# taz.de -- Debatte Demokratieförderung: Mit Warlords zum Frieden | |
> Die Bundesregierung zieht Lehren aus dem Einsatz in Afghanistan. Aber | |
> sind diese richtig? Demokratieförderung kommt nicht vor, dafür aber | |
> „local power brokers“. | |
Bild: Welchen Weg geht Deutschland in der Afghanistanpolitik? | |
Es wird höchste Zeit, dass Lehren aus dem – vor allem in den Augen vieler | |
Afghanen – gescheiterten Afghanistaneinsatz gezogen werden. Auch von der | |
Bundesregierung. Aber ihre [1][Leitlinien für den künftigen Umgang mit | |
sogenannten fragilen Staaten], die die Minister Guido Westerwelle | |
(Auswärtiges), Thomas de Maizière (Verteidigung) und Dirk Niebel | |
(Entwicklung) in der vorigen Woche vorstellten, gehen in die falsche | |
Richtung. Sie enthalten sogar Elemente einer konservativen Wende rückwärts. | |
Das liegt nicht so sehr an dem, was in dem Papier steht. Da liest man viel | |
prinzipiell Richtiges, auch wenn das meiste nicht neu ist: Bei künftigen | |
Auslandseinsätzen werde man nur multilateral und mit UN-Mandat handeln. | |
Menschen- und Minderheitenrechten und „vor Ort anerkannten Mechanismen der | |
Konfliktbeilegung“ soll Vorrang eingeräumt werden. | |
Wichtiger ist, was darin fehlt: Demokratieförderung zum Beispiel. Dabei | |
hatte Minister Niebel noch fünf Tage zuvor erklärt, Demokratie sei „der | |
Kern jeder nachhaltigen Entwicklung“. Sein Kabinettskollege de Maizière | |
besteht nun sogar darauf, dass es einen „Export unseres Demokratiesystems“ | |
nicht mehr geben werde. | |
Stattdessen will die Bundesregierung künftig stärker an „lokale | |
Legitimitätsvorstellungen“ und „endogene Traditionen und Institutionen“ | |
anknüpfen, „auch wenn diese nicht in vollem Umfang denen liberaler | |
Demokratien entsprechen“. Das klingt bedenklich kulturrelativistisch. Der | |
nachgeschobene Vorbehalt, dass solch eine „kulturelle Offenheit“ ihre | |
Grenze finde, „wenn die universellen Menschenrechte verletzt werden“, kann | |
diese Bedenken nicht ausräumen. Demokratie und Menschenrechte bedingen sich | |
ja gegenseitig; macht man Abstriche an einem, kann man das andere nicht | |
verteidigen. | |
## Strukturen wurden nur wiederhergestellt | |
Darüber hinaus eignet sich der Fall Afghanistan, den Niebel auf der | |
Pressekonferenz als bereits eingetretenen „Schadensfall“ charakterisierte, | |
nicht als Begründung für diese kulturrelativistische Rolle rückwärts. Zum | |
einen entspricht die These vom „Demokratieexport“ nicht den Tatsachen. Nach | |
dem Sturz der Taliban wurden während der Bonner Afghanistankonferenz Ende | |
2001 parlamentarisch-demokratische Institutionen wiederhergestellt, die in | |
Afghanistan existiert hatten, bis sie 1973 durch eine Kette von Putschen | |
und Gegenrevolutionen außer Kraft gesetzt wurden. | |
Allerdings führte eine verfehlte Politik der US-dominierten westlichen | |
Allianz dazu, dass die Bonner Agenda nicht umgesetzt wurde. Mit den | |
Warlords installierte die Allianz antidemokratische Eliten an | |
Schlüsselstellen des neuen politischen Systems, obwohl viele von ihren | |
massive Kriegsverbrechen verübt hatten. Der Westen hat nicht nur keine | |
Demokratie nach Afghanistan „exportiert“, sondern mit den Warlords – und | |
dem Bush’schen „Krieg gegen den Terror“ – den Gewaltvirus wieder | |
eingepflanzt. | |
Damit wurde den Afghanen die Hoffnung auf eine tatsächliche (nämlich | |
