# taz.de -- Doku „Putins Kuss“ auf Arte: Ein Kältegefühl in Bildern | |
> Gänsehaut garantiert: In „Putins Kuss“ wird die junge Mascha zur | |
> Parteisoldatin – bis sie sich mit einem regimekritischen Blogger | |
> anfreundet. | |
Bild: Mascha und ihr einstiges Idol Putin. Schon mit 15 Jahren war sie ein Fan … | |
Diese Doku ist gruselig. Nicht weil sie schlecht wäre. Sie ist sehr gut. | |
Und genau deswegen verursacht einem die Arte/SWR-Koproduktion „Putins Kuss“ | |
über die nationalistische russische Jugendbewegung Naschi auch Gänsehaut. | |
Russland kann einem ganz schön unheimlich werden, und da macht es auch | |
nichts, dass die Stalinstatuen nicht mehr stehen. | |
Da ist also die Protagonistin Mascha Drokova, mittlerweile 23, die einmal | |
als 15-Jährige in die Kamera plauderte: „Wenn ich einen Mann nennen müsste, | |
der mir gefällt, dann wohl Putin. Mit so einem Mann möchte ich mein Leben | |
teilen. Er ist stark, charismatisch und intelligent.“ Als sie den | |
russischen Präsidenten nach einer seiner Reden auf die Wange küsst, gehen | |
die Bilder als Symbol für die erste postsowjetisch aufgewachsene Generation | |
durch die Presse. | |
Dass der Teenager Mascha Putin verehrt habe, sei kein Wunder, analysiert | |
der regierungskritische Journalist Oleg Kaschin im Film: „Als Mascha auf | |
die Welt kam, war Russland ganz unten. Die Menschen wurden jeden Tag | |
ärmer.“ Dann kam Putin, der Wirtschaftsaufschwung, Kapitalismus, man nannte | |
es alles zusammen Demokratie: „Die Durchschnittsfamilie hat nie so gut | |
gelebt wie unter Putin“, erklärt der Journalist. Mascha engagiert sich bei | |
Naschi, wird Sprecherin der Bewegung, die sich vor allem darüber definiert, | |
gegen die Gegner Putins zu sein – und macht Karriere in Moskau, mit 16 | |
Jahren. | |
Und dann ist da Wasilij Jakemenko, Gründer von Naschi. „Wenn man sich | |
weiterentwickelt, wird man von ihm gefördert. Wenn nicht, verkehrt sich | |
sein Verhalten einem gegenüber ins Gegenteil“, sagt Mascha. Was das genau | |
heißt, bleibt offen. Es reicht aber, dass Regisseurin Lise Birk Pedersen | |
erzählt, wie Mascha das erste Mal in Schwierigkeiten gerät, weil sie auf | |
einem Geburtstag ist, auf dem ein Buch von Jakemenko verbrannt wird. | |
Kaschin sagt dazu hinterher: „Man kann sehen, wenn Menschen Angst haben. | |
Ich weiß nicht, wovor Mascha Angst hatte, aber sie hatte Angst.“ | |
## Russland ganz unten | |
Vielleicht ist es das, was einen an diesem politischen Porträt Russlands | |
frösteln lässt: Die Macht scheint ungreifbar irgendwo im Hintergrund zu | |
wirken, willkürlich – aber absolut. Pedersen schafft es, dieses Kältegefühl | |
in Bilder umzusetzen. Die langen Fotostrecken geben der Doku fast etwas | |
Collagenhaftes, Sprunghaftes – gleichzeitig wirkt ein eingefrorener | |
Gesichtsausdruck viel nachdrücklicher. | |
Auch die Dreiecksdramaturgie, die Pedersen entwirft, funktioniert: der | |
aufrechte Investigativjournalist, der kompromisslose Anführer, das von der | |
Macht manipulierte und (als sie sich schließlich mit Kaschin und anderen | |
regierungskritischen Stimmen anfreundet) zunehmend von moralischen Skrupeln | |
getriebene Mädchen. | |
Das Mädchen und die Macht, die plötzlich zur Bedrohung wird. „Das war wie | |
eine Reality-Show“, sagt Kaschin in einer Szene. „Was passiert mit Mascha, | |
je mehr sie in Kontakt mit kritischen Stimmen kommt?“ | |
## Eine besondere Demokratie | |
Mascha ist zu differenziert für platte Propaganda. Sie kommt ins | |
Nachdenken, als die Nationalisten mit Konterfeis von Putin-Gegnern | |
demonstrieren und dieselben Bilder später mit Füßen treten: „Das ist | |
unschön und hässlich.“ Damit taugt sie nicht mehr als postsowjetisches Role | |
Model, aber als Stellvertreterin für die lauter werdende kritische | |
russische Jugend. Kurz nachdem der Film abgedreht war, wurde die Band Pussy | |
Riot verhaftet, die in einer Moskauer Kathedrale ein „Punk-Gebet“ gegen die | |
orthodoxe Kirche und den Präsidenten sang. | |
„Sie reden von einer besonderen Demokratie“, sagt ein Oppositioneller über | |
die Naschi-Bewegung. „Aber so etwas gibt es nicht. Eine besondere | |
Demokratie ist eine Diktatur.“ Dazu braucht es nicht mal eine Stalinstatue. | |
## „Putins Kuss“ 20.9., 23.35 Uhr, Arte | |
20 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
## TAGS | |
Kuss | |
Moskau | |
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