# taz.de -- Kolumne Macht: Ein Kandidat, ganz bei sich | |
> In der „Zeit“ gibt Sigmar Gabriel Einblicke in seine schwere Kindheit – | |
> und empfiehlt sich für die Zukunft. Zufall, so kurz vor der | |
> Niedersachsenwahl? | |
Bild: Hatte eine abscheuliche Kindheit: Sigmar Gabriel | |
Wird man durch Beobachtung des politischen Betriebs hellsichtig? Oder | |
zynisch? Das ist manchmal schwer zu unterscheiden. | |
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte eine abscheuliche Kindheit. | |
[1][Sein Vater, ein Altnazi, misshandelte ihn psychisch wie physisch über | |
Jahre hinweg.] Anrührend wird davon jetzt in der Zeit erzählt – in der | |
Absicht, dem Publikum einen nicht so sehr populären Spitzenpolitiker näher | |
zu bringen und manches in dessen gelegentlich sprunghaftem Wesen aus seiner | |
Biografie heraus zu erklären. | |
Das Ziel wird erreicht. Man empfindet Mitgefühl. Und fragt sich, ob es auf | |
die eigene Herzlosigkeit hindeutet, wenn man das Gefühl nicht loswird, dass | |
hier einer nicht nur von seiner Kindheit erzählt, sondern sich gerade für | |
höhere Aufgaben empfiehlt. Ausgerechnet jetzt. | |
## Eine Woche vor der Niedersachsenwahl | |
Natürlich würden Autor und Protagonist das bestreiten. In dem Artikel wird | |
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mehrere Begegnungen, verteilt über | |
Monate, stattgefunden haben, bevor das Porträt gedruckt wurde. Dann ist der | |
Erscheinungstermin gewiss reiner Zufall. Oder? Ein bisschen viel Zufall, | |
eine Woche vor der Niedersachsenwahl, die nun doch spannender wird als | |
lange von der SPD erhofft. Und gerade wo die Popularitätskurve von | |
Kanzlerkandidat Peer Steinbrück einen Tiefstand erreicht hat. Nach den | |
Erfahrungen der letzten Wochen muss man wohl sagen: einen vorläufigen | |
Tiefstand. | |
Mal sehen, was passiert, wenn es erst einmal ins Bewusstsein der | |
Öffentlichkeit gedrungen ist, dass Steinbrück im Aufsichtsrat von | |
ThyssenKrupp saß und dem Unternehmen offenbar politische Unterstützung für | |
eine kostengünstige Energieversorgung zugesagt hat. Besonders pikant: gegen | |
den Rüstungskonzern werden im Zusammenhang mit einem Stahlwerk in Brasilien | |
immer wieder schwere Vorwürfe wegen Umweltsünden und Verstößen gegen | |
Arbeits-und Menschenrechte erhoben. Für einen sozialdemokratischen Bewerber | |
um die Kanzlerschaft, der gerne mit den Grünen koalieren möchte, kann das | |
Thema noch ziemlich heikel werden. | |
## Staatsmännisches Lächeln | |
Und wenn Niedersachsen von der SPD nicht gewonnen wird? Dann wird es eng | |
für den Kandidaten. Sigmar Gabriel lächelt staatsmännisch auf der | |
Titelseite der Zeit. Wenn ich Steinbrück wäre, dann würde ich dieses Foto | |
sehr nachdenklich anschauen. Über einen langen Zeitraum hinweg hat die Zeit | |
mehr als jedes andere Medium für den ehemaligen Finanzminister als | |
Kanzlerkandidaten geworben. Aber schon der ehemalige Bundespräsident | |
Christian Wulff hat ja die Erfahrung machen müssen, dass auf die Loyalität | |
von Zeitungen kein Verlass ist. | |
Peer Steinbrück ist allerdings zur Untätigkeit verdammt. Falls er | |
angesichts des liebevollen Porträts seines Vorsitzenden ins Grübeln kommt, | |
dann muss er das mit sich selbst abmachen. Angesichts des ernsten Themas | |
einer zerstörten Kindheit würde es sich verbieten, aufkeimendes Misstrauen | |
zum Gegenstand offener Erörterungen in SPD-Zusammenkünften zu machen. | |
Obwohl in der Geschichte die Tatsache, dass Gabriel nun mit seinem | |
Privatleben an die Öffentlichkeit geht, auf eindrucksvolle Weise begründet | |
wird: „Vielleicht muss er eben erst ganz zu sich kommen, bevor er den | |
letzten Schritt gehen kann. Selbst antreten.“ Ach ja. Wann er wohl „ganz zu | |
sich“ gekommen sein wird? Ob das Zeit-Porträt dabei hilft? Man wird es | |
erfahren. Vielleicht schon bald. | |
11 Jan 2013 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
Bettina Gaus | |
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