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# taz.de -- Prostituierte über ihren Job: Ich will das so
> Sexarbeit zog Marleen an, seit sie zwölf war. Heute ist sie 22, studiert,
> arbeitet nebenbei als Prostituierte – und träumt von einem Ökobordell.
Bild: Prostitution ist ein Beruf. Wenn sie nicht freiwillig erfolgt, dann ist s…
Das erste Mal, als ich daran dachte, als Prostituierte zu arbeiten, war im
Firmunterricht. Da war ich zwölf. Ich weiß nicht genau, ob diese Erinnerung
stimmt. Wir haben darüber geredet, was wir später machen wollen. Und mein
Gedanke war: Das kann ich jetzt aber nicht erzählen.
Das nächste Mal war so mit sechzehn, siebzehn. Aber ich dachte: Das geht
nicht. Das Bild, das ich damals von Prostitution im Kopf hatte, entsprach
dem, das auch in der Öffentlichkeit dominiert, dem von Alice Schwarzer,
Straßenstrich an der tschechischen Grenze, und man ist von irgendeinem
Typen abhängig. Ich musste mich erst mal mit diesem Bild auseinandersetzen.
Sexarbeit hatte für mich eine Anziehungskraft, ich kann es nicht anders
erklären. Ich hatte schon oft so ein starkes Bauchgefühl, dass ich etwas
machen will. Zum Beispiel nach Berlin gehen. Das lässt mich nicht in Ruhe,
bis ich es wirklich getan habe. Ich konnte mir einfach total gut
vorstellen, Menschen eine Form von Zuneigung, von Angenommen-Sein
entgegenzubringen.
Mit neunzehn habe ich das erste Mal mit jemandem darüber gesprochen. Das
war, bevor ich zum Studieren von Bayern nach Berlin gezogen bin. Ich hatte
vorher schon recherchiert, zum Beispiel die Internetseite der
Hurenorganisation Hydra von vorne bis hinten durchgeklickt.
Das war die Zeit, in der sich mein Bild langsam verändert hat. In meinem
ersten Jahr in Berlin war ich auf einem Wochenendseminar zur politischen
Situation von Sexarbeiterinnen. Ich wollte nicht anfangen zu arbeiten,
bevor ich nicht wusste, wo ich hingehen kann, wo die Arbeitsbedingungen gut
sind. Deshalb bin ich auch zur Einstiegsberatung bei Hydra gegangen.
## Bordell oder Escortservice?
Das Gespräch hat etwa anderthalb Stunden gedauert. Die Beraterin wollte vor
allem herauskriegen, welche Motivation ich habe. Und mögliche falsche
Erwartungen zurechtrücken. Zum Beispiel macht man nicht unbedingt das große
Geld mit Sexarbeit. Wir sprachen auch über Sicherheitsmaßnahmen: Immer
Kondome und Gleitgel benutzen, feste Zeiten für sogenannte Back-up-Anrufe
mit jemandem vereinbaren, wenn man als Escort zum Kunden geht.
Ich wollte auch wissen, ob die Beraterin denkt, dass ich geeignet bin, und
wo ich hinpassen könnte. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten zu arbeiten:
Im Bordell, als Escortservice, am Straßenstrich und so weiter. Ich war
damals Neunzehn. In Deutschland ist die Gesetzeslage so, dass man, wenn man
unter 21 selbstständig ohne Zuhälter in einem Bordell arbeitet, automatisch
als Menschenhandelsopfer gilt. Dabei bietet ein Bordell ja einen gewissen
Schutzraum.
Mir war wichtig, flexibel zu sein. Ich habe die Adresse von einer
Anbahnungsbar bekommen. Man sitzt dort und wartet auf Gäste. Dann unterhält
man sich, und wenn es gegenseitig passt, kann man ein Zimmer mieten.
