# taz.de -- Zehn Jahre Prostitutionsgesetz: Legalisiert, aber nicht reguliert | |
> Seit zehn Jahren ist Prostitution legal. Doch genutzt hat das den Huren | |
> wenig. Die Grünen luden Betroffene zum Gespräch, wie es besser laufen | |
> kann. | |
Bild: Kein komplett rechtsfreier Raum mehr: Bordell in Köln. | |
BERLIN taz | Es war ein Meilenstein, aber niemand ist zufrieden: Das | |
Prostitutionsgesetz, mit dem Rot-Grün ab 2002 die Prostitution | |
legalisierte, hat nicht bewirkt, was man sich erhoffte. So viel war klar | |
auf dem Fachgespräch der Grünen im Bundestag am Freitagabend. | |
Eingeladen waren Prostituierte, Bordellbetreiber, Beraterinnen und | |
Forscherinnen. Fast alle zeigten sich enttäuscht. Zwar ist Prostitution | |
nicht mehr „sittenwidrig“, doch die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen | |
haben sich nur wenig verbessert. Immerhin können sie sich nun legal | |
krankenversichern. Und etliche von ihnen, bei denen der Job nicht zum Leben | |
reicht, beantragen aufstockendes Hartz IV. | |
Die Vorstellung, sie würden nun in Scharen in die Sozialversicherungen | |
strömen, erwies sich aber als lebensfremd: Huren sehen sich als | |
Selbstständige, auch wenn sie im Bordell arbeiten. Es geht ihnen dabei wie | |
vielen anderen Geringverdienern: Geld für die Altersvorsorge ist knapp. | |
Zufrieden sind allein die Bordellbetreiber: „Der Straftatbestand ’Förderung | |
der Prostitution‘ ist weg und das ist ein Vorteil“, so Holger Rettig vom | |
Unternehmerverband Erotik Gewerbe. Seitdem stehen BordellbetreiberInnen | |
nicht mehr mit einem Bein im Gefängnis, wenn sie gute Arbeitsbedingungen | |
schaffen – im Gegenteil, sie werben jetzt Frauen und Kunden damit. | |
## Black Box für den Staat | |
Doch Bordelle sind immer noch eine Black Box für den Staat. Er hat nämlich | |
die Prostitution legalisiert – aber nicht reguliert. Wie kann man die | |
Arbeitsbedingungen kontrollieren? Wie Ausbeutung, unzumutbare Weisungen | |
oder Abzocke der Frauen verhindern? Wie eventuelle Opfer von Menschenhandel | |
finden? | |
Die Polizei darf, erläutert Grünen-Rechtsexperte Volker Beck, nur bei einem | |
konkreten Verdacht ins Bordell. Das Gewerbeamt hingegen könne unangemeldet | |
prüfen. Irgendwie soll die Prostitution im Gewerberecht reguliert werden. | |
Wie, ist aber noch nicht klar. Stattdessen schicke der Staat das Finanzamt, | |
klagt Escortdame und Hurenaktivistin Stephanie Klee aus Berlin. | |
So nehmen einige Städte nun von Sexarbeiterinnen eine Pauschalsteuer. In | |
Bordellen sammelt sie der Zuhälter ein. Ein, wie Claudia Fischer-Czech von | |
der Hurenberatung Hydra sagt, im Steuerwesen einmaliger Vorgang, der zeige, | |
dass Huren unter Pauschalverdacht stünden, sie seien nicht steuerehrlich. | |
Grünen-Stadträtin Sybill Klotz aus dem Berliner Bezirk Schöneberg | |
berichtete, wie man versuche, die angespannte Lage auf dem Strich in der | |
dortigen Kurfürstenstraße zu entspannen. Dort sorgten nach der | |
Osterweiterung neu zugewanderte Osteuropäerinnen für mehr Lärm, | |
aggressivere Anmache und Dreck. Doch ihre Arbeit sei nicht illegal. „Da | |
kann man nichts verbieten. Das ist die Globalisierung, die bei uns | |
ankommt“, so Klotz. | |
## Jahrzehntealte Mythen | |
Sozialwissenschaftlerin Christiane Howe von der TU Berlin hat Umfragen und | |
Interviews im Viertel gemacht. Ergebnis: Es werden Mythen über schreckliche | |
Erlebnisse tradiert, die eventuell schon Jahrzehnte alt sind. Auch die | |
Medien reproduzierten sie gern. „Sie treffen auf eine Vermischung von | |
Geschichten mit Angstlust und Ekellust“, sagte Howe. Frage man aber nach | |
realen Wünschen, kämen ganz realistische Vorschläge. | |
Der Strich gehört zur Kurfürstenstraße, das stellte kaum jemand infrage. | |
Aber es bräuchte mehr Mülleimer. Und die Huren sollten nicht vor der Kita | |
stehen oder mit ihren Freiern in die Nähe des Spielplatzes ziehen. Sie | |
bräuchten andere Flächen für die „Verrichtung“. | |
Warum die Grünen jetzt aktiv werden? Weil es auch in der | |
Regierungskoalition rumort. Und der Lieblingsidee der Union, die Bestrafung | |
von Freiern, wollen die Grünen etwas weniger Repressives entgegen setzen. | |
21 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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