| # taz.de -- Kolumne Blicke: In der Nachsaison | |
| > Im Sommer ist ganz Italien unbedingt zu meiden. Später im Jahr wird es | |
| > deutlich besser. Wenn da nicht die Krise wäre. | |
| Bild: Italienische Rentner tragen nicht die Deutscheeinheitsrentnerweste. | |
| So ist es richtig: Rechts die verlassenen Campingplätze, links die Pinien, | |
| und dahinter, durch regelmäßig angelegte Stichwege erahnbar, der Himmel. | |
| Und eben, ach: das Meer. | |
| Anfang Oktober parkt man auf dem Seitenstreifen, seltsam automatisch genau | |
| unter dem Verbotsschild, der Mensch mag Orientierung und schließlich sind | |
| wir in dem Land, wo erst mal alles erlaubt ist – zumindest, was die | |
| Übertretung der staatlichen Regeln angeht: Die sozialen sind eisern. | |
| Am Strand sind dann immer nur wir, beinah. Doch die einsamen | |
| Auf-und-ab-Walkerinnen in Bikini und Zellulitis verschmelzen peu à peu mit | |
| dem Himmel. Mal fühlen wir uns wie in einem Endzeitfilm, mal wie in der | |
| Blauen Lagune, entsprechend geben wir uns. Das Meer ist erst frisch und | |
| dann warm, also genau richtig, bevor am Ende der Woche Wind aufkommt und | |
| wir einen Tag Nordsee spielen. Wir schwimmen nackt, weil wir einfach | |
| niemand ausmachen können, der das persönlich nehmen könnte. | |
| Auf der Terrasse in Rom mit Blick auf das Kolosseum, wo wir vor dem | |
| Rückflug noch einen Abend bei Freunden sitzen, heißt es auf Anfrage: „Im | |
| Sommer würde ich ganz Italien meiden.“ Für die küstenahen Inseln, die wir | |
| beausflugen, steht das sogar im Reiseführer des Touring Club Italiano: Der | |
| wahre Zauber der Eilande enthülle sich dem Besucher erst in der Nachsaison, | |
| wenn das Licht, der Dunst, das Meer, die Menschen, die Delfine etc. | |
| Weil wir alles richtig machen und spät im Jahr dran sind, drücken wir das | |
| Durchschnittsalter auf der Fähre erheblich. Italienische Rentner, sehen | |
| wir, tragen nicht die Deutscheeinheitsrentnerweste. Sie sind laut und | |
| albern, und die, die nicht laut und nicht albern sind, sind vier deutsche | |
| Rentner aus Berlin. Unter der Schiffsbesatzung ist wie bei jeder | |
| Schiffsbesatzung ein kleiner, hässlicher Dicker, der nichts zu tun hat und | |
| den Pausenclown gibt. | |
| Außerdem will er was verkaufen, aber wir kaufen nichts, sagen ihm das auf | |
| Italienisch, und er lässt von uns ab, um die anderen Deutschen | |
| bloßzustellen, die hart seien wie die Signora Merkel. Das Schiff tobt, wir | |
| gehen von Bord und legen uns an einen Strand, vor dem das Wasser noch | |
| blauer wäre als am Festland, wenn es blauer denn ginge. | |
| In der einsamsten Bucht des Urlaubs denken wir, dass wir vielleicht doch | |
| ein Foto machen sollten, weil es sonst keiner glaubt. Aber das genau ist | |
| uns ja wurscht. Später beim Essen bemerken wir, dass es schon ein Foto der | |
| einsamsten Bucht gibt: auf dem Cover des Reiseführers des Touring Club | |
| Italiano. | |
| Froh alles richtig gemacht zu haben, ohne es darauf anzulegen, lassen wir | |
| uns von Einheimischen ein Restaurant empfehlen – was wäre ein Urlaub ohne | |
| einen echten Nepp. Die Leute sind eh allesamt etwas mürrisch, kurz flackert | |
| das Brandenburggefühl in uns auf: Ein schöner Landstrich – ohne seine | |
| Bewohner wäre er perfekt. | |
| Aber, sagt man uns in Rom: Wir hatten diesen Sommer Dutzende von Tagen über | |
| 40 Grad! Und dann: Die Krise! Der Metzger am nächsten Tag ist schon so | |
| erschöpft, dass ihm der älteste Bescheißtrick misslingt. Da ist er sauer. | |
| Wir verstehen das: Es ist immer noch schön warm. | |
| 11 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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