| # taz.de -- Kolumne Macht: Eine Frage des Filterns | |
| > Die Forderung von Innenminister Hans-Peter Friedrich nach einem Ende der | |
| > Anonymität im Internet ist nicht nur naiv. Sie ist herzlos. | |
| Die Nachricht vom Tod des Schauspielers Dirk Bach war gerade zwei Stunden | |
| alt, da fanden sich im Netz die erwartbaren Beleidigungen: „Wenn alle diese | |
| doof-tv affen verrecken, dann würde es mich nicht im geringsten jucken!!!“ | |
| Und: „Wenn so ein Volksverblöder abtritt, dann heult die Meute!!“ Neun | |
| Wörter, ein Komma, zwei Ausrufezeichen – schon ist nicht nur der Tote | |
| geschmäht, sondern zugleich alle, die seinen Tod bedauern. Offenbar hat das | |
| ein sprachbegabter Troll geschrieben. Mächtig stolz wird er auf sich | |
| gewesen sein. | |
| Ach, soll er! Man kann Leute nicht daran hindern, das Netz zu nutzen, um | |
| anonym Frust, Wut und sogar Hass loszuwerden und zu verbreiten. Vielleicht | |
| sorgt dieses Ventil ja sogar dafür, dass irgendwo ein Obdachloser nicht | |
| erstochen, irgendwo ein Ausländer nicht verprügelt wird. Das wäre unflätige | |
| Beschimpfungen in obskuren Foren wert. | |
| In anderer Hinsicht ist die Anonymität des Internets sogar nachweislich | |
| legitim und hilfreich. Um ein Beispiel zu nennen: Selbsthilfegruppen. Viele | |
| würden niemals wagen, im Netz um Rat zu bitten, wenn sie sich nicht hinter | |
| einem Nickname verbergen dürften. Schon allein aus diesem Grund ist die | |
| Forderung von Innenminister Hans-Peter Friedrich nach einem generellen Ende | |
| der Anonymität im Internet nicht nur naiv, sondern sogar herzlos. | |
| Etwas aber ist die Forderung nicht: undemokratisch. Jedenfalls nicht in | |
| Deutschland. „Die Möglichkeit, sich anonym zu äußern, ist Voraussetzung | |
| dafür, dass es eine echte Meinungsfreiheit gibt“, behauptet Sebastian Nerz | |
| von der Piratenpartei. Der Satz widerlegt sich selbst. Man darf, wie das | |
| Beispiel von Herrn Nerz zeigt, nicht nur einen Minister angreifen, man darf | |
| sogar vollständigen Blödsinn äußern, ohne dass einem Schlimmeres | |
| widerfährt, als damit zitiert zu werden. Das kann allerdings peinlich genug | |
| sein. | |
| Wir leben nicht in Kambodscha zur Zeit von Pol Pot, ungeachtet aller Mängel | |
| des Systems. Regierungsgegner landen nicht im Gefängnis, und dieses | |
| Schicksal droht auch Kritikern von Journalisten und Fernsehkomödianten | |
| nicht. In einer Sachdiskussion hat Anonymität nichts mit Meinungsfreiheit | |
| zu tun, sondern lediglich mit der Freiheit, andere Leute ungestraft | |
| beleidigen zu dürfen. Das ist kein Grundrecht. Aber muss sich der Staat da | |
| überhaupt einmischen? Warum können Qualitätsmedien und Qualitätsblogs das | |
| nicht eigenständig regeln? | |
| Weil die Höhe der Klickzahlen über die Höhe der Werbeeinnahmen entscheidet. | |
| Ja, es ist wahr: Es kostet Zeit – also auch Geld – , eine Debatte zu | |
| moderieren. Noch mehr Zeit und Geld kostet es, anonyme Teilnehmer | |
| auszuschließen. | |
| Printmedien klagen über Bedeutungsverlust durch das Internet. Dann müssen | |
| sie eben etwas dafür tun, wichtig zu bleiben. Anonyme Debatten, in denen | |
| nach Herzenslust getrollt wird, sind uninteressant für Leute, die sachlich | |
| an einem Thema interessiert sind. Wenn man sich als Medium also von jeder | |
| x-beliebigen Website unterscheiden will, dann geht nur eines: filtern. | |
| Zuschriften ähnlich streng wie Inhalte von Artikeln. Jedenfalls wenn man | |
| glaubt, dass das eigene Publikum etwas Wichtiges zu sagen hat. | |
| Falls man Leserbriefseiten allerdings schon früher nur gedruckt hat, um | |
| Abonnenten glücklich zu machen, dann kann man Trollen getrost eine Heimat | |
| bieten. Man sollte sich dann nur nicht beschweren, dass das Internet einem | |
| die Existenzgrundlage raubt. | |
| 5 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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