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# taz.de -- Alkoholismus und Fußball: Schnäpse für den Treter
> In einer Lebensbeichte berichtet der ehemalige Bundesliga-Profi Uli
> Borowka von den Zwängen seiner Sucht. Es entstand ein Medienhype.
Bild: „Mit mir können viele nichts anfangen“: Uli Borowka 2010 beim „Spi…
Der Name Borowka ist einer unter vielen. Suchend gleiten die Augen die
Klingelschilder ab, bis sie auf das des sechsfachen Fußballnationalspielers
treffen. Ulrich Borowka wohnt ebenerdig mit Frau und Kind in einem
passablen Mehrfamilienhaus im Osten Berlins. Europapokalsieger, zweimal
Deutscher Meister und Pokalsieger ist er mit Werder Bremen während seiner
Profikarriere geworden. Und Alkoholiker.
Im Jahre 2000 versuchte er sich das Leben zu nehmen, kurz darauf
absolvierte er erfolgreich eine Entziehungskur. Seitdem ist er trocken.
Borowka war ganz oben und ganz unten, nun scheint er in der Mitte der
Gesellschaft angekommen zu sein. Mit Blick auf die letzten Jahre wähnt er
sich eher im Abseits: „Mit mir können viele nichts anfangen. Ich werde
ausgegrenzt. Ich muss immer wieder erklären, warum ich keinen Alkohol
trinke.“
Der frühere Verteidiger geht offensiv mit seiner Vergangenheit um. An dem
schönen Spätsommertag bietet sich sein kleines Gärtchen hinterm Haus als
Gesprächsort an. Die mögliche Mithörerschaft von oben stört den 50-Jährigen
nicht. Er strotzt geradezu vor Vitalität und guter Laune. Es hat sich
einiges getan. „Da ist eine wahnsinnige Vorfreude“, erklärt er. Gut zehn
Tage ist das nun her.
## Der Medienhype
Inzwischen ist all das passiert, was Borowka kaum erwarten konnte. Die
Bild, die auflagenstärkste Zeitung des Landes, hat Auszüge aus seinem Buch
„Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“
vorabgedruckt. Er war bei Reinhold Beckmann und anderen Talksendungen zu
Gast. Seit heute ist sein Buch im freien Handel. Borowka sagt: „Vielleicht
können wir eine Diskussion anschieben.“
Die Sorge, dass ihn der Medienhype überfordern könnte, hat Borowka nicht:
„Das ist ja eine Sache, die ich jetzt steuern kann.“ Zu schaffen gemacht
habe ihm hingegen die Arbeit an dem Buch, die er „eine Abrechnung mit mir
selbst“ nennt. Fast ein Jahr lang habe er in beinahe wöchentlichen
Sitzungen dem Journalisten Alex Raack sein Leben erzählt. Wie er sich in
Gladbach als Bundesligaprofi etablierte, indem er sich das Image des
eisenharten Verteidigers zulegte, und früh dem auch selbst erzeugten Druck
nur standhalten konnte, weil er beim Training schon an die Biere dachte,
die er sich danach hinter die Binde kippen würde.
Wie er bei Werder Bremen immer exzessiver trank, die Kontrolle über sich
verlor, einmal den Kopf seiner Frau an die Wand schlug und später ein
weiteres Mal vor der Wohnung seiner Exfrau und der beiden gemeinsamen
Kinder Krawall machte.
Borowka sagt im Rückblick auf die Gesprächsstunden für das Buch: „Das war
immer ein Auf und ein Ab. Als ich das fertige Manuskript gelesen habe, bin
ich zwei Wochen in mich zusammengesackt.“ Aufschreiben lassen hat er seine
Geschichte aber, weil ihn die Reaktionen überwältigten, die er vor gut
einem Jahr nach einem Interview mit Raack für das Magazin 11 Freunde
erhielt. Viele Leser bedankten sich für seine offenen Worte. Manch einer
outete sich selbst als Alkoholiker und sah sich ermutigt, selbst eine
Therapie anzufangen.
In den letzten Monaten erst, berichtet Borowka, hätten sich bei ihm noch
aktive Fußballprofis und andere Leistungssportler wegen ihrer
Alkoholprobleme gemeldet. „Ich bin doch der Einzige, den sie anrufen
können“, glaubt Borowka. Wo könnten sie denn anrufen? Beim Verein
vielleicht? Beim DFB? „Mein lieber Herr Gesangsverein“, stöhnt Borowka auf.