## Lampenfieber beim ersten Mal
Natürlich war ich nervös, als ich das erste Mal auf dem Weg in diese Bar
war. Aber es war keine Angst. Eher diese Art von Lampenfieber, die man auch
hat, wenn man zu einem Bewerbungsgespräch geht. Wo unklar ist, was einen
erwartet.
Es sieht dort aus wie in einer Kneipe, mit großem Tresen und Barhockern.
Wenn ich da bin, trage ich ein kleines Schwarzes oder ein Cocktailkleid,
nichts, was ich mir extra hätte kaufen müssen.
Klar habe ich mir Gedanken gemacht, ob ich hübsch genug bin. Es gibt ja
schon so ein Bild von Prostituierten. Aber als ich da rein bin, dachte ich:
Da kann ich mich auch blicken lassen.
Am ersten Abend habe ich mir das angeschaut, unterschrieben, dass ich mit
den Hausregeln einverstanden bin, und mich mit Kolleginnen unterhalten. Man
zahlt dort nur etwas, wenn man ein Zimmer nimmt oder einen Abschlag, wenn
man mit einem Gast ins Hotel geht. Gearbeitet habe ich erst beim zweiten
Mal. Der Erste war ein Stammgast des Lokals, total süß. Es war für mich
eine gespannte Selbstbeobachtung, was jetzt passiert. Wie ich damit umgehe.
Aber ich habe mich danach bestärkt gefühlt.
## Ausbildung für Sexarbeit
Was ich bedaure, ist, dass ich keine ältere Kollegin hatte, die mir das
Handwerk beigebracht hätte. So wie es das oft in Bordellen gab. Man lernt
ja viel durch Gespräche. Dass man jeden Kunden erst mal unter die Dusche
schickt, wie man damit umgeht, wenn einer durch zu viel Alkohol keine
Erektion bekommt oder wenn es schnell vorbei ist, er aber für eine Stunde
bezahlt hat.
Ich fände eine geregelte Ausbildung zur Sexarbeiterin sinnvoll. Es gibt so
viele Bereiche, die da hineinfallen: Medizinisches Wissen über Krankheiten,
Rhetorik, Gesprächspsychologie. Wie erkenne ich, worauf jemand steht, wie
führe ich ein Verkaufsgespräch, Sexualpraktiken, Buchführung, Recht. Das
wäre auch ein Schritt dahin, Sexarbeit als berufliche Tätigkeit
anzuerkennen, wie jede andere auch.
Für mich ist es ein Nebenjob, mit dem ich in erster Linie Geld verdiene. So
wie Kommilitoninnen sagen: Ich arbeite als Kellnerin oder als Hilfskraft an
der Uni.
Steuerlich habe ich mich als Hostesse angemeldet. Ich darf wegen meiner
Krankenversicherung nur 400 Euro zum BaföG dazuverdienen – das entspricht
ungefähr dreimal arbeiten im Monat. Wir nehmen in der Bar einheitliche
Preise, um uns gegenseitig das Geschäft nicht kaputt zu machen.
Mir ist wichtig, mein Studium abzuschließen, eine Ausbildung zu haben. Aber
Sexarbeit ist etwas, das ich zumindest zeitweise in mein Leben integriert
haben will und von dem ich auch offen erzähle, ohne Zwang, es jedem auf die
Nase zu binden.
## Pseudonym als Schutz vor Stalkern
Ich arbeite unter dem Namen Marleen. Ein Pseudonym zu haben ist wichtig,
zum Schutz vor Stalkern etwa. Hier in der Zeitung hätte ich eigentlich
nichts dagegen, mit meinem echten Namen als Sexarbeiterin zu sprechen. Aber
ich will meine Eltern und Großeltern davor schützen, sich in dem kleinen
bayrischen Ort ständig für meine Entscheidung rechtfertigen müssen.
Meiner Mutter hab ich es erzählt, nachdem wir zusammen im Kino waren. Im
Film ging es um Telefonsexarbeit. Im Auto habe ich gefragt: Sag mal, Mama,
wär das für dich und Papa okay, wenn ich auch als Prostituierte arbeiten
würde? Sie hat gemeint: Aber so was würdest du doch nicht machen, oder?
