| # taz.de -- Ikonografie Putins: Flieg, Putin, flieg | |
| > Um den russischen Präsidenten ist ein unglaublicher Bilderkult | |
| > entstanden. Der dürfte zu Putins bevorstehendem 60. Geburtstag einen | |
| > Höhepunkt erreichen. | |
| Bild: Die Fotos vom russischen Präsidenten im Ultraleichtflugzeug greifen nich… | |
| Zu immer neuen Höhenflügen setzt die PR-Maschine rund um Wladimir Putin an. | |
| Allerdings geht dabei auch nicht alles nach Plan. Bei der Artenschutzaktion | |
| unter dem Namen „Flug der Hoffnung“ auf der Jamal-Halbinsel in Nordsibirien | |
| wollten die jungen Kraniche ihrem Alphavogel im Gleitflieger nicht auf | |
| Anhieb folgen, was Kritikern Anlass zu Hohn und Spott gab: Der | |
| wiedereingesetzte Kremlchef verliere an Führungsstärke. | |
| Die Fotos von dem russischen Präsidenten im Ultraleichtflugzeug greifen | |
| nicht nur den uralten Traum des Menschen vom Fliegen auf. Sie spielen auch | |
| mit der in der Kunstgeschichte vielfach dargestellten Figur des Ikarus, | |
| dessen mit Wachs befestigte Flügel beim Höhenflug gen Sonne abschmolzen und | |
| den tragischen Helden ins Meer stürzen ließen. | |
| Von der PR-Maschinerie mit Sicherheit ungewollt, präsentierte sich Putin in | |
| der Tradition einer Mythenfigur, die eine gefährliche Gratwanderung | |
| zwischen Aufstieg und Fall symbolisiert. Nicht ganz freiwillig birgt die | |
| jüngste PR-Kampagne des Kreml eine Ambivalenz, die den schleichenden | |
| Imageverlust eines Staatschefs reflektiert. | |
| Dies zeigt eine Trendwende in dem bereits zwölf Jahre währenden Kult um die | |
| Person Putins, der zu seinem bevorstehenden 60. Geburtstag am 7. Oktober | |
| wohl einen vorläufigen Höhepunkt erreichen wird. Seit seinem ersten Einzug | |
| in den Kreml im Jahr 2000 hat sich um Putin eine komplexe Ikonografie | |
| etabliert, die ihm über ein Jahrzehnt ein stabiles politisches Image in | |
| Russland garantiert hat. | |
| Der Putinkult reichte von Anfang an über die staatlich kontrollierten | |
| Medien hinaus in sämtliche Bereiche von Kunst und Populärkultur. Seine | |
| Darstellung in der Kunst bewegte sich zwischen verklärter Überhöhung in | |
| Rückgriffen auf zaristische wie stalinistische Herrscherverehrung und | |
| ironischer Dekonstruktion in Karikaturen und kritischen Kunstprojekten, die | |
| mit den Jahren immer öfter staatliche wie kirchliche Zensurmaßnahmen auf | |
| den Plan riefen. | |
| ## Klassische Herrscherbilder | |
| Ein Paradebeispiel für eine moderne Form der Hofkunst liefert der Moskauer | |
| Maler Nikas Safronow, der sich längst einen Namen als neuer Porträtist der | |
| russischen Polit- und Wirtschaftselite in Russland gemacht hat. Sein | |
| bekanntestes, bereits im Jahr des ersten Amtsantritts entstandenes | |
| Putin-Porträt malte er im klassischen Format eines Herrscherbildnisses. Das | |
| neue Staatsoberhaupt erscheint vor einem Fensterausblick auf einen | |
| Herrschaftsraum, der staatliche und kirchliche Macht in einem Stadtblick | |
| auf Kremltürme und Erlöserkathedrale symbolisch verdichtet. | |
| Neben diesem offiziösen Gemälde schuf Safronow diverse Varianten des | |
| russischen Präsidenten in historischen Gewändern, die ihn camoufliert als | |
| François I., als Napoleon oder als Papst zeigen. Gemäß seiner | |
| Vermarktungsstrategie „Putin verkauft sich immer und in jeder Form“ | |
