende Formulierungen
– etwa über mögliche Kosten – nicht löschen. Auch fertiggestellte
Protokolle könnten in der elektronischen Akte nicht mehr geändert werden,
ergänzt Baumann. Es sei ein Glück, dass derzeit noch die Papier-Akte
„fallführend“ sei. In der könne die geänderte Fassung nachgetragen werde…
Selbst das Finden von Informationen werde erschwert, sagen die beiden
ASD-Beschäftigten. So gebe es keine leicht handzuhabende Suchfunktion, um
einen bestimmten Träger zu finden. „Schlicht gefährlich“ nennt Richter es,
dass die Fälle der einzelnen Fachkräfte nach Referenznummern angeordnet
sind, und nicht mehr nach Namen. Das erschwere es den Abteilungsleitungen,
den Überblick zu behalten. Genau der soll durch Jus IT eigentlich
verbessert werden. So werden Vorgesetzte bei Verdachtsfällen auf
Kindeswohlgefährdung automatisch informiert. Und sie erhalten eine Meldung,
wenn der Sachbearbeiter wichtige Klärungsschritte verpasst.
Doch auch das läuft offenbar im Alltag anders: Die in Jus IT
vorgeschriebene Diagnostik sei so aufwendig, dass sie für die Praxis nichts
tauge, sagt Baumann. „Ich mache lieber mehr Hausbesuche, als alle Fälle
streng nach Jus-IT-Philosophie zu bearbeiten.“ Auch Richter findet, „das
kann man bei dem Arbeitsdruck nicht machen“. Die Neuerung „nutzen nicht
viele Kollegen“.
Stattdessen würden nun die Fälle, die bisher unter „Verdacht auf
Kindeswohl“ erfasst waren, häufiger als Anfrage für „Beratung und
Unterstützung“ geführt. Die Hausbesuche und Hilfen für die Familien gebe es
trotzdem, allerdings sieht die Statistik dadurch anders aus. Das ist
problematisch: Eigentlich will die Behörde die Jus-IT-Daten für eine
Personalbemessung nutzen.
In der Sozialbehörde nennt man Jus IT eine „Herausforderung“. Es sei nicht
gelungen, in den Schulungen alle Einzelfragen zu klären, räumt Sprecherin
Nicole Serocka ein. Zu Teilen müsse das System noch „benutzerfreundlicher“
werden.
So sei jetzt das „Time Out“-Fenster, nach dessen Ablauf untätige Anwender
vom Programm getrennt werden, von 30 auf 90 Minuten erweitert worden. Auch
habe man in einigen Eingabe-Masken die Zahl der möglichen Zeichen erhöht,
arbeite an weiteren Korrekturen. Vom Grundkonzept her soll sich aber nichts
ändern. Nach einer Eingewöhnungsphase werde Jus IT „eine
Arbeitserleichterung sein“.
Bei der Gewerkschaft Ver.di ist der Wandsbeker Personalratsvorsitzende
Matthias Ebert Ansprechpartner für das Thema. „Die Ausgangssoftware hat
einige arbeitsbehindernde Macken und Eigenschaften“, sagt er. Es werde „mit
Druck verhandelt“, um diese zu beseitigen.
*Namen geändert
23 Aug 2012
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Kindeswohl
Jugendamt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gefährdetes Kindeswohl: Häufiger Verdacht
Die Verdachtsmeldungen von Kindesmisshandlung ist stark gestiegen. Laut
Sozialbehörde ein Medienphänomen.
Daten-Verwaltung im Jugendamt: Umstrittene Software gestoppt
Sozialsenator lehnt Ausweitung des Verwaltungsprogramms JUS IT auf
Sozialämter ab. Linke fordert Abschaffung auch bei Jugendämtern
Datenschützer warnen: Schöne neue Software
Die Ämter für Jugendhilfe, Sozialhilfe und Wohngeld sollen fusionieren,
damit die neue Software Jus IT optimal eingesetzt werden kann.
Kommentar Behörden-Software: Nicht bloß Anfangsmacken
Es geht auch um die in Software programmierte Idee, das Kindeswohl durch
schärfere Kontrollen und Regeln zu schützen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.