# taz.de -- Zehntausende bei Protesten gegen Putin: Aus Pflicht statt aus Spaß | |
> In Moskau und anderen russischen Städten kam es zu großen Protesten gegen | |
> Präsident Putin. Das Spektrum der Demonstrierenden ist gewachsen. | |
Bild: Klare Botschaft: Proteste gegen Präsident Putin am Samstag. | |
MOSKAU taz | „Wenigstens müssen wir uns nicht schämen“, sagt einer der | |
Teilnehmer an der Grossdemonstration der Opposition in Moskau zufrieden. | |
Demonstranten und Veranstalter hatten im Vorfeld befürchtet, die | |
Protestaktion, die unter dem Banner „Marsch der Millionen“ läuft, würde | |
diesmal nur noch wenige Personen anziehen. | |
Nach der langen Sommerpause, die viele Russen auf dem Lande verbringen, | |
vermuteten Beobachter, der Protest gegen Wladimir Putin würde im Herbst | |
endgültig zum Erliegen kommen. Stattdessen waren gestern im Stadtzentrum | |
nach unterschiedlichen Angaben wieder zwischen 50.000 und 100.000 | |
Demonstranten unterwegs. | |
Erstmals nahm auch die Kommunistische Partei Russlands an einem | |
Protestmarsch teil. Bisher hatten die Kommunisten es abgelehnt, sich | |
zentral organisierten Veranstaltungen der Opposition anzuschließen. Das | |
soziale Spektrum des Widerstandes hat sich damit erweitert. Im Dezember | |
waren es vor allem die gebildeteren städtischen Mittelschichten gewesen, | |
die Empörung und moralische Entrüstung auf die Strasse trugen. | |
## Erstmals auch soziale Forderungen | |
Die Schlussresolution der Demonstration stellte zum ersten Mal neben | |
politischen auch soziale Forderungen. Der oppositionelle | |
Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow kritisierte unter dem Beifall der | |
Menge, dass der Kreml die für Bildung vorgesehenen Gelder in den | |
Rüstungssektor und den Ausbau des Sicherheitsapparates umgeleitet habe. | |
Auch die Studentenschaft der Moskauer Hochschulen stellte diesmal einen | |
eigenen Block. | |
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Oppositionsbewegung | |
trotz allem eine Strategie fehlt. Bisher ist es nicht gelungen, die | |
Unzufriedenheit und den Widerstand in einer schlagkräftigen Organisation zu | |
bündeln. Viele Gegner des Putin-Regimes sind daher über die Arbeit der | |
Opposition enttäuscht. Im Oktober plant die Bewegung, durch landesweite | |
Wahlen im Internet als ersten organisatorischen Schritt einen | |
oppositionellen „Koordinationsrat“ wählen zu lassen. | |
„Die Leute gehen auf die Demonstrationen wie zur Arbeit“, sagt der | |
40-jährige Unternehmer Andrei. „Aus Pflichtgefühl, nicht aus Spass. Wir | |
dürfen dem Kreml nicht das Gefühl vermitteln, Sieger zu sein.“ Die | |
Kreativität der sogenannten „kreativen Klasse“ - der Mittelschicht - hat | |
denn auch im Vergleich zu den ersten regierungskritischen Aktionen etwas | |
nachgelassen. „Wir wünschen uns einen Präsidenten, der die Menschen in | |
unserem Land zum Lächeln verleitet“, stand auf dem Plakat eines | |
demonstrierenden Mädchens. | |
## „Wir sind nicht deine Kraniche“ | |
Stattdessen bietet der Kremlchef den Bürgern Anlass, sich über ihn lustig | |
zu machen. Für einen autoritären Herrscher wird es brenzlig, wenn | |
Untertanen den Spott nicht mehr scheuen. „Wir sind nicht deine Kraniche“, | |
warnten einige Spruchbänder. Die Demonstranten spielten damit auf eine | |
[1][PR-Aktion in der letzten Woche] an zum Motto – Wladimir Putin ist gut | |
zu Vögeln. | |
Der Kremlchef war auf der Halbinsel Jamal im Hohen russischen Norden in ein | |
Kranichkostüm geschlüpft und schickte sich an, als Alpha-Kranich in einem | |
Propeller-Leichtfluggerät junge Kraniche auf den Kurs gen Süden zu lenken. | |
Nicht alle Exemplare der vom Aussterben bedrohten Spezies folgten jedoch | |
dem Präsidenten. „Politische Ornithologie“- Vogelkunde – tauften Spötter | |
das neue Tätigkeitsfeld des Staatschefs. Ein als Kranich verkleideter | |
Rentner stellte die Episode zum Gaudi der Demonstranten am Rande der Route | |
nach. | |
Für etwas Buntheit sorgten an der Demonstration auch riesige Ballons, die | |
den Masken der drei in Untersuchungshaft sitzenden Punkerinnen von Pussy | |
Riot nachempfunden waren. „Russland ohne Putin“ war die häufigste Parole, | |
die angestimmt wurde. Ein bisschen müde klang sie aber schon. | |
16 Sep 2012 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
## TAGS | |
Wladimir Putin | |
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