# taz.de -- Migration: Campen gegen Lagerhaltung | |
> Nach 600 Kilometern Fußmarsch kommen die protestierenden Flüchtlinge im | |
> Kreuzberger Camp an. Hier wollen sie erst mal bleiben. Samstag wird | |
> erneut demonstriert. | |
Bild: "Wir sind Menschen, wir müssen unsere Rechte bekommen". | |
„Kein Mensch ist illegal!“, schallt es über den Kreuzberger Oranienplatz. | |
Unter den Bäumen stehen Menschen zwischen den Zelten, essen Nudeln mit | |
Hackfleisch oder veganes Risotto. Einige klatschen den Rhythmus der Parolen | |
mit. Eine Gruppe posiert für Fernsehkameras. Die Flüchtlinge aus ganz | |
Deutschland sind vor wenigen Minuten in Protestcamp angekommen. Nikmal | |
Dostakhel aus Lübeck ist einer von ihnen. „Das Camp ist gut für uns, wir | |
sind jetzt viele“, sagt der 18-jährige Afghane. „Wir sind Menschen, wir | |
müssen unsere Rechte bekommen.“ | |
150 Personen hatten sich am Samstag auf dem Oranienplatz versammelt, um die | |
150 Ankömmlinge willkommen zu heißen. 35 der Flüchtlinge haben 600 | |
Kilometer Fußmarsch hinter sich. Am 8. September waren sie im bayerischen | |
Würzburg losgelaufen. Eine zweite Gruppe war mit dem Bus von Würzburg durch | |
das Ruhrgebiet und Norddeutschland gefahren. In Potsdam trafen sie sich | |
wieder und liefen gemeinsam nach Berlin. | |
Zweck der Karawanen war der Protest gegen die Gesetze, die in Deutschland | |
vielen Asylsuchenden die Möglichkeit auf ein menschenwürdiges Leben | |
verstellen. So reduziert die Residenzpflicht ihren Bewegungsradius in | |
vielen Bundesländern auf ein Minimum, meist den Landkreis. Das generelle | |
Arbeitsverbot steht der finanziellen Unabhängigkeit im Weg. Zudem müssen | |
die Flüchtlinge oft jahrelang auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag | |
warten. Währenddessen können sie wenig anderes tun, als im Lager | |
herumzuhängen. Gegen dieses Gesamtpaket der Ausgrenzung richten sich die | |
Flüchtlinge im Kreuzberger Camp. | |
Die aktuelle Protestwelle nahm ihren Anfang im März in Würzburg nach der | |
Selbsttötung eines Flüchtlings. In mehreren Städten entstanden in der Folge | |
Protestcamps, Anfang August errichteten Flüchtlinge aus Berlin auf dem | |
Kreuzberger Heinrichplatz ein Zelt. Bis vergangene Woche war dort nicht | |
viel los. Nun musste das Camp trotzdem an den Oranienplatz umziehen, denn | |
das Lager war zum Ziel der Karawane aus Würzburg geworden. | |
Im Camp stehen fünf große Schlafzelte bereit, dazu eine Küche, Toiletten | |
und ein großes Versammlungszelt. Am Tag der Ankunft verbreitet sich rasch | |
ausgelassene Atmosphäre. Es gibt Essen, einige gehen bei AnwohnerInnen | |
duschen, nach 600 Kilometern Wanderschaft ein Luxus. Es bieten sich Szenen | |
des Wiedersehens, Schilder hießen die Ankömmlinge „Willkommen in Berlin“. | |
Für den Abend sind Konzerte angekündigt. | |
Als alle satt sind, ruft eine Frau durch ein Megafon zum Plenum – nur für | |
Flüchtlinge. Ihnen ist wichtig, dass die politische Agenda von ihnen selbst | |
kommt und dass die anderen Leute sie im Hintergrund unterstützen durch | |
Kochen, Abwaschen, Organisatorisches. Zum Plenum versammeln sich etwa 60 | |
Personen. Kennenlernen steht auf dem Programm, denn den beiden Gruppen | |
haben sich unterwegs weitere Flüchtlinge angeschlossen. Eine dritte Gruppe | |
hat in Berlin das Camp organisiert. | |
Mit der Ankunft der Karawanen sei eine wichtige Etappe der Proteste | |
beendet, sagt Houmer Hedayatzadeh, ein 23-jähriger iranischer Flüchtling | |
aus Regensburg. Nun müssten sie diskutieren, wie es weitergeht: „Die | |
Fußgruppe hat Vorschläge, die Busgruppe und die aus Berlin auch. Über die | |
weiteren Schritte werden wir in den nächsten zwei bis drei Tagen | |
entscheiden.“ | |
Dass es weitergeht, ist bereits klar. Am Samstag ist eine Demonstration vom | |
Oranienplatz zum Bundestag geplant. Und in fast jedem Gespräch mit den | |
Flüchtlingen auf dem Oranienplatz fällt ein sehr entschlossener Satz: „Wir | |
bleiben, bis die Forderungen erfüllt sind.“ | |
7 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Nikolai Schreiter | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
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