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# taz.de -- Wintersport-Tourismus im Harz: „Das Ganze ist extrem deprimierend…
> Mit massiver Kunstschneeproduktion will der Harz den alpinen Skizirkus
> anlocken. Eine Hydrologin warnt vor üblen Folgen für Wasser, Boden, Luft
> und Tiere.
Bild: Ein Trauerspiel: Schneekanonen, hier in den Berner Alpen.
taz: Frau de Jong, was haben Sie gegen Ski-Paradiese?
Carmen de Jong: Nichts. Ich habe nur etwas dagegen, was man heute darunter
versteht, nämlich einen immensen Aufwand und garantierte Schneesicherheit
bei egal welcher Temperatur und unabhängig vom Geländeprofil: Selbst auf
der Insel Bornholm hat man jetzt gemeint, ein Skigebiet einrichten zu
müssen.
Der Harz hat aber Wintersport-Tradition …
Da muss man schon unterscheiden: Der Harz war immer ein bevorzugtes
Langlaufgebiet, mit vielen Kilometern Loipen. Für alpin ist der Harz
ziemlich reizlos.
Das genau soll sich doch jetzt am Wurmberg ändern!
Mit 15 Kilometern neuer Piste? Das ist kaum wahrscheinlich. Zumal im Harz,
auch was konkret den Wurmberg angeht, Klima und Topografie dem Projekt
entgegenstehen.
Inwiefern?
Erst mal ist er zu niedrig: Die geplanten Pisten liegen unter 900
Höhenmetern – das ist hoch riskant, denn seit den 1950er-Jahren sinken alle
einschlägigen Parameter: die Schneehöhe, die Schneemächtigkeit, die
Schneedauer ...
Kein Problem, sagen [1][die Betreiber]. Deren Gutachten verspricht eine
120-Tage-Saison …
… das ist mehr als unwahrscheinlich: Wer sich die klimatologischen
Datenreihen anschaut, erkennt sofort, dass es unmöglich ist, auf 120 Tage
zu kommen.
Selbst mit Kunstschnee?
Das ist ja genau der Punkt: Die Schneekanonen werden immer so als
Wunderlösung verkauft, als Anpassungsstrategie an den Klimawandel.
Sind sie aber nicht?
Nein. Sie betreiben diesen enormen technischen und finanziellen Aufwand,
können eine Saison durch Kunstschnee aber nur um maximal vier Wochen
verlängern: Beim Wurmberg kommen Sie damit auf eine Durchschnitts-Saison
von vielleicht 90 Tagen.
Woran liegt das?
Weil die Kunstschneeproduktion von einer Menge Faktoren abhängig ist. Zum
Beispiel bräuchten Sie ein arides Klima, also eine geringe
Luftfeuchtigkeit, auf jeden Fall unter 50 Prozent, ideal für Kunstschnee
sind Werte um 30 Prozent. Im Harz liegen sie fast nie unter 60 Prozent.
Das bedeutet?
Sie müssen sich Zeitfenster mit extrem niedrigen Temperaturen suchen, um
dort überhaupt produzieren zu können. Nur: Mit dem Klimawandel wird es
natürlich immer unwahrscheinlicher, solche Zeitfenster überhaupt zu finden.
Der nächste Faktor sind die hohen Windgeschwindigkeiten: Die sind im Harz
ja sogar oft so hoch, dass die Lifte nicht betrieben werden können. Für den
Kunstschnee sind sie Gift: Der verweht und fällt nicht auf die Pisten.
Liegt das an der besonderen Struktur der Kunstschneeflocken?
Der bildet doch keine Flocken! Im Grunde ist deshalb schon der Begriff
Kunstschnee falsch, das ist ein Euphemismus, der noch immer weiter
verschönert wird – gerade hier in Frankreich treibt das irre Blüten, da ist
oft von der Neige de culture die Rede, also von Kulturschnee statt von
künstlichem Schnee oder Kunstschnee.
So ähnlich wie Kulturperlen …
Ja, und mittlerweile sprechen die ersten sogar schon von einer Culture de
neige, also einer Schneekultur.
Klingt ja herrlich!
Nicht wahr? Das ist natürlich ein reines Ablenkungsmanöver. Denn
tatsächlich erzeugen Schneilanzen keine Flocken, sondern eine Art Körner,
ganz ohne kristalline, dendritische Struktur. Das fühlt sich ganz anders
an: Sie kennen sicher dieses wundervolle Puderschneegefühl …
… klar!
