# taz.de -- Arbeitslosigkeit in Berlin: Hauptstadt der Strafen | |
> Nirgends sonst werden so viele Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger | |
> verhängt wie in Berlin. Aber warum ist das so? | |
Bild: Sanktionen gegen 4,7 Prozent der Berliner Hartz-IV-Empfänger | |
Berlin ist die Hauptstadt der Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger: Gegen | |
4,7 Prozent von ihnen hat das Jobcenter derzeit eine Strafe verhängt – so | |
hoch ist die Quote in keinem anderen Bundesland. Eine Sanktion bedeutet in | |
der Regel, dass das Amt weniger Geld zahlt – in besonders krassen Fällen | |
sogar gar nichts mehr. | |
Sind Berliner Arbeitslose fauler oder betrügerischer als anderswo? | |
Keinesfalls, meint Uwe Mählmann, Sprecher der Berliner Arbeitsagenturen: | |
„Der weitaus größte Teil der Arbeitslosen möchte arbeiten und verhält sich | |
regelkonform.“ Es sei auch nicht das Ziel des Jobcenters, möglichst viele | |
Sanktionen auszusprechen. „Wenn aber jemand ein Arbeitsangebot nicht | |
annimmt oder zum Gesprächstermin nicht erscheint und es dafür keinen | |
wichtigen Grund gibt, dann ist die Sanktion oft das einzige Mittel.“ | |
## Zusätzliche Vermittler | |
Aber warum ist Berlin der Spitzenreiter? Mählmann meint, das liege am | |
Jobwachstum in der Stadt: „Somit gibt es auch mehr Stellen für | |
Langzeitarbeitslose, sie erhalten daher auch öfter Arbeitsangebote oder | |
werden zu Terminen eingeladen.“ | |
Mählmann verweist auch auf die „Berliner Joboffensive“ – die Jobcenter | |
hatten 350 zusätzliche Vermittler eingestellt, um Langzeitarbeitslose | |
besser zu betreuen. Das heißt: Es gibt in Berlin einfach besonders viele | |
Jobangebote, besonders viele Termine beim Amt und allein deshalb besonders | |
viele Möglichkeiten, bei falschem Verhalten eine Sanktion auszusprechen. | |
Die sozialpolitische Sprecherin der SPD, Ülker Radziwill, findet die hohe | |
Zahl der Sanktionen unangemessen: „Der Hartz-IV-Satz ist das | |
Existenzminimum. Wenn dort gekürzt wird, ist die Existenz dieser Menschen | |
gefährdet.“ Sie glaube auch nicht, dass Sanktionen zu einer besseren | |
Vermittlung führen. | |
Wenn Hartz-IV-Empfänger ihre Termine nicht einhalten, sieht sie in vielen | |
Fällen zudem eine Mitschuld der Jobcenter: „Viele klagen darüber, dass der | |
Sachbearbeiter nicht erreichbar ist, um einen Termin zu verlegen.“ Denn die | |
Durchwahlnummern werden nicht herausgegeben. Radziwill: „Es muss in jedem | |
Fall eine Möglichkeit geben, sich per Mail oder Telefon direkt an die | |
Sachbearbeiter zu wenden.“ | |
Elke Breitenbach von der Linksfraktion glaubt nicht, dass die Zahl der | |
Sanktionen wegen der Bemühungen der Jobcenter so hoch sind. „Hier war die | |
Zahl der Sanktionen schon immer höher“, sagt sie. Sie vermutet, dass die | |
Jobcenter härter durchgreifen als anderswo und fordert, „den Menschen mehr | |
Beratung anzubieten als so schnell zu Sanktionen zu greifen“. | |
Der Grünen-Abgeordnete Martin Beck kritisiert: „Derzeit werden Sanktionen | |
häufig ausgesprochen, ohne dass man das nachvollziehen kann, warum es die | |
einen trifft und die anderen nicht.“ Er fordert, alle Sanktionen sofort zu | |
stoppen. Die Grünen hatten erst am Wochenende auf ihrem Bundesparteitag | |
solch ein Moratorium beschlossen. | |
20 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
## TAGS | |
Hartz IV | |
Jobcenter | |
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