| vertrieb Safronow seine Bildnisse in zahlreichen Replikationen, die zum | |
| Teil an Mitarbeiter des Kreml verkauft wurden und dort laut Künstleraussage | |
| die Kabinette zierten wie einst die Porträts der Sowjetführer. | |
| Den künstlerischen Zenit des Putin-Kultes markiert eine überlebensgroße | |
| Bronzestatue Putins im Judoanzug, der ihr Schöpfer Surab Zereteli 2004 den | |
| Titel „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist“ verlieh. Zereteli | |
| zelebriert in seiner Kunst wie kein anderer ein anachronistisch anmutendes | |
| Herrschaftsverständnis. In seinen kitschigen Monumentalwerken lässt er | |
| Allmachtsansprüche und Großmachtfantasie in Bronze gerinnen. Seine | |
| Putin-Statue erinnert in ihrer Größe und Statik an stalinistische | |
| Denkmäler. | |
| Zereteli erschuf einen Heros, der in mythischer Überhöhung Glanz und Glorie | |
| des wiedererstarkten Russland verkörpern soll. Das Standbild wirkt | |
| anachronistisch, da die Heroisierung von Führern dem Grundprinzip einer | |
| Demokratie widerspricht. In einer postheroischen Zeit traditionelle | |
| Heldenklischees ohne ironische Distanz zu nutzen wirkt auf den Betrachter | |
| unangemessen, kitschig, ja lächerlich. | |
| Doch eine solche Verkörperung entspricht auch der Imagekonstruktion des | |
| Kreml. Nach dem traumatischen Zerfall des Sowjetreichs und dem Chaos der | |
| Jelzin-Jahre wurde Putin als starker Retter des Landes und einziger Garant | |
| von Sicherheit und Ordnung ins Amt gehoben. | |
| Die immer wiederkehrenden Pressebilder von der starken und siegreichen | |
| Kämpfernatur im Judoanzug und die zum Ritual gewordenen Darstellungen | |
| Putins als halbnackter Outdoor-Heros in der sibirischen Wildnis sollen | |
| diese Botschaft permanent aktualisieren. | |
| Dabei simulieren die inszenierte Stärke des Staatsführers und die davon | |
| abgeleitete Projektion von Russland als Großmacht eine politische | |
| Stabilität, die den Machtverlust Russlands auf internationaler Ebene und | |
| die politische Instabilität im Land heute kaum noch verdecken kann. | |
| ## Sakrale Insenierung | |
| Im heutigen politischen Ritual Russlands lassen sich zahlreiche Parallelen | |
| zu vorrevolutionärer Zeit erkennen. Personifizierte Macht wird wie zu | |
| Zarenzeiten sakral inszeniert. Diese Parallele griffen die Künstler Sergei | |
| Kalinin und Farid Bogdalow auf. Sie malten Putin in einem monumentalen, | |
| vier mal neun Meter großen Remake eines Gemäldes des russischen | |
| Wandermalers Ilja Repin aus dem 19. Jahrhundert in der Rolle des Zaren und | |
| stellten die heutige Polit- und Kulturelite in historischen Gewändern der | |
| Beamten des Zarenreiches dar. Ganz wie es das aktuelle Politikritual in | |
| Russland vorgibt. | |
| Bei Medienauftritten gibt sich Putin nicht nur als allmächtiger Zar, auch | |
| seine Minister erscheinen in den Positionen eines devoten Hofstaates. Die | |
| stetig in russischen Nachrichtensendungen ausgestrahlten Kabinettssitzungen | |
| bieten eine immer gleiche Kulisse, die eine vertikale Machtstruktur mit | |
| Putin an der Spitze symbolisiert. | |
| Auch der Handlungsablauf folgt einem hierarchisierten Ritual. Der Präsident | |
| lenkt das Geschehen, fragt Ergebnisse ab, lobt oder kritisiert und verteilt | |