In den USA spricht man gerne von Champagne-Powder-Snow. Mit
Kunstschnee-Körnern gibt es das nicht. Die sind viel härter, viel dichter
und undurchlässiger als echter Schnee. Die werden zerquetscht,
zusammengedrückt, gebrochen ...
Auf mikroskopischen Bilder erinnern sie eher an bestimmte Stäube …
Ja, das trifft es ziemlich genau. Eine normale Schneeflocke ist etwa
zehnmal so groß wie eines dieser Körner. Die werden Hunderte Meter weit in
der Atmosphäre transportiert – und sind, nach dem was wir beobachtet haben,
wahrscheinlich zu klein, um als Kondenskerne zu fungieren: Das heißt, sie
verhindern, dass sich auf natürlichem Weg Schnee oder Regen bildet.
Die Frage ist aber doch: Was ist daran so schlimm? Wenn hier viel Geld in
ein eher sinnarmes Projekt gesteckt wird, okay, ärgerlich …
Also ich finde es schon haarsträubend, wenn man solche Fehlinvestitionen
mit öffentlichen Geldern subventioniert, ob nun mit Millionen von der
Kommune und aus dem EU-Fonds für Regionalentwicklung, wie im Harz, oder ob
einige 100.000 Euro aus dem EU-Strukturfonds fließen, damit auf Bornholm
ein paar Hundert Leute Ski fahren können. Da wird einfach Geld verteilt,
ohne auf die Unterhaltskosten zu schauen, geschweige denn auf die Folgen
für die Umwelt.
Wieso, das Zeug schmilzt doch, auch wenn es Kunstschnee ist und unangenehm.
Und für die Bäume wird doch an anderer Stelle aufgeforstet?
Das Fällen der alten Baumbestände würde ich nicht bagatellisieren. Aber es
stimmt: Schön wär’s, wenn es damit erledigt wäre.
Ist es aber nicht?
Bei Weitem nicht! Die Kunstschneeproduktion hat starke Auswirkungen auf die
Böden, auf die Meteorologie, auf die Vegetation, die Tierwelt, die Erosion
und den Wasserhaushalt – und je mehr Schneekanonen oder Lanzen sie haben,
desto gravierender sind sie.
Gut, im Harz, das ist doch so ein kleines Gebiet.
Die planen, da fast 200 Schneilanzen aufzustellen! Allein am Wurmberg
sollen es 120 sein, und dann noch mal 70 am Winterberg, in fünf Kilometer
Entfernung! Für nicht einmal 20 Kilometer Piste! Das ist eine unerhörte
Dichte: Die megagroßen Skigebiete in den Alpen, Val de Torrence etwa, die
haben für Hunderte von Pisten-Kilometern höchstens 500 Schneekanonen – was
ja katastrophal genug ist.
Sie übertreiben!
Keineswegs. Nach zehn Jahren Beschneiung haben sie oft schon irreversible
Veränderungen in den Gebieten. Das bekommt Otto-Normal-Skifahrer nicht mit,
das ist auch eine hoch komplexe Infrastruktur, die dahinter steckt. Die
lässt sich auch nur mit interdisziplinären Ansätzen richtig fassen.
Aber vielleicht könnten Sie versuchen, es zu erklären?
Vereinfacht lässt sich die gesamte Kunstschnee- oder Ski-Industrie als eine
Wasserindustrie darstellen – die fatalerweise kein Wassermanagement
betreibt. Kunstschnee ist nichts anderes als Wasser.
Schnee ist Wasser – klar.
Sagen Sie jetzt. Aber einem normalen Skifahrer ist das meist nicht bewusst.
Vor allem hat er keine Ahnung, welche Unmengen von Wasser das benötigt.
Wie viel benötigt man denn so pro Kubikmeter Kunstschnee?
Vorsicht, das wird eine Milchmädchenrechnung: In der Produktion ist das
Verhältnis 1 zu 2, also ein halber Kubikmeter Wasser pro Kubikmeter Schnee.
Aber es reicht ja nicht, einmal im Spätherbst die Schneekanonen anzuwerfen.
Sie müssen ja nachbeschneien, oft vier-, fünfmal pro Saison, je intensiver
die Piste genutzt wird, desto häufiger – weil der Schnee natürlich verteilt
wird, zur Seite geschoben, er verweht und er schmilzt schneller, weil es in
einem Kunstschnee-Korn deutlich wärmer ist als in einer Schneeflocke.
