# taz.de -- Debatte Steinbrück: Der Mann, der kein Schach kann | |
> Noch nie ist ein Kanzlerkandidat so beschädigt in den Wahlkampf gestartet | |
> wie Peer Steinbrück. Er ist eine Fehlbesetzung und sollte zurücktreten. | |
Bild: Schach spielen heißt, ein paar Züge im Voraus zu denken (Archivbild) | |
Für einen Moment nur muss man sich vorstellen, wie glänzend die SPD zum | |
Auftakt der Bundestagswahl 2013 dastehen könnte. Peer Steinbrück wäre ein | |
Kandidat, [1][über dessen persönliche Integrität] nicht diskutiert werden | |
müsste; in Hannelore Kraft stünde eine Ersatzkandidatin bereit, falls | |
Steinbrück ausfällen würde oder intern nicht durchsetzbar wäre; und in | |
Hessen wäre seit fünf Jahren eine rot-rot-grüne Koalition an der Regierung, | |
die den Bann gegen Koalitionen mit der Linkspartei im Westen gebrochen | |
hätte. All das ist bekanntlich nicht der Fall. Und alles hat die SPD selbst | |
vermasselt. | |
Die Steinbrück’sche Vortragsaffäre, die den Sozialdemokraten den | |
Wahlkampfauftakt gründlich verhagelt, besteht im Grunde aus zwei Teilen. | |
Der erste betrifft eine eher lässliche Sünde: seine Reden bis zur Aufnahme | |
in die Troika der Kanzlerkandidaten. Steinbrück drehte seine Runden als | |
Exminister, der mit seinem Namen noch einmal abkassierte. Nur auf sein | |
Bundestagsmandat hätte er besser verzichten sollen. | |
Etwas anderes sind die Vorträge danach. Und zwar nicht einmal so sehr wegen | |
des Verdachts der Einflussnahme auf einen zukünftigen Kanzler und der | |
sozialdemokratischen Selbstbedienung bei den Stadtwerken Bochum, sondern | |
weil Steinbrück geradezu naiv in die Affäre geschlittert ist. Über ein Jahr | |
zog der Kandidat von Sparkasse zu Sparkasse, ohne auf die Idee zu kommen, | |
dass ihm die Vorträge später Schwierigkeiten bereiten können. | |
Frühzeitig sichtbare Gefahren für die eigene Politik wahrzunehmen, gehört | |
aber zum politischen Kerngeschäft. Wer das nicht kann, ist in | |
Spitzenpositionen fehl am Platz. Wer sollte einem Politiker, der nicht | |
einmal offensichtliche Probleme für die eigene Karriere wahrnehmen kann, | |
glauben, dass er Gefahren für die Wähler rechtzeitig spürt? | |
Steinbrück ist der Mann, der Schach nicht kann, lautet die Botschaft seiner | |
Vortragsaffäre. Schach spielen heißt, ein paar Züge im Voraus zu denken. | |
Die SPD hätte misstrauisch werden können, als Steinbrück ausgerechnet die | |
Inszenierung als Stratege misslang: auf dem Titelfoto seines Buchs mit | |
Helmut Schmidt, auf dem sich beide als Schachspieler in Szene setzten. Das | |
Spielfeld war verdreht aufgebaut. Steinbrück hat es offenkundig nicht | |
geschafft, ein Team um sich zu scharen, das solche Schnitzer bemerkt. | |
## Jubeltruppen und Abnicker | |
Auch die SPD-Spitze hat die Vortragsaffäre seltsam verschlafen, Sigmar | |
Gabriel vorneweg. Offenkundig hat es kein Gespräch unter vier Augen | |
gegeben, das Steinbrücks Vita frühzeitig auf mögliche Angriffspunkte | |
abklopfte, keine Treffen mit PR-Beratern, keine Hinweise auf das Problem | |
aus Landes- und Ortsverbänden – nichts. Dabei waren die umfangreichen | |
Nebenverdienste Steinbrücks seit Längerem bekannt. Solche Fehler machen | |
politische Anfänger – und diejenigen, die zu lange im Geschäft sind und | |
dabei das Gespür für politische Stimmungen verloren haben. | |
Die SPD bezahlt jetzt den Preis dafür, dass sie seit der Schröder-Ära | |
