# taz.de -- Kolumne Macht: Krawallmacher gewinnen nicht | |
> In Ägypten gibt es „Krawalle“. So berichten deutsche Medien. Wissen die | |
> eigentlich, was das Wort bedeutet? | |
Es ist wirklich nicht schlimm, wenn ihr die deutsche Sprache nicht | |
beherrscht, liebe Kinder, auch wenn ihr nicht wisst, welche Wörter | |
abwertend benutzt werden und welche nicht. Nicht einmal euren Verstand | |
müsst ihr gebrauchen. Ihr könnt trotzdem gute Menschen sein. Aber ihr | |
solltet dann, wenn irgend möglich, nicht ausgerechnet in | |
Nachrichtenredaktionen arbeiten wollen. Sonst wäre es möglich, dass euch | |
denkende Menschen alles Mögliche an den Hals wünschen. | |
Was geschieht derzeit in Ägypten? Sat.1, n-tv, Spiegel Online und viele | |
weitere Medien sind sich einig: Dort finden „Krawalle“ statt. Dieser | |
Ausdruck hat sich mittlerweile eingebürgert für die Proteste gegen den | |
islamistischen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi. | |
Der wäre vermutlich begeistert, würde er deutsche Nachrichten verfolgen. | |
„Krawalle“: das hätte er nicht besser formulieren können. | |
Liest die Meldungen eigentlich irgendjemand durch, bevor sie auf den Sender | |
oder ins Netz gehen? Und überlegen sich die Verantwortlichen, was sie | |
jeweils genau ausdrücken – und ob sie es ausdrücken wollen? | |
## Krawallmacher? Demonstranten? | |
Jetzt bitte keine etymologischen Spitzfindigkeiten. Oder vielleicht doch: | |
Das Grimm’sche Wörterbuch definiert den Krawall als „vorübergehenden | |
Aufruhr, bei dem der Strassenlärm die Hauptsache ist“. So also sehen die | |
Kollegen die Entwicklung in Ägypten. Rätselhaft bleibt allerdings, weshalb | |
sie von „Demonstranten“ sprechen. | |
Konsequent wäre es, diejenigen, die derzeit in Kairo und andernorts unter | |
großem persönlichen Einsatz auf die Straße gehen, als „Krawallmacher“ zu | |
bezeichnen. Dann wüsste das Publikum ganz genau, was von denen zu halten | |
ist, die verzweifelt versuchen, sich einer neuen Diktatur | |
entgegenzustemmen. | |
## Ausschreitungen! | |
Es ist wahr, dass es bei Straßenschlachten zu abscheulichen Gewaltakten | |
gekommen ist. In präzisem Nachrichtendeutsch heißt so etwas | |
„Ausschreitungen“. Womit nichts über das Anliegen derer gesagt ist, die | |
daran nicht beteiligt waren. | |
Man kennt so etwas auch von der Berichterstattung über | |
Massendemonstrationen der Vergangenheit in Deutschland. Reporter lauerten | |
auf den ersten Stein, der während einer Protestkundgebung gegen – | |
beispielsweise – die Atomkraft geworfen wurde. | |
## Schlampige Umgang mit Sprache ist verräterisch | |
Flog er, dann war in den Nachrichten von den vielen tausend friedlichen | |
Demonstranten nur noch beiläufig die Rede. Im Hinblick auf Ägypten ist der | |
schlampige Umgang mit Sprache verräterisch. Krawallmacher können nicht | |
gewinnen, nur ein bisschen die Ordnung stören. | |
Es rechnet ja auch kaum jemand im Westen ernsthaft damit, dass der Kampf | |
gegen Mohammed Mursi erfolgreich sein könnte. Außerdem ist die arabische | |
Welt bekanntlich sowieso „nicht reif“ für die Demokratie, war doch klar, | |
dass auf den kurzen Frühling ein langer islamistischer Winter folgen würde. | |
Oder? | |
Nein, das war überhaupt nicht klar. Fast gänzlich vergessen ist hierzulande | |
die Tatsache, wie knapp der Drittplatzierte bei den letzten ägyptischen | |
Präsidentschaftswahlen, der säkulare Oppositionelle Hamdeen Sabahi, dem | |
Zweitplatzierten unterlegen war. | |
## Das kleinere Übel | |
Viele, die ihn gerne an der Spitze des Staats gesehen hätten, haben ihn nur | |
deshalb nicht gewählt, weil sie ihm ohnehin keine Chancen eingeräumt | |
hatten. Sie entschieden sich seufzend für das kleinere der beiden Übel – | |
entweder den alten Mubarak-Freund Ahmed Schafik oder den Islamisten | |
Mohammed Mursi. Und die Stichwahl fand dann eben zwischen diesen beiden | |
statt. Hätten die Revolutionäre, die das alte Regime stürzten, mehr auf | |
ihre eigene Kraft vertraut: Ägypten hätte alle überheblichen, oft zynischen | |
Prophezeiungen widerlegt. | |
Die Aussichten, dass in Ägypten tatsächlich eine demokratische Verfassung | |
auf demokratischem Wege verabschiedet werden kann, stehen derzeit nicht | |
gut. Viele, wahrscheinlich zu viele Hindernisse liegen denen im Weg, die | |
derzeit dafür kämpfen – obwohl sie schon jetzt mit ihren Protesten eine | |
Stärke bewiesen haben, die ihnen kaum jemand zugetraut hatte. Und wovon | |
sprechen deutsche Nachrichtenredakteure? | |
Von „Krawallen“. Während führende westliche Politiker wohlfeile Appelle an | |
„beide Seiten“ richten. Man merkt ihnen an, dass sie denken, Mursi sei doch | |
der Schlechteste nicht: Er hat so schön im Gaza-Krieg vermittelt. | |
Ägyptens Demokraten stehen in ihrem Kampf ziemlich alleine. | |
7 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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