Macht also zusammen?
In der Saison kommen Sie auf mindestens 4.700 Kubikmeter Wasser pro
beschneitem Hektar. Wenn Sie das mit einem Hektar Mais vergleichen ...
... Silomais?
Nein, schon dem wasserbedürftigeren Zuckermais. Der hat einen Verbrauch von
hochgerechnet 1.700 Kubik pro Hektar im Jahr, also deutlich weniger als die
Hälfte.
Und die Saison ist ja kürzer als ein Pflanzjahr …
Ich finde den Vergleich auch deshalb sehr gut, weil es ja wirklich das
Gleiche ist: Die Skipiste wird bewässert. Wenn die Schneilanzen bei zu
hohen Temperaturen in Betrieb gehen, ist das eindrucksvoll zu sehen: Das
sieht dann aus wie eine Riesenreihe von Duschen, den ganzen Berghang hoch
...
Aber das Wasser ist ja im Frühjahr wieder da.
Das ist nun wirklich völlig falsch. Zum Einen hat der ganze Prozess einen
Wasserverlust von etwa 30 Prozent, zum Anderen ist das Schmelzwasser von
Kunstschnee verunreinigt: Das kann zu Problemen bei der Wasserqualität
führen.
Wieso?
Das ist für viele schwer zu verstehen: Die meinen: Ach ja, Kunstschnee ist
schön weiß, sauberes Wasser kommt da raus aus den Schneekanonen – und wir
haben unser Produkt. Aber dem ist nicht so. Und dann kommt das Wasser ja
aus einem Rückhaltebecken.
Ich habe gehört, das soll im Harz auch als Badesee genutzt werden.
Ja, das behaupten die. Aber das ist großer Quatsch: Ich kenne unzählige
dieser Reservoire, überall stehen Schilder dran: Baignade interdite, Pêche
interdite, Baden, Fischen, alles ist da verboten. Muss es auch, denn damit
nicht noch mehr verdunstet, wird die Oberfläche klein gehalten. Das sind
also meist trapezförmige Becken, in Beton und Stein gefasst, in den Alpen
bis zu 20, im Harz wahrscheinlich um die zehn Meter tief – und es geht
sehr, sehr steil hinein. Für Kinder und Nichtschwimmer sind die strikt
tabu, eigentlich gehören die eingezäunt, oft sind sie es auch, im Winter
eigentlich immer: Die müssen ja künstlich offen gehalten werden.
Wieso?
Wenn die einfrören, dann ließe sich ja kein Wasser mehr abzapfen, um
Kunstschnee zu produzieren. Wenn da ein Skifahrer reinsausen würde …! Und
dann reden die da im Harz von „einer Wasserwelt“, die für den
Sommertourismus genutzt werden könnte. Das ganze ist extrem deprimierend.
Aber wieso ist das schlecht für die Wasserqualität?
Wenn Wasser so lange in einem Becken gespeichert wird, kann sich doch so
ziemlich alles darin bilden, Keime, Algen, da fallen Tiere rein, die
verwesen. Dann kommt es durch die Rohre, in denen monatelang Wasserreste
gestanden haben – den ganzen Sommer über – und sich Biofilme bilden. Das
ist der Stoff, aus dem Kunstschnee produziert wird, der dann während der
Saison zusätzlich verunreinigt wird.
Wie normaler Schnee?
Ja, was das Skiwachs angeht. Allerdings muss Kunstschnee stärker bearbeitet
werden, die Pistenfahrzeuge sind auf beschneiten Pisten jede Nacht
unterwegs und verdichten. Und das alles kommt dann mit dem Schmelzwasser
runter, in die Bachläufe …
… im Trinkwasserschutzgebiet …
…ja, und im Laichgebiet eines geschützten Fischs, der Groppe. Die lebt in
der Bode, der Flusslauf fällt daher unter die
Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU.
Im Harz glauben aber sehr viele an einen Erfolg ihres Skiparadieses.
Aus wissenschaftlicher Sicht verfolgen die Investoren aber keine
nachhaltige Strategie. Und was noch wichtiger ist: Sie vernichten
ökoproduktive, also wertvolle Gebiete.
28 Sep 2012
## LINKS
[1] http://wwww.wurmberg-seilbahn.de
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Niedersachsen
Langlauf
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