Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Krise der Geheimdienste: Behörden gehen die V-Leute aus
> Weil mehrere V-Leute aufgeflogen sind, befürchten Geheimdienstkreise eine
> Sicherheitslücke. Eine Mitschuld dafür trügen die
> NSU-Untersuchungsausschüsse.
Bild: Akten! Akten! Akten! Und immer an den V-Mann denken.
BERLIN taz | Selten haben die Nerven in den Innenministerien und
Sicherheitsbehörden so blank gelegen wie in diesen Tagen. Hintergrund ist
das Auffliegen mehrerer bezahlter Spitzel des Staates in der rechtsextremen
Szene („V-Leute“). In Geheimdienstkreisen wird nun berichtet, dass durch
diese Enthüllungen auch andere Quellen nicht mehr sprudelten – und es
momentan aussichtslos sei, neue Informanten anzuwerben.
„Wenn uns diese Quellen wegbrechen, tappen wir im Dunkeln“, befürchtet man.
Allein durch technische Mittel wie das Abhören von Telefonen oder das
Observieren von Verdächtigen bekomme man aber kein Gesamtbild drohender
Gefahren. In Geheimdienstkreisen befürchtet man eine Sicherheitslücke.
Einer der in den vergangenen Wochen aufgeflogenen V-Männer ist Thomas R.
alias „Corelli“. Der Neonazi aus Sachsen-Anhalt spähte mindestens zehn
Jahre lang für das Bundesamt für Verfassungsschutz die rechtsextreme Szene
aus. Weil sein Name auf einer Adressliste des NSU-Terroristen Uwe Mundlos
steht, rechnen ihn die Ermittler inzwischen aber auch zu den [1][100
„relevanten Personen“ im Umfeld des Zwickauer Trios]. In einem weiteren
Fall sind zumindest Namensbestandteile eines V-Manns öffentlich geworden.
Mindestens indirekt verantwortlich gemacht für das Auffliegen der V-Leute
werden in Geheimdienstkreisen die NSU-Untersuchungsausschüsse in Berlin,
Erfurt, Dresden und München. Es sei ein „unhaltbarer Zustand“, was momentan
alles nach Außen durchsickere, hieß es dort.
## Streit im Ausschuss
Schon vor einigen Wochen kam es in einer nicht-öffentlichen Sitzung zu
einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem für den Verfassungsschutz
zuständigen Beamten im Bundesinnenministerium und den
NSU-Ausschussmitgliedern des Bundestags. „Ich finde es unglaublich, in
welchem Umfang geheim eingestufte Unterlagen, gleich von wem, ihren Weg in
die Öffentlichkeit finden“, wetterte der Ministeriumsmann laut Protokoll.
Er würde sich wünschen, das mal einer der Durchstecher erwischt werde, und
könne als ehemaliger Staatsanwalt nur raten: „Dann bitte aber mal Feuer
frei!“
Die Abgeordneten im Ausschuss wunderten sich. In einem konkreten Fall habe
die Information gar nicht aus dem Kreis des Ausschusses kommen können,
entgegnete dessen Vorsitzender Sebastian Edathy (SPD) – denn die
Abgeordneten hätten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die Akten noch gar
nicht gehabt.
In den letzten Tagen hat nun eine brisante Aktenlieferung des Thüringer
Innenministeriums die Angst unter Geheimdienstlern aber noch weiter
verstärkt. Das Land hatte, um größtmögliche Transparenz bemüht, 778 Ordner
mit Akten an die Geheimschutzstelle des Bundestags geschickt, weitere rund
tausend Ordner wurden angekündigt. Beinahe alles, was das Land seit der
Wende zum Rechtsextremismus sammelte, wird nach Berlin geliefert – und das
ungeschwärzt.
## Wut auf Thüringen
Weil dadurch angeblich weitere V-Leute anderer Länder und des Bundes sowie
deren V-Mann-Führer bekannt werden könnten, ist man außerhalb Thüringens
teils massiv verärgert. Unter hochrangigen Sicherheitsbeamten wird nun
sogar darüber nachgedacht, das Land vom Informationsaustausch der
Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern („NADIS“) abzukoppeln. Auch v…
möglichen Schadensersatzforderungen ist die Rede.
Thüringen selbst hatte sein Vorgehen in den vergangenen Tagen mehrfach
gerechtfertigt und mit der Dimension der NSU-Verbrechen und des staatlichen
Versagens begründet. „Wer nicht aufklärt, fliegt auf“, sagte
Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU).
Auch im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hält man die
Schreckensszenarien für überzogen. Dort hat man sich darauf verständigt,
die ungeschwärzten Geheimakten aus Thüringen bis zur nächsten Sitzung am
18. Oktober erstmal unangetastet zu lassen. Zurückschicken will man sie
aber auf keinen Fall.
10 Oct 2012
## LINKS
[1] /Umfeld-des-Neonazitrios/!103214/
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fehler bei NSU-Ermittlungen: Sie hätten nur hinhören müssen
13 Jahre lang ließen Polizei und Geheimdienste die NSU-Terroristen rauben
und morden - das größte Staatsversagen in der BRD-Geschichte.
Eklat im NSU-Untersuchungsauschuss: Sitzung unterbrochen
Dünnhäutig und bockig gibt sich der ehemalige Verfassungschutz-Vize
Fritsche im Untersuchungsausschuß. Dem Ausschussvorsitzenden platz darob
der Kragen, und er bricht die Sitzung ab.
Verfassungsschutz und Linksjugend Solid: 26 junge Linke unter Beobachtung
Der Bundesverfassungsschutz überwacht einzelne Mitglieder der
Nachwuchsorganisation der Linkspartei. Die Linksjugend Solid findet das
„lächerlich“.
Verfassungsschutz-Akten zum NSU: Minister wittert einen „Sumpf“
Thüringen hat dem NSU-Ausschuss in Berlin all seine Akten geschickt. Der
Innenminister fürchtete, eigene Leute könnten sonst „Interessantes“
verschwinden lassen.
V-Mann-Verdacht gegen NSU-Helfer: Erfolglose Suche nach Spitzel-Liste
Nach dem Durchforsten hunderter Akten hält das Innenministerium den
V-Mann-Verdacht gegen den mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben für
ausgeräumt.
Konsequenz der Spitzelaffären: Justizministerin für V-Mann-Gesetz
FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger fordert ein Gesetz über die
V-Leute bei Sicherheitsbehörden. Doch das Bundesinnenministerium blockiert.
Kommentar Verfassungsschutz: Schlecht gewartete Alarmanlage
V-Männer sind für den Verfassungsschutz, so wie er gedacht ist,
unerlässlich. Aber schon die Bezeichnung ist falsch.
V-Mann-Verdacht gegen Ex-NPD-Kader: Hinweis auf Wohlleben
Auch der mutmaßliche NSU-Helfer Ralf Wohlleben könnte ein V-Mann gewesen
sein. Einen entsprechenden Hinweis soll das Innenministerium derzeit
prüfen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.