innerparteiliche Debatten unterbunden hat: für das seltsame | |
Nominierungsverfahren, in dem Gabriel den einfachen Abgeordneten Steinbrück | |
im Alleingang erst zum Teil der Troika erklärte und dann zum Kandidaten; | |
für die Degradierung der Parteigremien zu Abnickveranstaltungen zuvor | |
getroffener Beschlüsse; für die Demütigungen der Jusos, deren vorsichtiger | |
Protest gegen die Agenda 2010 zum Karrierehemmnis wurde; und für die | |
stattdessen gehätschelten sogenannten Jungen Teams – eine bloße Jubeltruppe | |
für den Wahlkampf. | |
Übertreibt man es mit innerparteilichen Streitigkeiten, endet man wie die | |
Piraten, übertreibt man es mit der innerparteilichen Geschlossenheit, endet | |
man wie die SPD. Eine negative Elitenauswahl findet statt: In der Partei | |
kommen die nach oben, die nichts dabei finden, für Kandidaten zu werben, | |
über die sie nicht entscheiden durften. Wer das nicht aushält, geht. | |
Von denen, die bleiben, fühlt sich kaum jemand mehr für irgendetwas | |
verantwortlich, das nicht im eigenen kleinen Zuständigkeitsbereich liegt. | |
Weshalb sollte etwa ein junger Abgeordneter auf die Idee kommen, über | |
Steinbrücks Nebenverdienste nachzudenken – und sich durch Nachfragen Ärger | |
einhandeln? Dafür war Gabriel zuständig, der das Problem nicht sah. | |
Nicht, dass der Parteilinke von diesem Klima unbeeinflusst bliebe und mehr | |
Bewusstsein für politische Gefahrensituationen hätte. Siehe Andrea | |
Ypsilanti, die bei ihrem Vorstoß für ein rot-grün-rotes Bündnis in Hessen | |
2008 die innerfraktionelle Minderheit trotz knapper Zwei-Stimmen-Mehrheit | |
nicht einband. Dass die Stimmung bei vier Abgeordneten kippte, hatte sie | |
nicht auf der Rechnung. | |
## Kraft verschärft die Krise | |
Und was ist mit Hannelore Kraft, die im Frühjahr das Gutachten der | |
Landtagsjuristen über das Prozedere bei Haushaltsabstimmungen nicht | |
vorhersah? Aus Landessicht hat sie mit ihrer Ad-hoc-Entscheidung, Neuwahlen | |
anzusetzen, alles richtig gemacht. Aber weil sie um das Bekenntnis, nach | |
ihrer Wiederwahl in Nordrhein-Westfalen zu bleiben, nicht herumkam, | |
verschärft sie die jetzige SPD-Krise. | |
Peer Steinbrück müsste nämlich unter normalen Umständen jetzt zurücktreten. | |
Noch nie ist ein Kanzlerkandidat so beschädigt in den Wahlkampf gestartet, | |
noch nie musste sich jemand in den ersten Wochen seiner Kandidatur so | |
intensiv mit Fragen nach der persönlichen Integrität beschäftigen. Der | |
erhoffte Nominierungseffekt ist verpufft. Natürlich ist nicht | |
auszuschließen, dass Steinbrücks Umfragewerte wieder steigen; eine | |
Eskalation der Eurokrise würde sicher helfen. Nur: Eine vernünftige | |
Wahlkampfstrategie sieht anders aus. | |
Aber wen könnten die Sozialdemokraten stattdessen aufstellen? Gabriel und | |
Steinmeier würden jetzt als zweite Wahl erscheinen, Kraft als | |
Wahlbetrügerin gehandelt werden. Aus der zweiten Reihe der Bundes- oder | |
Landespolitik drängt sich niemand als Kandidat auf. Und dennoch: | |
Steinbrücks Rückzug wäre besser als das Festhalten an einem beschädigten | |
Kandidaten. Wer immer von der SPD aufstellt würde, hätte das Argument für | |
sich, dass in der Stunde der Not nur außergewöhnliche Maßnahmen zur Rettung | |
verhelfen. | |
19 Nov 2012 | |
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## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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