# taz.de -- Politische Prominenz beim Gillamoos: An Tagen wie diesen | |
> Beim bayerischen Volksfest gelingt Angela Merkel mit schiefen Sätzen, was | |
> SPDler Christian Ude mit klaren Worten nicht schafft: ein | |
> Gemeinschaftsgefühl herzustellen. | |
Bild: Prost! | |
ABENSBERG taz | In Abensberg steht man früher auf, um sich zu betrinken. | |
Seit 7.30 Uhr strömen Besucher ins Hofbräu-Zelt, um die Kanzlerin zu sehen. | |
Dabei wird Angela Merkel erst in dreieinhalb Stunden, begleitet von Klängen | |
der Oktoberfestblaskapelle Heinz Müller, durch den Dunst aus Körperwärme | |
und Bratenhitze zum Rednerpult schreiten. | |
Die Bundeskanzlerin wird auf die ihr eigene Art über die Eurokrise reden, | |
über Christentum und gute Bildung. Aber was genau Merkel sagen wird, ist | |
nicht so wichtig. Wichtig ist die Stimmung auf diesem traditionsreichen | |
Volksfest in diesem niederbayerischen Städtchen: eine Mischung aus | |
Weißbier, Smartphones und Selbstberauschtheit. Und wenn nach Merkels Rede | |
die Musi aufspielen wird, werden die sogenannten Konservativen wieder | |
einmal gezeigt haben, warum seit mehr als einem halben Jahrhundert die CSU | |
im Land regiert und nicht die SPD. | |
Auf den ersten Blick ist hier in Abensberg alles so, wie man sich | |
andernorts ein bayerisches Volksfest vorstellt, das 1313 erstmals | |
urkundlich erwähnt wurde. Weiß-Blau überall, die Herren in braunen | |
Lederhosen, die Damen in farbigen Dirndln. Rund um die Festzelte stehen | |
Riesenräder, Autoscooter und Marktstände. Wer hätte gedacht, dass es den | |
„schnellsten Hobel der Welt“ nur hier gibt, in einem | |
13.000-Einwohner-Städtchen hundert Kilometer nördlich von München? | |
## Heute nur noch Merkel | |
Doch ungewöhnlich ist, dass hier, unter den Zeltdächern der Brauereien | |
Hofbräu, Kuchlbauer oder Jungbräu, sich seit Jahrzehnten Politprominenz | |
sehen lässt. Lange Zeit kamen vor allem – natürlich – CSU-Politiker. Seit | |
den achtziger Jahren zieht es mehr und mehr Vertreter der Konkurrenz | |
hierher, seit den Neunzigern ballt sich kurz vor Bundestagswahlen die | |
Prominenz. Beispielsweise traten im Wahljahr 2002 auf: Otto Schily, Joschka | |
Fischer, Klaus Kinkel und Angela Merkel. Prominenter ging’s nicht. Heute | |
ist nur noch Merkel im Geschäft. Und wie. | |
Als die uckermärkische Protestantin Merkel einzieht, sich zwischen 3.200 | |
Gästen den Weg zur Bühne bahnt, feiern die bayerischen Katholiken sie, als | |
hätte sie gerade die Fußballweltmeisterschaft nach Niederbayern geholt. Das | |
Praktische des Konservativismus ist ja gerade, dass es scheinbar | |
Unvereinbares vereint. Merkel, einst angefeindet und beargwöhnt, zählt | |
mittlerweile dazu. Die Leute hier lieben sie vielleicht nicht, aber sie | |
haben sich an sie gewöhnt, und schließlich ist sie ihre Kanzlerin. Außerdem | |
ist sie erst zum zweiten Mal hier, und zum ersten Mal beehrt eine deutsche | |
Regierungschefin den Gillamoos. | |
Der lokale CSU-Vorsitzende Martin Neumeyer ist ganz aufgeregt, als er „Frau | |
Doktor Angela Merkel“ begrüßen darf. Der Saal tobt. Aber das tut er auch, | |
als Neumeyer im nächsten Atemzug zwei lokale Judokämpfer begrüßt, die bei | |
Olympia in London Silber beziehungsweise Gold gewonnen haben. Der Saal ist | |
selig. Da macht es auch nichts, dass die „Zuagroaßte“ Merkel den CSU-Mann | |
als „Neuermeyer“ anspricht. Passt scho. | |