Mit seinen Bemühungen, etwas in Gang zu setzen, sei er beim Deutschen
Fußball-Bund auf verschlossene Türen gestoßen. Jetzt will er gemeinsam mit
Freunden eine Anlaufstelle für alkoholabhängige Profis und Jugendliche
schaffen.
Die Berührungsängste beim Thema Alkoholismus sind generell groß. Bei jeder
B-Jugend-Meisterschaft würde der Präsident doch ein paar Kästen Bier
rausrücken, sagt Borowka. Sein Buch dokumentiert eindrucksvoll, dass auch
im Hochleistungsbereich mächtig gebechert wurde – und wie die Anrufe bei
Borowka bezeugen, trinken Profis immer noch gerne.
Aus seinen Gladbacher Zeiten beschreibt Borowka, wie die Profis von Real
Madrid im Bernabeu-Stadion zu Abschreckungszwecken die Gästespieler vor der
Partie anbrüllten und ihre Rotwein-Fahnen dabei zu riechen waren. Wie das
Team der Borussia im Trainingslager eine Nacht durchzechte und am Folgetag
hochalkoholisiert ein vorgezogenes Freundschaftsspiel bestreiten musste.
Und er berichtet vom traditionellen Begrüßungsakt bei Werder Bremen, das er
mit Karl-Heinz Riedle durchstehen musste. Thomas Schaaf machte mit einem
Schnapstablett den Anfang. Die anderen aus dem Kader folgten. „Sagenhafte
25 Schnäpse mussten wir kippen, bis das erste Ritual überstanden war.“
## Die Anekdoten
Die kollektiven Besäufnisse haben im Buch eher beiläufigen Charakter. Auch
die persönliche Krankengeschichte von Borowka nimmt – anders als es der
Titel vermuten lässt – nicht so einen großen Raum ein. Wie jede
Fußballerbiografie lebt auch Borowkas Erzählstoff von legendären Spielen,
Spielzeiten und Spielern. „Kumpel“ Lothar Matthäus und Maradona werden
eigene Kapitel gewidmet.
Anekdoten wie die von der röhrenden, schlafraubenden Müslimaschine von
Ewald Lienen werden zum Besten gegeben. Die Krankheit nistet sich
unterdessen unterschwellig ein. Auch im Buch. Genau das verleiht dem Werk
aber eine große Authentizität.
Alkoholkrank wird man nicht von einem auf den anderen Tag. Auch bei Borowka
begünstigt sein Umfeld den schleichenden Prozess des Abhängigwerdens, weil
die Scheu vor der Konfrontation mit der Wahrheit zu groß ist. Nur der
inzwischen verstorbene Werder-Präsident und Arzt Franz Böhmert habe einmal
einen Versuch unternommen, ihm seine Lage bewusst zu machen, erzählt
Borowka.
Nach außen hin funktionierte er ja. Fast bis zum Ende seiner Karriere
konnte er, der mit Stolz seinen Spitznamen „die Axt“ trug, die Fassade,
„der Härteste und Brutalste“ zu sein, aufrechterhalten.
Erst in der Entziehungskur lernt er mühselig, Gefühle zu zeigen. Er muss
Tagebuch führen. Die Einträge aus der Klinik sind in seine Biografie
eingewoben. Der „Eisenfuß“ muss auch töpfern. So formt er den DFB-Pokal
nach. Borowka offenbart viel über sich. Mit seiner direkten, bisweilen
derben Sprache, die Alex Raack dankenswerterweise unverfälscht
wiedergegeben hat, macht er deutlich, welch weiten Weg er zurücklegen
musste.
„In England“, schwärmt Borowka, „geht man ganz anders mit solchen
Lebensschicksalen um.“ Als der frühere englische Nationalspieler Tony
Adams, den er sein Pendant auf der Insel nennt, nach einer Entziehungskur
aufs Spielfeld zurückgekehrt sei, wären 50.000 Menschen aufgestanden. Über
zehn Minuten hätte es Standing Ovations gegeben.
Eine große Sehnsucht nach Anerkennung klingt da durch, wobei Borowka das
bestreitet. Sein Lebensbericht wirft allemal spannende Fragen zum
scheinheiligen und unbeholfenen Umgang mit Alkohol im Fußballgeschäft auf.
Mit süffisantem Lächeln erinnert er an die vom Deutschen Fußball-Bund
unterstützte Kampagne „Keine Macht den Drogen“. Im Sponsorenpool zählt
indes eine Brauerei zu den Hauptstützen des DFB.
7 Oct 2012
## AUTOREN
Johannes Kopp
Johannes Kopp
## TAGS
Alkoholismus
Biografie
Fußball
Monopol
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