| neue Aufgaben. Machtbefugnisse und die Kontrolle über sämtliche | |
| gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Instanzen im Land | |
| werden visuell auf eine Person reduziert. | |
| ## Russlands größter Popstar | |
| Es ist bekannt, dass sich Machtlegitimation heute über Medienpräsenz | |
| realisiert. Putin ist in der russischen Medienwelt zu einer visuellen | |
| Konstante geworden, die andere Themen auf den Platz von Pausenfüllern | |
| verweist. Diese Erkenntnis reflektierte der Moskauer Künstler Dmitri Vrubel | |
| in seiner Putiniana. In Pop-Art-Manier machte er in einer ironischen | |
| Formulierung den „größten Popstar“ Russlands zum Protagonisten seiner Kun… | |
| und transferierte Pressebilder von Putin in Ölgemälde. | |
| Einige Jahre lang erwies sich die Putiniana als lukratives Geschäft – die | |
| Putinkalender des Duos Vrubel und Timofeeva verkauften sich teuer an die | |
| russische Politelite im Kreml. Trotz dieser Erfolge zeigen sich in Vrubels | |
| Werk ironische Pointen und subtile Kritik. 2007 realisierte das | |
| Künstlerpaar eine monumentale Leinwand mit gigantisch übersteigerten | |
| Gesichtern internationaler Medienikonen: neben Bush, Saddam Hussein und | |
| Bill Gates auch Wladimir Putin, Michail Chodorkowski und Alexander | |
| Litwinenko. | |
| Putin trägt eine Pistole, die auf den in einem beispiellosen politischen | |
| Schauprozess hinter Gitter gebrachten Chodorkowski gerichtet ist. Auch das | |
| Gesicht des an einer Poloniumvergiftung sterbenden Litwinenko liegt in der | |
| Schusslinie des russischen Präsidenten. | |
| Vrubel spielt auf Willkürjustiz und Mutmaßungen über politische | |
| Auftragsmorde an. Heute lebt der Künstler mit seiner Familie in Berlin, wo | |
| er jüngst die Mitglieder der Piratenpartei porträtierte. Unter Putin sei es | |
| nicht mehr wichtig, ob Kunst gefalle oder eine Ausstellung sich lohne, sagt | |
| Vrubel in einem Interview mit dem Sender 3sat, es stelle sich lediglich die | |
| Frage: „Werde ich dafür verklagt oder nicht?“ | |
| Tatsächlich nahmen in den vergangenen zwölf Jahren Zensur und Selbstzensur | |
| staats- oder religionskritischer Kunstwerke sowie Ausstellungsverbote und | |
| Klagen gegen Kuratoren immer stärker zu. Zu den am häufigsten zensierten | |
| „Putin-Künstlern“ zählen die Blauen Nasen, die mit dem Mittel ironischer | |
| Dekonstruktion die Grundpfeiler des russischen Staates verballhornen: | |
| Präsident und Kirche. | |
| Mit dem Vorwurf der Vaterlandsverleumdung belegt, wurden ihre Werke von | |
| russischem Zoll und Kulturministerium nicht zu Ausstellungen im Ausland | |
| zugelassen. Auch Aussteller, die in Russland ihre Werke zeigten, sahen sich | |
| vielfach mit Kritik und Klagen konfrontiert. | |
| Der jüngste Prozess gegen die Protestaktion der Punkband Pussy Riot | |
| indiziert den Gipfel der bisherigen Auseinandersetzung zwischen Kirche, | |
| Staat und Kunstfreiheit. Das harte Urteil über die drei Bandmitglieder | |
| zeigt die Angst der russischen Regierung vor der politischen Opposition und | |
| markiert einen weiteren Schritt in Richtung eines repressiven Staates. | |
| 6 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexandra Engelfried | |
| ## TAGS | |
| Russland | |
| Wladimir Putin | |
| Russland | |
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