## Keiner der Ihren | |
Christian Ude hat es schwerer. Zwar sei er in Niederbayern im Grunde | |
bereits heimisch, sagt Florian Pronold, der Landesvorsitzende der SPD, als | |
er den Spitzenkandidaten seiner Partei aufs Podium bittet. Als einen der | |
Ihren feiern die Abensberger Ude trotzdem nicht. Gekommen sind sie zwar, um | |
den Münchner Oberbürgermeister, der im kommenden Jahr bayerischer | |
Ministerpräsident werden will, zu hören. Die 1.800 Sitzplätze des | |
Jungbräu-Zelts sind gut gefüllt – für die bayerische SPD ein Novum. Selbst | |
in den Gängen unter roten SPD-Luftballons sind ein paar Neugierige stehen | |
geblieben. Doch Stimmung, gar Wechselstimmung, wie sie die bayerische SPD | |
so dringend bräuchte, will nicht so recht aufkommen. | |
Nur einmal, gleich zu Beginn seiner Rede, wird Ude polemisch. Es geht um | |
sein Lieblingsthema derzeit: die Doppelzüngigkeit der CSU in Fragen der | |
Eurorettung. Bereits vor dem Auftritt beim Politischen Frühschoppen auf dem | |
Gillamoos hatte Ude seine besten Wünsche an die Bundeskanzlerin medial | |
übermittelt. „Viel Mut und Kraft“, sollte Angela Merkel mitbringen, um der | |
CSU ihre Europapolitik zu erklären. | |
Nun gluckst Ude die Anekdote der letzten Woche ins Mikro: Wie Angela Merkel | |
erklärt habe, dass sie keinen Unionspolitiker kenne, der Griechenland nicht | |
in der Währungsunion halten wolle. „Gleichzeitig hat aber Alexander | |
Dobrindt gesagt, dass er die Griechen rausschmeißen will“, freut sich Ude | |
über die Steilvorlage des CSU-Generalsekretärs. Nun sei die Kanzlerin, der | |
man vor genau einer Woche derart vors Schienbein getreten habe, nach | |
Niederbayern eingeladen, „damit sich die frechen Buben an Muttis Rockzipfel | |
festhalten können“. | |
Ein „sonderpädagogischer Einsatz“ sei das, so Ude, „um ungezogene | |
Generalsekretäre, die eine Wirtshausschlägerei nicht von internationaler | |
Finanzpolitik unterschieden können“, wieder zur Räson zu bringen. Damit ist | |
Udes Stammtischpotenzial erschöpft. | |
## Ude verliert sich in Details | |
Zu kompliziert und zu detailversessen ist seine einstündige Rede. Den | |
Populismus und die rüpelhaften Sprüche der Parteirivalen, die Ude immer | |
wieder kritisiert, will er sich nicht zu eigen machen. Und so erklärt er | |
ausführlich, warum auch die SPD – wie die CSU – findet, dass der | |
Länderfinanzausgleich Bayern benachteilige. „Stimmt, die Bayern kommen zu | |
kurz“, ruft Ude donnernd. Doch wo für einen CSU-Redner das Thema endet, | |
geht es bei ihm erst richtig los. Eben jene Politiker, die heute in | |
Karlsruhe gegen die Ausgleichzahlungen klagen wollen, hätten den | |
Finanzausgleich dereinst beschlossen. | |
Am Ende verliert er sich in Details: Studiengebühren abschaffen, | |
Kinderbetreuung ausbauen, Gemeinschaftsschule einführen, den Mindestlohn | |
gesetzlich verankern. Auch wenn dadurch der Ruf des Schwabinger | |
Intellektuellen, dem das politische Kabarett näher ist als die | |
grobschlächtige Bierzeltrede, für immer an ihm haften bleibt: Ude mutet | |
seinen Zuhörern, die bereits fleißig die Maßkrüge heben, zu, was zu seinem | |
politischen Stil gehört: das ausführliche Argument, verpackt bisweilen in | |
komplizierte Schachtelsätze. Im Gegensatz zur Kanzlerin ist Udes Auftritt | |
beim Gillamoos eine Premiere. | |
In epischer Länge erklärt er den Zusammenhang zwischen Banken- und | |