Doch, Mama, ich mach das, hab ich gesagt. Sie hat es mir nicht geglaubt.
Dann war ihre erste Frage, ob ich einen Zuhälter habe.
Sie macht sich unglaubliche Sorgen. Aber auf Grundlage von Klischees. Dass
man ins Drogenmilieu abrutscht oder um kriminelle Machenschaften. Dass ich
Sachen mit mir machen lasse, die ich nicht will, mir Krankheiten hole.
Meine Oma, der sie davon erzählt hat, macht sich Sorgen um mein Seelenheil.
Ich studiere im Nebenfach Genderstudies. Beim Thema Sexarbeit sitzt man da
schnell zwischen allen Stühlen. Als ich eine Hausarbeit zu Privilegien von
Prostituierten schreiben wollte, meinte meine Dozentin anfänglich, dass das
nicht gehen würde. Das Ganze fängt schon mit dem Wort Zwangsprostitution
an. Prostitution ist ein Beruf, etwas Freiwilliges. Wenn es nicht
freiwillig ist, dann ist es keine Prostitution, sondern ein Verbrechen:
Serielle Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt, Menschenhandel. Meiner
Meinung nach werden die Bereiche politisch bewusst vermischt, um
Prostitution stärker zu kontrollieren.
## Pauschalbetrag an Steuern
Die Masse der alltäglichen Diskriminierungen per Gesetz sind das größte
Problem. Zum Beispiel ist die Verantwortung für das Prostitutionsgesetz
beim Frauenministerium angesiedelt, nicht beim Arbeitsministerium. Es gibt
Modelle, nach denen Sexarbeiterinnen für jeden Arbeitstag gleich an ihrem
Arbeitsort einen Pauschalbetrag an Steuern bezahlen. Man traut ihnen
offenbar nicht zu, eine ordentliche Steuererklärung zu machen.
Mich nervt, dass gerade in einigen europäischen Ländern diskutiert wird,
Freier unter Strafe stellen. So wie das in Schweden ist. Ich empfinde es
als diskriminierend, jemandem Strafe anzudrohen, weil er meine
Dienstleistung in Anspruch nimmt.
Sexarbeiterinnen selbst werden oft nicht zu Fachdiskussionen eingeladen.
Das liegt vielleicht auch daran, dass man davon ausgeht, dass doch
irgendwie ein Zwang dahinter steckt. Natürlich kann man nicht ausschließen,
dass die Entscheidung für einen Kunden mit davon beeinflusst ist, wie stark
man gerade Geld braucht.
## Wer zahlt, hat die Macht?
Aber ich kann mich selbst entscheiden, ob ich auf Forderungen eingehe. Ich
nehme nur Gäste an, die mir sympathisch sind, und mache meine Grenzen klar.
Man sagt zwar: Wer zahlt, hat die Macht. Aber eine Anwältin kann sich ja
auch aussuchen, ob sie einen Mandanten annimmt und zu welchem Satz sie ihn
unter welchen Konditionen verteidigt.
Ich war am Anfang eher überrascht, wie wenig arrogant die Männer, die
zahlen, einem gegenüber sind. Wie wertschätzend und respektvoll man in der
Regel behandelt wird.
Ich finde ja, eine Marktlücke wäre so ein richtig ethisch korrektes
Ökobordell. Wo von der Bausubstanz über den Strom bis hin zu den Kondomen,
dem Champagner, dem Duschgel, der Kleidung, dem Waschmittel alles bio und
fair ist. Und natürlich auch die Prostituierten und alle Angestellten gute
Arbeitsbedingungen haben. Wenn ich mir die ganzen Leute in
Berlin-Prenzlauer Berg anschaue, könnte ich mir schon vorstellen, dass so
was funktionieren kann. Leider ist Sexarbeit ja einer der letzten Bereiche,
in den bewusster Konsum noch nicht vorgedrungen ist.
15 Dec 2012
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