selbstbestimmte) demokratische Zukunft erst einmal verbaut. Trotzdem | |
spricht die Bundesregierung in ihrem letzten Fortschrittsbericht zu | |
Afghanistan davon, dass die internationale Truppenpräsenz den „Aufbau eines | |
funktionierenden demokratischen Staatswesens ermöglicht“ habe. | |
## Feuerkraft gefragt | |
Unsere Regierungen verwenden den Begriff „Warlords“ nicht mehr und nennen | |
sie im offiziellen Sprachgebrauch neuerdings stattdessen euphemistisch | |
„local power brokers“. Auch dass sie sie zu Repräsentanten der jeweiligen | |
ethnischen Gruppen erklären, suggeriert lokale Verankerung und Legitimität. | |
Doch haben die Warlords und ihre Milizen so wie die Sowjets vor ihnen und | |
später die Taliban in Wirklichkeit die bis dahin akzeptierten | |
traditionellen Eliten, die in ihren jeweiligen lokalen Gemeinschaften auf | |
Konsensbasis Konflikte regulierten, erst gewaltsam ausgeschaltet. | |
Die Macht der Warlords beruht heute einzig und allein darauf, dass in der | |
Welt der neuen, kleinen, nicht zwischenstaatlichen und asymmetrischen | |
Kriege ihre Feuerkraft gefragt ist, vor allem, wenn sie mit der Nato | |
verbündet sind. Und darauf, dass in einem auch juristisch fragilen Umfeld | |
niemand mehr wagt, sich gegen sie zu stellen. In Ländern wie Afghanistan | |
oder auch Syrien mangelt es aufgrund der über Jahrzehnte anhaltenden | |
Bürgerkriege oder Gewaltregime ja gerade an tragfähigen | |
zivilgesellschaftlichen Strukturen, die eine Alternative zu den | |
Gewaltakteuren bieten könnten. | |
## Politik von vorgestern | |
In ihren neuen Leitlinien, die die Lehren aus Afghanistan ziehen sollen, | |
ignoriert die Bundesregierung also, dass die dort herrschende Instabilität | |
vor allem da herrührt, dass es zu wenig und nicht dass es zu viel | |
Demokratie gibt. Mit dem Gerede vom „Schadensfall“ klammert sie die eigene | |
Mitverantwortung dafür aus. Staaten wie Afghanistan sind ohne Zweifel | |
fragil und mögen sogar vom Scheitern bedroht sein, aber oft geht dem | |
„failed state“ „failed aid“, also gescheiterte Hilfe, voraus. | |
So zieht sich die Bundesregierung lieber auf die populistische Auffassung | |
zurück, Länder wie Afghanistan seien für die Demokratie nicht reif und man | |
müsse sich deshalb mit vordemokratischen Systemen abfinden. Das kann | |
letztlich zum Freibrief für neue Mubaraks, Musharrafs und Karimows werden. | |
Nach dem Arabischen Frühling ist das einfach nur Politik von vorgestern. | |
Eine richtige Schlussfolgerung wäre es, nicht auf weniger, sondern auf mehr | |
Demokratie zu setzen. Die in dem Papier erwähnten „agents of change“ müss… | |
gefördert und geschützt werden; also jene, die wie – theoretisch – auch w… | |
eine gerechte Entwicklung, Demokratie und Menschenrechte für universelle | |
Werte und nicht (wie ein enger Karsai-Berater jüngst sagte) für „leeres | |
Gerede“ halten. | |
Deshalb brauchen Länder wie Afghanistan oder Syrien, wo infolge von | |
Bürgerkriegen extrem polarisierte Kräftekonstellationen entstehen, mehr | |
Pluralismus. Demokratieförderung kann dazu beitragen, dass dieser entsteht | |
und zwischen den bewaffneten Fraktionen stehende Kräfte nicht plattgemacht | |
werden. Das muss man allerdings auch wollen. | |
27 Sep 2012 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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