Schuldenkrise, fordert, man müsse den sogenannten „Raubtierkapitalismus“ | |
wieder stärker als Ursache in den Blick nehmen, statt allein nur den | |
Ländern die Schuld an der finanziellen Misere zu geben, fordert eine | |
Finanztransaktionssteuer, wirbt für ein differenziertes Griechenlandbild – | |
und schiebt am Ende selbstkritisch ein: „Das war jetzt eine etwas | |
strapaziöse Lektion.“ | |
## Ersehnte Einsamkeit | |
Die Kanzlerin hat dazugelernt. Zwar zeigt sich da, wo Merkel von ihren | |
Redebausteinen abweicht, mitunter ein ungewollter Blick in ihre Gedanken. | |
CSU-Mann Neumeyer hat gerade erzählt, er feiere an diesem Tag Silberne | |
Hochzeit mit seiner Maxi. Merkel, die Distanzierte, die nicht distanziert | |
wirken will, sagt zu Beginn ihrer Rede: „Ich bin um ein Uhr wieder weg, | |
dann können sie auch ganz einsam feiern. Oder mit ihrer Familie, ihren | |
Freunden.“ | |
Aber danach erledigt Merkel ihren Job routiniert. Während sie redet, hacken | |
ihre Hände im Wechsel senkrecht durch die Luft. 39 Minuten, in denen die | |
Kanzlerin über so ziemlich alles spricht in ihren unnachahmlich diffusen, | |
aber eingängigen Sätzen. Über das Erbe von Rot-Grün („2002 war Deutschland | |
noch mit der roten Laterne in Europa unterwegs“). Über ihre eigenen Erfolge | |
(„Heute ist Deutschland Spitze in Europa und an vielen Orten in der Welt“). | |
Das Familiengeld nennt sie lieber nicht beim Namen, sondern sagt lediglich: | |
„Familien sind unsere Zukunft“. Und zwar inklusive Vätern, Großeltern „… | |
was auch immer“. Einmal grummelt das Zelt, einmal jubelt es. Ihre letzten | |
Worte gehen im Lärm unter, als sie über die weltweite Wirtschaftskonkurrenz | |
sagt: „Bei uns gibt’s schon Theater, wenn man eine dritte Landebahn oder | |
einen Bahnhof bauen will.“ | |
## Ach, der Seehofer | |
Als sie verspricht, sie werde im nächsten Jahr im bayerischen Wahlkampf | |
helfen, „damit Horst Seehofer Ministerpräsident bleiben kann“, gibt es | |
Gemurmel im Saal. Ach, der Seehofer. Der hat, seit er Ministerpräsident | |
ist, noch nie hier gesprochen. Nächstes Jahr, heißt es, wird er endlich | |
kommen. Wenige Wochen vor der Wahl. Derzeit sieht es gut aus für die CSU. | |
Umfragen sehen sie derzeit bei 43 und 46 Prozent. Die SPD steht bei 20 bis | |
23 Prozent. Gemeinsam mit Grünen und Freien Wählern will sie Seehofer | |
stürzen. | |
Merkel glaubt, sie habe es fast geschafft, als sie zum Schluss ihrer Rede | |
sagt: „Wenn man hart gearbeitet hat, dann kann man auch feiern, und in | |
diesem Sinne noch einen schönen Tag in diesem Festzelt.“ Schnell noch die | |
Bayernhymne, dann die Nationalhymne, und weg zum nächsten Termin. Aber die | |
lokale CSU hat eine „Überraschungshymne“ vorbereitet. Und so steht sie, mal | |
angestrengt lächelnd, mal mit unbewegter Miene, auf der Bühne, während ein | |
junger Mann in Lederhose ihr zu Ehren das Liebeslied „Angie“ von den | |
Rolling Stones knödelt: „Angie – I still love you!“ | |
Dann, endlich, darf Merkel raus aus dem Bier- und Bratendunst. Betrunkene | |
bayerische Katholiken bejubeln eine nüchterne Ostdeutsche, die am liebsten | |
„einsam feiert“. Aus den Lautsprechern dröhnt das Lied „Tage wie diese�… | |
den Toten Hosen. Passt scho. | |
3 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
M. Halser | |
M. Lohre | |
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